Von Joachim Mangler und Andreas Hoenig
Die Kanzlerin ist wieder da. Angela Merkel ist zurück aus dem Urlaub: Sie wirkt gut erholt, und ihre ersten öffentlichen Auftritte sind ein Heimspiel - in ihrem Wahlkreis in Vorpommern. In Greifswald besucht sie eine Schule, in Stralsund stellt sich Merkel Fragen von Lesern. Berlin ist zwar gefühlt weit weg, die großen Themen dieser Zeit sind es aber nicht: Migration, Konjunkturschwäche, Pflege, die bevorstehenden Wahlen im Osten - und vor allem Klimaschutz.
In gut einem Monat, am 20. September, will das sogenannte Klimakabinett der Bundesregierung unter Vorsitz Merkels wegweisende Entscheidungen treffen und ein Maßnahmenpaket beschließen, das die Antwort sein soll auf die Frage: Wie können deutsche Klimaziele erreicht werden? Vieles liegt auf dem Tisch. Umstritten ist vor allem, wie eine CO2-Bepreisung aussehen soll - um den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) zu verteuern und damit klimafreundliche Technologien zu fördern. Dass es das geben wird, macht Merkel klar: „Wir werden eine Bepreisung von CO2 brauchen.“
Und die Kanzlerin sagt in Stralsund auch, wohin der Weg aus ihrer Sicht gehen soll: Sie bekundet klar Sympathie für das Modell eines Handels mit Emissionszertifikaten. Das habe den Vorteil, dass man die Menge der „Gutscheine“ und damit auch die Menge der ausgestoßenen Treibhausgase steuern könne. Deshalb finde sie „von der Theorie her“ so einen Handel besser als eine Preiserhöhung über Steuern. Bei einer Steuer wisse man „nie, ob ich wirklich die Reduktion schaffe, die ich schaffen muss“.
Merkel wird grundsätzlich in Stralsund. Es könne auch ein gutes Gefühl sein, anders über Dinge nachzudenken. „Der Mensch ist doch immer auf dem Weg zu versuchen, besser zu leben“, sagt sie. „Und wenn man jetzt mitgeteilt bekommt, dass wir im Grunde unseren eigenen Planeten ruinieren - das möchte doch eigentlich keiner.“
Doch nicht nur das Thema Klimaschutz bewegt die Leute in Stralsund. 20 Fragen dürfen gestellt werden, mehr als 200 Leser der „Ostsee-Zeitung“ sind gekommen. Und so versucht Merkel trotz schwieriger CDU-Umfrage-Ergebnisse vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg Anfang September Optimismus zu verbreiten.
Angesprochen auf ein mögliches Ende der Koalition meint Merkel, die Frage stelle sich nicht, man müsse regieren. Es gebe große Herausforderungen, man lebe in „revolutionären Zeiten“, sagt sie mit Blick auf die rasanten Veränderungen durch den digitalen Wandel. So ähnlich hat sich die Kanzlerin auch vor ihrem Sommerurlaub Mitte Juli vor der Hauptstadtpresse präsentiert. Tenor: „Sie kennen mich - ich bin handlungsfähig.“
Auf mögliche gesundheitliche Probleme wegen ihrer Zitteranfälle ging sie damals nicht konkret ein, das macht sie in Stralsund auch nicht. Aber so viel: Sie verstehe schon, dass Menschen Fragen hätten und sich auch Sorgen machten - aber sie habe die Pflicht, ihre Aufgaben zu erfüllen. Und Merkel wird emotional, für ihre Verhältnisse. Eine Leserin will wissen, wie das ist, wenn so viel Privates in der Öffentlichkeit ist und erwähnt auch den Tod von Merkels Mutter. Merkel antwortet, wenn man in die Politik gehe, wisse man, dass man eine Person des öffentlichen Lebens sei. Aber dann sagt sie auch: „Ich wünsche mir, dass es einen Raum gibt, in dem ich traurig sein darf“ - und auch froh.
Es ist ein bunt gemischtes und sehr aufmerksames Publikum in Stralsund, die Fragen sind überwiegend sachlich. Nur einmal muss sich die Kanzlerin harte Vorwürfe gefallen lassen wegen ihrer Migrationspolitik. Merkel kontert souverän und verteidigt ihren Kurs.
Vor allem zum Ende des gut anderthalbstündigen Leserforums hin, wird es persönlicher. Was sie nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft mache? Sie werde keine politischen Ämter mehr annehmen, bekräftigt Merkel. Sie sei dann mehr als 30 Jahre lang in der Politik gewesen - das sei kein „Schnupperkurs“ mehr. Wie sieht für die Kanzlerin ein freier Tag aus? Sie schlafe dann gerne länger, frühstücke in Ruhe, gehe an die frische Luft. „Und ich koche gerne.“ Abends gehe sie dann gerne in die Oper oder ins Konzert. Und ganz zum Schluss kommt die Frage, was denn in 50 Jahren über Angela Merkel in den Geschichtsbüchern stehen solle. Merkel zitiert einen ihrer Vorgänger, Willy Brandt (SPD): „Sie hat sich bemüht.“
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