Von Stefan Kuhn
„Kurz mal weg“ titelte die „Neue Kronen Zeitung“, Österreichs größtes Boulevardblatt, anlässlich des Rücktritts von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Danach sieht es auch aus, denn der 35-Jährige ist zwar nicht mehr Regierungschef, bleibt aber Vorsitzender der stärksten Partei des Landes und übernimmt den Fraktionsvorsitz der Christsozialen im Nationalrat. Zudem sitzen seine Gefolgsleute weiterhin in der Regierung. Selbst sein Nachfolger Alexander Schallenberg, vormals Außenminister, gilt als loyaler Parteifreund. Vieles spricht dafür, dass Kurz als „Schattenkanzler“ weiterregiert und das wichtigste politische Amt wieder übernimmt, wenn Gras über die Affäre(n) gewachsen ist.
Sebastian Kurz hatte keine Alternative. Er musste das Kanzleramt aufgeben. Die Grünen, die die Bekämpfung der Korruption auf ihre Fahnen geschrieben haben, hätten das Bündnis mit der ÖVP platzen lassen. Bedingung für den Fortbestand der Regierung war ein unbelasteter Regierungschef, und über diese Eigenschaften verfügte Kurz nicht mehr. Schon länger nicht mehr, denn gegen den Politiker läuft auch ein Verfahren wegen Falschaussage. Ihm wird vorgeworfen, vor einem Untersuchungsausschuss zur „Ibiza“-Affäre gelogen zu haben. Bei der Affäre ging es um seinen damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der bei einem fingierten Treffen mit einer angeblichen russischen Oligarchentochter demonstriert hatte, wie weit die Käuflichkeit österreichischer Politiker gehen kann. Kurz zog damals die Notbremse und löste die Koalition mit Straches rechtspopulistischer FPÖ auf.
Jetzt geht es um weiter zurückliegende, ernstere Delikte. Kurz und sein Team sollen 2017 mit Steuergeldern wohlwollende Medientexte und Meinungsumfragen finanziert haben. Am Mittwoch vergangener Woche fanden in Wien in der ÖVP-Zentrale, im Kanzleramt und im Finanzministerium Hausdurchsuchungen statt. Gegen zehn Personen wird wegen Betrugs, Bestechung und Bestechlichkeit ermittelt. Darunter der damalige Außenminister Sebastian Kurz.
Natürlich bestreitet Kurz die Vorwürfe und spricht von einer Hexenjagd der Opposition, wobei er Justiz und Opposition verwechselt. Manche interpretieren seinen Rücktritt als Kanzler dennoch als Flucht in die parlamentarische Immunität. Die dürfte allerdings nicht lange anhalten, wenn sich der Verdacht gegen ihn erhärtet. Noch stehen die ÖVP-Granden hinter ihm, aber das kann sich schnell ändern. Kurz war der Messias. Er hat die Partei übernommen, als sie am Boden lag. Nachdem er im Mai 2017 den Vorsitz übernommen hatte, verließ die ÖVP schlagartig den Umfragekeller. Plötzlich kamen die Konservativen auf Werte von bis zu 35 Prozent. Einen Monat zuvor dümpelte sie bei 20 Prozent.
Das hatte aber auch seinen Preis. Kurz hat die Bedingungen für die Machtübernahme diktiert. Die altehrwürdige ÖVP hieß plötzlich „Liste Sebastian Kurz - Neue Volkspartei“. Der Hoffnungsträger hat dabei nicht wenige Parteimitglieder gewaltig vor den Kopf gestoßen. Die Hoffnungen hat er allerdings erfüllt. 2017 wurde die ÖVP mit 31,5 Prozent erstmals seit 2006 wieder stärkste politische Kraft in Österreich. 2019 legte sie nochmals zu und kam auf 37,5 Prozent. Kurz ist die Partei. Derzeit ist niemand in Sicht, der ihn ersetzen könnte. Dies könnte sich allerdings ändern. Der neue Kanzler Alexander Schallenberg könnte sich mit der Zeit profilieren. Und Zeit hat er, solange die Koalition mit den Grünen hält. Kurz selbst kann zwar im Hintergrund Fäden ziehen, aber das Kanzleramt dürfte ihm zumindest so lange verwehrt bleiben, bis die Klagen gegen ihn abgewiesen sind. Sollte es noch weitere Enthüllungen oder Anklagen geben, dürften sich auch die ÖVP-Größen distanzieren.
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