Von Ulf Mauder
Bei den gerade auch von deutschen Sportlern gefeierten Europaspielen in Minsk sah sich Weißrusslands Staatschef Alexander Lukaschenko wieder in seinem Element. Vergessen schien alle Kritik von Menschenrechtlern etwa an zwei gerade vollstreckten Todesurteilen und der Unterdrückung Andersdenkender. Stattdessen ließ sich der 64-Jährige, der vor 25 Jahren (am 10. Juli 1994) erstmals Präsident wurde, feiern. Das Land zwischen EU-Mitglied Polen und Russland sieht sich inzwischen ganz selbstbewusst als „letzte Diktatur Europas“.
Keine politisch verantwortliche Persönlichkeit auf dem Kontinent ist so lange an der Macht wie Lukaschenko, der auch seinen Freund, den russischen Präsidenten Wladimir Putin, in puncto Amtsjahren in den Schatten stellt. Als „bekloppt“ bezeichnete der frühere Direktor eines sowjetischen Agrargroßbetriebs (Sowchose) einmal die westlichen Demokratien. Der Mann mit der hohen Stirn und dem markanten Schnauzer und begeisterte Eishockeyspieler meinte selbst einmal, er sei „lieber Diktator als schwul“.
Seine Sprecherin Natalja Eismont legte im Jubiläumsjahr nach; das hiesige Diktatur-Modell sei schon so etwas wie ein „Markenname“ für eine erfolgreiche Staatsform. „In der Welt könnte es zu einer Nachfrage nach Diktatur kommen“, meinte sie. Ringsum gebe es Chaos. In Weißrussland oder Belarus hingegen herrschten Disziplin und Ordnung. Unerwähnt bliebt, dass Lukaschenko politische Gegner ausschaltet, Wahlen und Medien steuert und seine Söhne in wichtigen Funktionen platziert und das Land insgesamt wie einen Familienbetrieb führt.
Experten sind der Meinung, dass die meisten Bürger in dem Land mit rund neun Millionen Einwohnern sich angesichts von Krieg und Armut im Nachbarland Ukraine abfinden mit ihrer Lage, die Ruhe und die Stabilität schätzen. Es gibt wenige kritische Stimmen von Einfluss wie die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch, die sich gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerks einsetzt.
„Taktik und Glück haben ihm geholfen, so lange an der Macht zu bleiben“, sagt Expertin Maryna Rakhlei, die für den deutschen Marshall Fund aktuell in ihrer Heimat unterwegs ist. Einen Teil des Erfolgs des Systems sieht sie auch darin, dass in Belarus anders als in Russland keine einflussreiche Oligarchenschicht zugelassen werde.
Lukaschenko beherrsche vielmehr eine „Schaukelpolitik“ zwischen der EU und Russland und habe es immer verstanden, einen Teil des Geldes an das Volk weiterzugeben, sagt Rakhlei. Auch China sei ein großer Investor in Belarus. Bei den Parlamentswahlen im Herbst und bei der Präsidentenwahl 2020 erwartet sie keine Veränderungen.
Zwar gebe es inzwischen zwei Oppositionspolitikerinnen im Parlament - und keine politischen Gefangenen mehr. Die Zivilgesellschaft und Kultur habe mehr Freiräume. Es entwickele sich eine lebendige IT-Szene. „Das sind aber nur kleine Zugeständnisse. Bei einer inneren oder äußeren Bedrohung lässt sich das rasch wieder zurückdrehen“, sagt Rakhlei. „Es gibt lediglich eine leichte Öffnung, keine strukturellen Reformen, so dass die Kontrolle nicht verloren geht.“
Überstanden hat Lukaschenko in einem Vierteljahrhundert an der Macht viel, darunter Sanktionen des Westens wegen des einst gewaltsamen Vorgehens gegen Oppositionelle. Auch prallt die Kritik an ihm ab, dass Weißrussland als letztes Land in Europa die Todesstrafe vollstreckt - und zwar per Genickschuss.
Die Bertelsmann Stiftung führte Belarus in ihrem Transformationsindex für Schwellen- und Entwicklungsländer von 2018 auf Platz 86 und damit noch hinter China (81) und deutlich hinter Russland (70). Zwar habe sich das Verhältnis zur EU und zu den USA normalisiert, aber demokratische Fortschritte seien nicht zu erwarten, hieß es in dem Länderbericht.
Zum Amtsjubiläum erinnern Minsker Medien an Lukaschenkos Weltreisen aus 25 Jahren. Und daran, wie der „Batka“ (Vater) genannte Staatschef seinen unehelichen Sohn Kolja mit zu Staatsvisiten nimmt. Fotos mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama und dem Papst im Vatikan sollen zeigen, dass der Autokrat überall willkommen ist.
Im Jahr des Jubiläums sind Stabilität und Souveränität Lukaschenkos Themen. Es geht darum, sich trotz der Abhängigkeit etwa von Russlands Öl und Gas nicht einverleiben zu lassen vom großen Nachbarn. Moskau und Minsk diskutieren gerade intensiv die Zukunft ihres schon vor Jahren gegründeten Unionsstaates.
Zudem dient sich Lukaschenko wieder als Dienstleister im Ukraine-Konflikt an. Schon 2015 war er Gastgeber der Friedensgespräche in Minsk mit Kanzlerin Angela Merkel, Putin und den Präsidenten der Ukraine und Frankreichs. Eine Neuauflage des Minsker Treffens ist im Gespräch. Und der als „bauernschlau“ beschriebene Lukaschenko hofft einmal mehr auf die große Bühne der Weltpolitik.
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