Von Stefan Kuhn
Elf Prozent, inzwischen darf man die Zahl in Buchstabe schreiben, bald wird sie einstellig sein. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa für die SPD nach der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zum neuen Führungsduo der Partei. Nun, ganz so tragisch ist das nicht, zwei Tage später sah sie ein anderes Institut bei 14 Prozent, und elf Prozent hatte Forsa auch schon im Juni ermittelt. Das Einzige, was diese Umfragen aussagen, ist, dass der Wechsel in der Parteiführung keinen „Schulz“-Effekt ausgelöst hat.
Vor nicht ganz zweieinhalb Jahren hat die SPD den Europa-Politiker Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten erkoren und mit 100 Prozent der Delegiertenstimmen zum Parteivorsitzenden gewählt. Damals ging ein Ruck durch die Partei, und in den Umfragen lag die SPD noch bis fünf Monate vor der Wahl bei Werten von über 30 Prozent. Zeitweise waren die Sozialdemokraten gleichauf mit der Union. Bei den Wahlen vom September 2017 kam die SPD dann auf 20,5 Prozent, CDU/CSU auf 32,9 Prozent. Im Klartext heißt das: Für die SPD wäre es besser, wenn das neue Duo die Partei langsam nach oben brächte und nicht schnell nach oben und dann auf die Realität der Tatsachen.
Einfach wird das nicht, denn Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sind nun wirklich nicht die Führungspersönlichkeiten, denen man zutraut, der kranken alten Tante SPD neues Leben einzuhauchen. Esken kommt aus dem baden-württembergischen Wahlkreis Calw und ist über die Landesliste in den Bundestag eingezogen. Mit 16,9 Prozent der Erststimmen fuhr sie dort kein überragendes Ergebnis ein. Immerhin gilt sie als Digitalexpertin, was zumindest in der modernen Berufswelt von Vorteil ist. Vielleicht auch in der Politik. Walter-Borjans hatte seine „fünf Minuten“ Ruhm als nordrhein-westfälischer Steuerjäger. Muss man den beiden eine Chance geben? Wenn man SPD-Mitglied ist, bleibt einem nichts anderes übrig.
Leicht werden es die beiden auf keinen Fall haben. Gewählt wurden sie gegen alle Vernunft. Die Strippen gezogen hat wohl der Juso-Chef Kevin Kühnert, der profilierteste aller GroKo-Gegner. Der Unmut über die große Koalition ist an der SPD-Basis so stark, dass das Ergebnis vorhersehbar war. Walter-Borjans und Eskens Problem ist jetzt allerdings, dass sie nicht liefern können. Ein Bruch der Regierung wäre politischer Selbstmord. Ein „weiter so“ Verrat an den Genossinnen und Genossen, denen man den Posten zu verdanken hat.
Nichts gegen Bauchgefühle, viele in der SPD wünschen sich die gute alte Zeit zurück. Die Zeit, in der die SPD noch links war. Das war Mitte der 1950er-Jahre als bei Parteitagen mit dem Vorsitzenden Erich Ollenhauer „Brüder zur Sonne, zur Freiheit...“ gesungen wurde. Gemäßigt links waren die Sozialdemokraten unter Kanzler Willy Brandt, so weit links, wie man es sich in einer Koalition mit der FDP halt leisten kann. Von SPD-Kanzler Helmut Schmidt hieß es, er sei der beste Kanzler, den die CDU je hatte, und der letzte SPD-Kanzler Gerhard Schröder wird mit seiner Agenda 2010, einer Reform der deutschen Sozialgesetzgebung als „Genosse der Bosse“ in die Geschichte eingehen. Schröder regierte damals mit den Grünen, einer Partei die man mehr im linken Spektrum verortete.
Die 1950er-Jahre sollte sich niemand zurückwünschen. Auch niemand in der SPD. Die Partei kam bei den Bundestagswahlen 1953 auf 28,8 der Stimmen und galt als nicht regierungsfähig. Heute wäre das zwar ein Traumergebnis für die Sozialdemokraten, aber damals gab es faktisch schon ein Dreiparteiensystem. Links von der SPD gab es keine Partei im Bundestag.
Heute hat sich das Parteiensystem drastisch verändert. Die Links-Rechts-Blöcke aus CDU/CSU und SPD, bei denen die FDP das Zünglein an der Waage war, haben sich schon 1983 mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag verändert. Ab diesem Zeitpunkt gab es nur die Option CDU/CSU und FDP oder SPD und Grüne. Als nach der Wiedervereinigung auch noch die PDS, die heutige Linkspartei mitmischte, hat sich der Block links von der Mitte weiter gespalten. Inzwischen ist auch noch die rechtspopulistische AfD hinzugekommen. Bisher sind diese Halbnazis noch Parias. Niemand will mit ihnen koalieren. Allerdings gibt es im Osten schon starke Gruppen in der CDU, die ein Regierungsbündnis mit den Rechtspopulisten befürworten. Das wäre nicht die schlechteste Idee. Mit Argumenten kann man die AfD nicht bekämpfen. Sie muss sich selbst entzaubern.
Doch das hat mit der Lage der SPD nur am Rande zu tun. Die parteipolitische Zersplitterung, die Weigerung der FDP eine Jamaika-Koalition einzugehen und der Druck des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, sich mit den Unionsparteien zu einigen, hat die SPD in die Lage gebracht, in der sie sich jetzt befindet. Sie erinnert etwas an die Endzeit der sozialliberalen Koalition 1982. Die SPD hatte sich von ihrem Kanzler Helmut Schmidt entfernt. Heute stellt sie nicht mehr den Kanzler bzw. die Kanzlerin. Die Partei entfernt sich von ihren Ministern.
Mag sein, dass die Koalition bis zum Wahltermin 2021 hält. Außer den Grünen oder der AfD dürfte keine Partei Interesse an Neuwahlen haben. Das wird jedoch das neue SPD-Führungsduo nicht gerade stärken. Ganz nüchtern betrachtet, wäre es besser gewesen die Genossinnen und Genossen hätte Olaf Scholz und Klara Geywitz gewählt. Scholz ist Wirtschaftsminister und Vizekanzler, er wäre der ideale Kanzlerkandidat gewesen. Seine Gegner wären die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, der CSU-Chef Markus Söder oder auch Friedrich Merz gewesen. Scholz hätte da eine Chance gehabt, Walter-Borjans und Esken haben da einen weiten Weg vor sich.
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