Von Stefan Kuhn
Schon wieder ein Buch. Das ist schön für die Autoren und noch schöner für die Verlage, und der Erfolg ist vorprogrammiert. Dafür sorgt schon allein das prosaische Untersuchungssubjekt Donald Trump. Der US-Präsident interessiert nicht nur wegen seines Amtes, seine schrille Persönlichkeit ist per se interessant. Er hatte schon vor seinem Amtsantritt einen hohen Unterhaltungswert. Dazu kommt, dass er für fast jedes dieser für ihn wenig schmeichelhaften Machwerke kräftig die Werbetrommel schlägt. Er versucht, die Veröffentlichung zu verhindern. Das ist ihm weder bei dem 2018 erschienenen Inside-Report "Fire and Fury" des Journalisten Michael Wolff gelungen, noch bei dem am Dienstag veröffentlichten Buch seines früheren Sicherheitsberaters John Bolton, das den merkwürdigen Titel "Der Raum, in dem es geschah" trägt. Wer dabei schlüpfrige Details aus Trumps Privatleben erwartet, wird enttäuscht sein. Bolton beschreibt den Präsidenten so, wie er von den meisten Menschen wahrgenommen wird. Er ist autoritär, unbeherrscht, beratungsresistent und dem Amt weder charakterlich noch intellektuell gewachsen.
Natürlich hat Bolton ein paar amüsante und glaubhafte Anekdötchen eingebaut, bei denen sich halbwegs gebildete Menschen in ihrem Urteil über Trump bestätigt fühlen können. Aber, dass der US-Präsident Finnland für einen Teil Russlands hielt und nicht wusste, dass Großbritannien eine Atommacht ist, wird seine Wähler*innen kaum stören. Auch Skandalöses schockt nicht wirklich. Dass er die chinesischen Umerziehungslager für die Uiguren für eine gute Idee hält, entspricht wohl seinem Weltbild. Vermutlich hat ihm jemand erzählt, dass die Uiguren islamistische Terroristen seien.
Ein wenig dümmlich ist natürlich, dass Trump den chinesischen Präsidenten Xi Jinping um Wahlhilfe bittet. Zum Einen müsste er nach der Russland- und der Ukraine-Affäre eigentlich ein gebranntes Kind sein. In beiden Fällen ging es um illegale Wahlhilfe, und bei letzterem kam es zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen ihn. Die meisten Menschen werden aus Schaden klug, aber Trump tickt da anders. Wenn er mit einer Sache durchgekommen ist, probiert er es nochmal. Auf der anderen Seite grenzt es an Blödheit, einen Handelskrieg mit China zu beginnen und dann um die Abnahme von Weizen und Soja aus US-amerikanischer Produktion zu bitten, um eine bessere Ausgangsposition bei den kommenden Präsidentschaftswahlen zu haben.
Was Wahlhilfe angeht, sollte sich Trump besser an den russischen Präsidenten Wladimir Putin halten. Putin betrachtet den US-Amerikaner noch als nützlichen Idioten, für China ist er längst zum schädlichen geworden.
Bolton hat sich mit seinem Trump-Werk gewaltig in die Nesseln gesetzt. Für die Republikaner gilt er als Verräter und für die Demokraten als Feigling. Natürlich haben beide Parteien Recht. Der frühere Sicherheitsberater hat Interna ausgeplaudert, aber dass Trump häufig desinformiert, reizbar und für das Amt nicht geeignet ist, ist nun wirklich kein Staatsgeheimnis. Dass Bolton nicht beim Amtsenthebungsverfahren gegen seinen früheren Chef ausgesagt hat und ihn wenige Monate später in einem Buch belastet, mag die demokratische Opposition wütend machen. Am Ergebnis hätte dies allerdings kaum etwas geändert. Im Senat haben die Republikaner die Mehrheit, und in einem Wahljahr wählt man keinen Präsidenten ab. Bei zwei Millionen Dollar Buchhonorar wird Bolton die Anfeindungen aber verschmerzen können.
In anderen Ländern wäre es vielleicht von Bedeutung, wenn ein Staats- und Regierungschef derart bloßgestellt wird. Dabei geht es nicht um fragwürdige politische Positionen oder Entscheidungen, sondern um die Persönlichkeit. Dass rechtspopulistische Demagogen heute wieder Massen hinter sich bringen können, ist eine Tatsache. Dass ein dümmlicher Prahlhans und notorischer Lügner Chancen hat, als US-Präsident wiedergewählt zu werden, ist der amerikanische Albtraum.
Derzeit sieht es in den Umfragen nicht sehr günstig aus für Donald Trump. Trumps demokratischer Herausforderer Joe Biden führt in einer Umfrage mit 50 zu 36 Prozent. Aber das heißt noch gar nichts. Vor vier Jahren hatte Hillary Clinton ebenfalls einen deutlichen Vorsprung. Zudem sind dies landesweite Präferenzumfragen, die sich deutlich von der Zahl der Wahlmänner unterscheiden können. Hillary Clinton hatte 2016 fast drei Millionen Stimmen mehr als Trump, wäre mit 48,2 gegen 46,1 Prozent der Stimmen in fast jedem anderen Land Präsidentin geworden. Bei den Wahlmännern siegte Trump mit 57,25 zu 42,75 Prozent.
Enthüllungsbücher werden den US-Wahlkampf kaum beeinflussen. Entscheidend wird sein, dass die Wirtschaft bis November wieder in Gang kommt. Bis dahin werden die USA wohl um die 150.000 Corona-Tote zu beklagen haben, aber es gibt viele, die dem Narrativ Trumps folgen und nicht sein miserables Krisenmanagement, sondern China für die weltweit höchste Opferzahl verantwortlich machen. Mag sein, dass die Rassismusdebatte ebenfalls eine Rolle spielt, falls es den Demokraten gelingt, viele Afroamerikaner und Hispanics an die Urnen zu bringen. Auch wenn es berechtigte Zweifel an der Motivierungskraft von Joe Biden gibt, könnte die Abwahl Trumps ein starkes Motiv sein.
Auf das nächste Enthüllungsbuch darf man dennoch gespannt sein, es wurde von Trumps Nichte Mary geschrieben, einer promovierten Psychologin. Der Erfolg ist garantiert. Die Familie will es verbieten lassen.
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