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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Im Nahen Osten nichts Neues

Von Stefan Kuhn

Nein, keine Wählerschelte. Es ist, wie es ist. Israel bleibt ein rechtspopulistisches Land. Benjamin Netanjahu hat die Parlamentswahlen gewonnen und wird wohl eine fünfte Amtszeit antreten. Im Juni wird er den Staatsgründer David Ben Gurion überholen und der am längsten regierende Ministerpräsident des Landes sein. Viele in der Welt jenseits von Trump, Putin, Orban und Co. hatten sich einen Sieg des Zentrumspolitikers Benny Gantz gewünscht. Dessen neugegründete „Blau-Weiß“-Partei lag am Ende gleichauf mit Netanjahus Likud, doch der Regierungschef hat am rechten Rand mehr Koalitionspartner als Gantz links der Mitte. Die Hoffnung auf einen Politikwechsel im Nahen Osten ist vorerst gestorben.

Dass Netanjahu es wieder geschafft hat, ist eigentlich erstaunlich. In der Wahl ging es nicht um links oder rechts, um Tauben oder Falken. In Gantz‘ Partei, deren Name Blau-Weiß der israelischen Nationalflagge entspricht, gibt es geballte Militärerfahrung. Gantz war vier Jahre lang Generalstabschef und zwei Jahre Oberbefehlshaber des Heeres. Mit Mosche Jaalon und Gabi Aschkenasi gehören der Partei noch zwei weitere ehemalige Generalstabschefs an. Blau-Weiß an der Regierung wäre kaum ein Sicherheitsrisiko gewesen. Doch selbst in Städten und Siedlungen, die vom Raketenterror der Hamas betroffen sind, lag die Likud-Partei deutlich vorn. Das heißt, obwohl man in einem Jahrzehnt Netanjahu-Regierung ständig Raketenbeschuss ausgesetzt war, vertraut man dieser Regierung mehr als den kampferprobten Generalen von Blau-Weiß. Vermutlich muss man in Israel leben, um das zu verstehen.

Der neuen Partei fehlte es auch nicht an politischer Erfahrung: Jaalon und Jair Lapid, der zweite Mann der Partei, hatten als Verteidigungs- bzw. als Finanzminister bedeutende Posten in Netanjahu-Kabinetten. Das mag zum guten Wahlergebnis von Blau-Weiß beigetragen haben, für den großen Erfolg hat es nicht gereicht.

In den letzten Tagen vor der Wahl hatte Netanjahu allerdings offene externe Wahlkampfhilfe. US-Präsident Donald Trump erkannte die von Israel besetzten Golanhöhen als israelisches Staatsgebiet an, und der russische Präsident Wladimir Putin empfing Netanjahu fünf Tage vor der Wahl im Kreml. Dabei ging es um die Rückgabe der Gebeine eines vor 37 Jahren in Syrien gefallenen israelischen Soldaten. Am Wahltag stand „Bibi“, wie ihn Gegner und Freunde nennen, als der mit allen Wassern gewaschene Weltpolitiker da.

Noch erstaunlicher ist, dass Netanjahu die Korruptionsermittlungen gegen ihn nicht geschadet haben. Israels Generalstaatsanwalt will ihn wegen Betrugs, Bestechlichkeit und Untreue anklagen. Der Regierungschef selbst hat das immer als Hexenjagd bezeichnet und die Anschuldigungen als Lappalien abgetan. Das haben die Wählerinnen und Wähler wohl auch so gesehen.

Vor einem Urteil gilt auch für Politiker die Unschuldsvermutung, aber in den meisten Ländern würden Politiker, denen man vorwirft, den Staat als Selbstbedienungsladen zu benutzen und großzügige Geschenke von Unternehmen angenommen zu haben, keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen.

Ein künftiger Prozess und eine Verurteilung ist wohl das größte Risiko der fünften Amtszeit von Benjamin Netanjahu. Unwahrscheinlich ist das nicht, bei Korruption versteht Israels Justiz keinen Spaß. Schon Netanjahus Vorgänger Ehud Olmert wurde wegen Bestechlichkeit verurteilt. Im Fall einer Verurteilung würde es wohl Neuwahlen geben, und Gantz hätte eine zweite Chance - eine große, denn Likud ist Netanjahu.

Nun könnte Netanjahu natürlich seine fünfte Amtszeit dafür nutzen, einen Prozess gegen ihn zu verhindern. Sei früherer italienischer Amtskollege Silvio Berlusconi hat „gefühlt“ seine gesamte Amtszeit der Prozessvermeidung gewidmet. Vorstellbar ist ein Immunitätsgesetz, das Regierungsmitglieder während ihrer Amtszeit vor Prozessen schützt. Dafür braucht Netanjahu allerdings die Hilfe der religiösen und ultrarechten Parteien, und denen muss er etwas bieten. Etwa die Annektierung der israelischen Siedlungen im Westjordanland, die der Regierungschef im Wahlkampf angekündigt hat. Bei seinen Koalitionspartnern steht er hier im Wort. Auf der anderen Seite dürfte selbst US-Präsident Trump seine Schwierigkeiten mit der Anerkennung dieser Siedlungen als israelisches Staatsgebiet haben. Die Europäische Union wird Sturm laufen, auch Deutschland könnte dem kaum zustimmen.

Viel schlimmer wird die Reaktion der muslimischen Staaten sein. Länder wie Jordanien oder Ägypten dürften innenpolitische Schwierigkeiten bekommen, ihr mehr oder weniger freundschaftliches Verhältnis zu Israel zu begründen.

Netanjahus Wahlsieg war ernüchternd. Er bedeutet, dass sich im Nahen Osten in nächster Zukunft wenig ändert. Und wenn doch, dann nicht zum Guten. Er war enttäuschend, weil in Israel offenbar eine Mehrheit gar nicht will, dass sich etwas ändert.

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