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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Nötiger "Schauprozess"

Von Stefan Kuhn

Es hat begonnen, das zweite Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump. Das vierte überhaupt in der langen Liste der US-Präsidenten. Von Amtsenthebungsverfahren kann man ja nicht mehr sprechen, Trump ist seit dem 20. Januar im einstweiligen Ruhestand, aber damit wäre "Impeachment" auch nicht korrekt übersetzt. Es geht um eine Anklage wegen Amtsmissbrauchs, und darunter fällt die "Anstiftung zum Aufruhr", die man dem Ex-Präsidenten vorwirft, allemal. Die ihm vorgeworfenen Taten hat Trump während seiner Amtszeit begangen.

Ein Versuch der Republikaner, das Verfahren zu verhindern, weil es gegen die Verfassung verstoße, ist an den Mehrheitsverhältnissen im Senat gescheitert. In der US-Verfassung ist auch nicht präzisiert, ob ein Impeachment auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt durchgeführt werden kann. Es gab einen Präzedenzfall, bei dem 1876 ein Verfahren gegen William B. Belknap, den Kriegsminister unter Präsident Ulysses S. Grant, eingeleitet wurde, obwohl dieser bereits zurückgetreten war. Auch damals ging es um die Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens, und auch damals stimmte der Senat dem Verfahren zu. Belknap hatte sich bei Waffenverkäufen aus Armeebeständen selbst bereichert. Im Senat wurde er freigesprochen, weil die nötige Zweidrittelmehrheit verfehlt wurde. Auch damals?

Auf der anderen Seite mag Richard Nixon als Beispiel dienen. Gegen den Präsidenten sollte wegen der Watergate-Affäre 1974 ein Impeachment-Verfahren eingeleitet werden. Als sich eine Zweidrittelmehrheit für die Amtsenthebung abzeichnete, trat er zurück. Das Verfahren wurde eingestellt.

Moralisch gesehen ist Trump schuldig und das nicht nur wegen seiner Rede am 6. Januar, in der er seine Anhänger dazu aufgerufen hatte, zum Kapitol zu ziehen und zu kämpfen. Er hatte schon vor der Präsidentschaftswahl die Mär vom Wahlbetrug vorbereitet und danach von einem "gestohlenen Sieg" gesprochen. Ohne diese Lügen wäre es nie zum Sturm aufs Kapitol gekommen. Aus juristischer Sicht ist das schwieriger. Trump hat seine Anhänger nicht direkt zur Gewalt aufgerufen. Vor einem unabhängigen Gericht würde er wohl aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden.

Der US-Senat ist allerdings kein unabhängiges Gericht. Die Senatorinnen und Senatoren sind befangen. Weniger weil sie selbst Opfer der Trump vorgeworfenen Tat waren, sondern weil ihre Entscheidung politisch motiviert ist. Es gibt Republikaner, die würden ihn auch freisprechen, wenn er mit der Waffe voran gestürmt wäre. Und Demokraten, die ihn verurteilen würden, wenn er die Türen des Kapitols mit Fäusten verteidigt hätte. Trump hat beides nicht getan, aber er hat die Gewalt zumindest billigend in Kauf genommen. Vermutlich sogar mehr. Wer seinen Anhängern "Kämpft bis zum Letzten!" zuruft, kann nicht annehmen, dass dies mit Plakaten und Sprechchören geschieht. Kurz zuvor war ein letzter Versuch des Präsidenten gescheitert, die Zertifizierung des Wahlergebnisses durch den Kongress zu verhindern. Die Rede war ein letztes Aufbäumen.

Trump-Anhänger sprechen von einem "Schauprozess". Sie haben nicht ganz unrecht, auch wenn das Wort negativ belegt ist. Es ist ein politischer Prozess, und er ist notwendig. Trump hat sich einfach zu viel geleistet, und es ist gut, wenn die Wochen nach der Präsidentschaftswahl öffentlich aufgearbeitet werden. Noch besser wäre es, wenn es zu einer Zweidrittelmehrheit im Senat käme und Trump schuldig gesprochen würde. Danach sieht es derzeit nicht aus. Für solch eine Mehrheit müssten 17 der 50 republikanischen Senatorinnen und Senatoren mit den Demokraten stimmen. 44 von ihnen haben die Anklage bereits als verfassungswidrig abgelehnt. Ob die sechs Abweichler für eine Verurteilung stimmen, ist auch nicht sicher.

In der republikanischen Fraktion gibt es viele kadavertreue Trumpisten. Andere haben Angst um ihre politische Karriere, denn die Parteibasis steht hinter dem Ex-Präsidenten, und im November 2022 stehen "Midterms", die Zwischenwahlen, an. Man kann zwar davon ausgehen, dass eine Mehrheit des republikanischen Establishments mit der Ära Trump abschließen will. Aber kaum jemand will riskieren, als Verräter ins Rennen um seine Nachfolge zu ziehen.

Betrachtet man das vorhersehbare Ergebnis, ist das Impeachment natürlich eine Farce. Es wird dennoch seine Wirkung haben. Zum einen wird es ein Freispruch zweiter Klasse werden, denn eine Mehrheit des Senats, darunter auch einige Republikaner*innen, wird sich gegen Trump aussprechen. Das war vor einem Jahr, beim Impeachment zur Ukraine-Affäre noch anders. Dann gibt es noch den Show-Effekt. Nicht nur die erschreckenden Bilder vom 6. Januar, die in der Video-Präsentation der Anklage wieder auftauchen. Auch die Reaktion einiger republikanischer Senatsmitglieder, die gelangweilt abtauchen, wird in Erinnerung bleiben. Ebenso das schwache, fast lächerliche Auftreten der Trump-Verteidiger. Zudem können die Republikaner nicht wie beim ersten Impeachment die Vorladung von Zeugen und die Zulassung von Beweismitteln verhindern. Sie haben keine Mehrheit dafür.

Auch ohne eine Verurteilung wird Trump aus dem Verfahren beschädigt hervorgehen. Er wird sich nicht wie vor einem Jahr als Triumphator zeigen können. Er wäre wohl für die meisten "gerade noch mal davongekommen". Vermutlich wird ihn das nicht daran hindern, das Urteil dennoch als "Erdrutschsieg" zu verkaufen. Das hat er ja bereits bei seiner Wahlniederlage getan. Er wird von einer "Handvoll republikanischen Verrätern" sprechen, doch das würde er auch bei einer Verurteilung tun. Dass Trump plötzlich kleinlaut wird, kann man sich nicht vorstellen. Dass es stiller um ihn wird, dazu könnte das Impeachment beitragen.


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