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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Mythos Maradona

Von Marcus Christoph

Steaks, Gauchos, Tango und Maradona - das waren laut dem Reiseführer Lonely Planet 2008 die Dinge, für die Argentinien in der Welt besonders berühmt ist. Aber die Mythen wackeln gelegentlich: Die Gauchos müssen sich heutzutage auf der Landwirtschaftsschau „La Rural“ radikaler Veganer erwehren. Die Fleischpreise sind in Zeiten der wirtschaftlichen Krise für viele Bürger zu teuer. Im Tango siegten zwischenzeitlich auch schon mal die Japaner, und das Fußball-Idol versuchte fast ein Jahrzehnt lang fernab der Heimat sein Trainerglück in fernen Ländern. Schwere Zeiten für die argentinische Seele.

Entsprechend groß war nun die Begeisterung, als am Sonntag Diego Armando Maradona offiziell in den argentinischen Fußballbetrieb zurückkehrte. Um 14 Uhr betrat der einst beste Fußballer der Welt den Rasen im Stadion des Fußballclubs Gimnasia y Esgrima de La Plata, welches im Volksmund „El Bosque“, also der Wald, genannt wird. Durch eine überdimensionale aufblasbare Wolfsschnauze aus Plastik - der Club wird auch „El Lobo“ (Der Wolf) genannt - war die „Hand Gottes“ in den Innenraum der Arena gekommen. Auf deren Rängen erwarteten rund 25.000 völlig begeisterte Fans ihr Idol. Es hätten leicht noch mehr sein können. Doch die Eintrittskarten waren begrenzt.

Maradona hatte mit seiner rundlichen Körperform, seinem langsamen Gang und seinem schwarz-weißen Trainingspulli etwas von einem Pandabären. Die Jahre sind nicht spurlos an ihm vorbeigezogen. Erst im Juli musste sich der 58-Jährige einer ersten von zwei Knie-OPs unterziehen. Eine Prothese wurde eingesetzt. Der behandelnde Arzt erklärte, Maradona werde nie wieder eine Fußballpartie spielen können. Nach seiner Ankunft im Stadion ließ er sich dann auch von einem weißen Golf Cart zum Anstoßpunkt chauffieren, was ein wenig an das Papamobil seines Landsmanns im Vatikan erinnerte.

Die Stimme des Weltstars war ein wenig brüchig und seine Ansprache teilweise schwer zu verstehen. Was sicher auch der Rührung geschuldet war. Denn die Menschen feierten, als ob Gimnasia y Esgrima gerade die argentinische Meisterschaft oder gar die Copa Libertadores gewonnen hätte. Ein gigantischer Euphorieschub für einen Club, der derzeit den letzten von 24 Plätzen in der hiesigen „Superliga“ belegt und auch in der dreijährigen Abstiegswertung die Rote Laterne innehat.

Sportlich also eine echte Herausforderung für Maradona. Aber die Entscheidung, das Jobangebot eines Abstiegskandidaten anzunehmen, hat etwas sehr Sympathisches und passt zum Mythos: Schließlich stammte Maradona aus dem Armenviertel „Villa Fiorito“ und schaffte als fußballerisches Wunderkind den Aufstieg aus Not und Elend. Auch später, als er schon ein Weltstar war und nach Europa ging, feierte er seine größten Vereinserfolge nicht mit dem arrivierten FC Barcelona, sondern mit dem SSC Neapel. Der Club aus dem armen Süden Italiens, der vorher nie eine große Rolle spielte, wurde mit Maradona zweimal italienischer Meister. Dies brachte ihm fast „gottgleiche“ Verehrung ein.

Auch in Argentinien ist die Faszination, die von ihm ausgeht, offenbar immer noch ungebrochen. Allen Drogenexzessen, Eskapaden, skurrilen Auftritten und politischen Verirrungen zum Trotz. Von Lionel Messi, der fußballerisch vielleicht ähnlich begabt ist, unterscheidet ihn nicht nur der glorreiche Gewinn der Weltmeisterschaft 1986, sondern eben auch der Umstand, dass Maradona sich unsterblich in die Herzen der Argentinier gespielt hat. Während Messi schon als Jugendlicher nach Spanien ging und seine Karriere weit ab der Heimat machte, spielte Maradona lange Zeit hier und wurde zum Volksheld.

Maradona ist heute sicher nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Körper ist verschlissen. Der jahrelange Rauschmittelkonsum hat seinen Tribut gefordert. Dennoch taugt er immer noch als Projektionsfläche für diverse Hoffnungen.Vielleicht steckt ja sogar noch ein wenig mehr dahinter: Wie Gimnasia y Esgrima heute am unteren Ende der Tabelle steht, so geht es derzeit auch dem ganzen Land mit seiner Wirtschaftskrise schlecht. Die Sehnsucht, dass es wieder aufwärts geht, ist allenthalben groß.

„Ich bin nicht als Zauberer gekommen, sondern um zu arbeiten“, versuchte Maradona im Stadion, zu hohe Erwartungen zu bremsen. Doch wahrscheinlich wollen die Fans genauso solche Wunderdinge. Die erste Bewährungsprobe an der Realität ist bereits an diesem Sonntag, wenn es gegen den amtierenden Meister Racing Club geht. Dann ist im „Bosque“ wieder Spektakel garantiert.

Wie die Maradona-Mission in La Plata am Ende auch ausgehen mag - und wenn man seine bisherigen Trainerengagements nimmt, sollte man vielleicht nicht zu viel erwarten - eines lässt sich jetzt schon sagen: Er hat bei den Menschen für Freude und Begeisterung gesorgt - nicht wenig in Zeiten der Krise.

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