Von Stefan Kuhn
Mag sein, dass es nur ein Sommerlochthema ist, aber die Debatte kommt zur Unzeit. Jetzt hat sie auch die SPD erwischt. Die Partei sucht mehr oder weniger öffentlich nach einem Kanzlerkandidaten bzw. nach einer Kanzlerkandidatin. Das wird vor allem die Grünen freuen, denn diese mussten sich schon länger der Frage verwehren, wer von der Doppelspitze ins Rennen geht. Annalena Baerbock oder Robert Habeck? Zu Jahresbeginn lag die Partei Bündnis 90/Die Grünen bei Werten von 24 Prozent in den Umfragen teilweise nur zwei Prozentpunkte hinter den Unionsparteien. Die Kanzlerkandidatur stand plötzlich zur Debatte.
Die Grünen ließen sich nicht darauf ein. Was Umfragen angeht, sind sie gebrannte Kinder. Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima 2011 erreichten sie Werte um die 20 Prozent und überholten die zweitplatzierte SPD. Bei den Bundestagswahlen 2013 kamen sie mit knapp über 10 Prozent nur auf den vierten Platz. Die Frage, ob man einen Kanzlerkandidaten oder eine Kandidatin aufstellt, ist auch etwas heikel. Bei kleinen Parteien wird dies vom Wahlvolk eventuell als Anmaßung empfunden. 2002 hatte die FDP mit Guido Westerwelle zum ersten Mal in ihrer Geschichte einen Kanzlerkandidaten präsentiert und wollte 18 Prozent der Stimmen (Projekt 18) erreichen. Es wurden 7,4 Prozent und Platz vier. Seither stellen die Liberalen wieder "Spitzenkandidaten" auf.
Auf der anderen Seite kann der Verzicht auf einen Kanzlerkandidaten auch als mangelndes Selbstvertrauen interpretiert werden. Man gibt die Wahl schon verloren. Die SPD, die in der Geschichte der Bundesrepublik drei Mal stärkste Partei wurde und sonst immer auf Platz zwei kam, könnte sich das nicht leisten. Die Grünen werden wohl die Umfragen abwarten. Derzeit liegen sie immer noch vor der SPD, aber der Abstand zur Union hat sich auf 17 bis 20 Prozentpunkte vergrößert. Das mag nichts heißen, denn CDU/CSU verdanken ihren Höhenflug dem Krisenmanagement von Bundeskanzlerin Angel Merkel, und die wird nicht mehr kandidieren.
Die SPD hat in dieser Hinsicht ein großes Problem. Ihr neues Führungsduo Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ist angetreten, um der Partei ein mehr links orientiertes Profil zu geben. Doch der derzeit am meisten Erfolg versprechende SPD-Kandidat wäre der Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz. Er liegt hinter Merkel auf Platz zwei der beliebtesten Regierungspolitiker. Das würde eine gute Ausgangsposition für die Bundestagswahlen in gut einem Jahr bedeuten. Allerdings war Scholz der Hauptgegner von Esken und Walter-Borjans bei der Wahl zum Parteivorsitz. Scholz zum Kanzlerkandidaten zu machen, würde signalisieren, dass die Entscheidung der Parteibasis für Esken und Walter-Borjans ein großer Irrtum war. Das war er auch.
Immerhin muss man dem SPD-Führungsduo zugute halten, dass sie das Wohl der Partei im Auge haben. Keiner von den beiden will selbst kandidieren. Andere allerdings auch nicht. Mit Frank-Walter Steinmeier (2009), Peer Steinbrück (2013) und Martin Schulz (2017) sind schon bekanntere Genossen gescheitert. Und die Partei hat derzeit wenige Politstars. Arbeitsminister Hubertus Heil, der jetzt die Grundrente durchgesetzt hat, wäre neben Scholz einer der wenigen. Dass er sich als Zählkandidat hergibt, ist wenig wahrscheinlich. Und auf Länderebene herrscht bei den Sozialdemokraten ebenfalls Flaute. Die Ministerpräsidentinnen von Mecklenburg-Vorpommern (Manuela Schwesig) und Rheinland-Pfalz (Malu Dreyer) haben deutschlandweit Profil. Sie waren auch Interimsvorsitzende der Partei. Doch Schwesig hat vor kurzem eine Krebserkrankung überstanden, und Dreyer ist an Multiple Sklerose erkrankt. Die Länderchefs von Brandenburg (Dietmar Woidke), Bremen (Andreas Bovenschulte) und Hamburg (Peter Tschentscher) sind kaum bekannt. Niedersachsens Landesvater Stephan Weil wäre noch eine Option. Er war der einzige Sozialdemokrat, der seit den letzten Bundestagswahlen für die SPD eine Wahl überzeugend gewonnen hat.
Inzwischen soll die Parteispitze auch beim DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann angefragt haben. Der Mann ist zwar Sozialdemokrat, soll aber dankend abgelehnt haben. Bei Umfragewerten von 15 Prozent will sich kaum ein Genosse verheizen lassen. Fakt ist, dass die SPD mit einem Parteichef Scholz derzeit wesentlich besser dastehen würde.
Bis zum europäischen Herbst will die Partei über einen Kanzlerkandidaten entscheiden. Sie sollte sich nicht unter Druck setzen. Noch steht die Wahl zum Parteivorsitzenden der CDU aus. Da sind der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen im Rennen. Die Entscheidung darüber wurde wegen der Corona-Pandemie vertagt. Laschet dürfte die besten Chancen haben, denn der Außenpolitiker Röttgen konnte sich in der Corona-Krise kaum profilieren und Merz, einst der Darling der konservativen CDU-Basis, noch weniger. Doch dies sagt absolut nichts über die Kanzlerkandidatur der Unionsparteien aus. Es gibt auch noch die bayrische Schwesterpartei CSU. Markus Söder, der Parteivorsitzende und Bayerns Ministerpräsident, hält sich in dieser Frage nur halbwegs zurück. Er meinte kürzlich, dass ein Kanzlerkandidat an der Bewältigung der Corona-Krise gemessen werden müsse. Damit meinte er sich selbst, denn Bayern steht in dieser Hinsicht besser da als Nordrhein-Westfalen.
Derzeit sieht es nach einem Dreikampf zwischen Söder, Habeck und Scholz aus, aber wer weiß. Vielleicht bittet die Union ja Angela Merkel, noch einmal zu kandidieren. Die Umfragen würden das mehr als rechtfertigen.
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