Im Blickfeld: Letztes Aufbäumen der KP
- Argentinisches Tageblatt
- 20 ago 2021
- 3 Min. de lectura
Von Ulf Mauder

Mit einem mehrtägigen Putsch im August 1991 wollten kommunistische Funktionäre den Zerfall der Sowjetunion stoppen. Die Bilder der Panzer in Moskau gingen um die Welt. Wenig später waren die UdSSR und ihr Präsident Gorbatschow Geschichte. Wäre das heute noch möglich?
Abgeschottet von der Welt sitzt Michail Gorbatschow in den Augusttagen vor 30 Jahren in seinem Sommerdomizil in Foros auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim. In Moskau rollen zu der Zeit Panzer durchs Stadtzentrum. Mit einem Putsch, der in der Nacht zum 19. August 1991 beginnt, versuchen Funktionäre aus dem inneren Kreis um den Kremlchef, den Zerfall der Sowjetunion zu verhindern. Die Atommacht scheint führungslos. Der Staatsstreich scheitert. Gorbatschow kehrt am 22. August 1991 von der Krim nach Moskau zurück. Doch wenig später sind er und das kommunistische Imperium Geschichte.
Auf die Tage, die damals die Welt in Atem halten, schaut der inzwischen 90 Jahre alte Gorbatschow in Moskau gelassen zurück. "Es zeigt, dass ich schwach bin. Ich habe keinem von ihnen den Kopf abgehauen", sagt er über die "Verräter" von damals. "Die Folgen ihrer riskanten Handlungen haben sich als katastrophal für das ganze Land erwiesen."
Die Unzufriedenheit im Land über Gorbatschows Politik der Perestroika (Umgestaltung) ist zu der Zeit groß. Das Land versinkt in Schulden; der für den Haushalt der Rohstoffgroßmacht wichtige Ölpreis ist im Keller. Die drei baltischen Staaten haben sich schon losgesagt von der UdSSR. Weitere Unionsstaaten drohen, dem Beispiel zu folgen. Er und seine Familie hätten am "Rande des menschlich Erträglichen" gelebt, schreibt Gorbatschow in einem neuen großen Aufsatz für das außenpolitische Portal globalaffairs.ru.
Gorbatschow erzählt auch in einem Gespräch mit dem Dokumentarfilmer Vitaly Mansky, dass er den Zerfall eines der größten und mächtigsten Länder der Erde nicht gewollt habe. "Ich hätte es verhindern können. Das hätte ich machen müssen", sagt er in dem Streifen "Gorbatschow. Paradies" (bei Arte online). In dem intimen Porträt betont der Friedensnobelträger aber auch, er bereue nicht, auf blutige Gewalt für den Machterhalt verzichtet zu haben.
In Moskau ist zu der Zeit - seit der ersten russischen Präsidentenwahl am 12. Juni 1991 - Boris Jelzin als machtbewusster Politiker auf der Bühne, der sich gegen Gorbatschow und die Kommunisten positioniert. Während der sowjetische Präsident isoliert auf der Krim sitzt, stellt sich Jelzin auf einen Panzer, um den Staatsstreich abzuwenden - und sich als neuer starker Mann in Moskau zu profilieren.
Wenig später lässt Jelzin die Kommunistische Partei verbieten. Und auch Gorbatschow muss im Dezember abtreten. Er hätte Jelzin, "eine impertinente Person", verjagen sollen, meint Gorbatschow. Jelzin habe nicht Wort gehalten, sich für den Erhalt der Sowjetunion einzusetzen, klagt Gorbatschow heute. "Er und sein Umfeld haben die Union ihrem unbändigen Streben geopfert, selbst im Kreml zu regieren." Nach rund 70 Jahren hört die Sowjetunion auf zu existieren.
30 Jahre nach diesen historischen Ereignissen macht die Mehrheit der Russen Gorbatschow weiter für den Zusammenbruch der Sowjetunion verantwortlich. Das geht aus einer Umfrage des staatlichen russischen Meinungsforschungsinstituts Wziom hervor. 67 Prozent der in einer repräsentativen Studie Befragten bedauern demnach aktuell auch den Zerfall des Imperiums, darunter viele junge Menschen. Befragt zu ihren Gefühlen ob des Endes der UdSSR nennen viele Trauer, Enttäuschung, Verärgerung und persönliche Kränkung.
"Diesen Prozess des Zerfalls aufzuhalten war unmöglich. Das ist die Logik der Geschichte", meint der Politologe Andrej Kolesnikow von der Denkfabrik Moskauer Carnegie-Center. Zwar sähen Geheimdienstler in Russland in solchen Fällen stets die USA als Strippenzieher hinter den Kulissen. Sie glaubten nicht an eine eigene Kraft des Volkes. Es gebe aber beim Zerfall von Imperien eine eigene Dynamik, stellt er fest.
Im heutigen autoritären politischen System unter Präsident Wladimir Putin seien Modernisierung, Demokratisierung und Liberalisierung wie unter Gorbatschow unmöglich, meint Kolesnikow. "Damit Veränderungen beginnen können, müssten der erste Mann im Staat und sein engster Kreis abtreten." Das Beispiel Gorbatschows schrecke die aktuellen Machthaber ab, Reformen anzugehen. Nach Jelzins Rücktritt in der Nacht zum Jahr 2000 habe Putin beinahe sofort damit begonnen, Russland einzufrieren. Nur ein neuer Gorbatschow könne das ändern.
Der Filmemacher Mansky sagt im Gespräch mit Gorbatschow in seiner Dokumentation, dass Russland unter Putin heute wieder eine "Diktatur" sei. Der frühere sowjetische Präsident, der einst mit seinen Reformen und seiner Politik von Glasnost (Offenheit) dem Land und dem Ostblock samt DDR beispiellose Freiheiten brachte, sagt aber auch, er glaube weiter fest an eine Demokratiefähigkeit Russlands.
Comments