Von Stefan Kuhn
Kann er das? Natürlich kann er das. Olaf Scholz kann Kanzler. Er hat Regierungserfahrung, mit Hamburg hat er schon ein Bundesland regiert. Als derzeitiger Bundesfinanzminister und früherer Minister für Arbeit und Soziales hat er Wirtschafts- und Sozialkompetenz. Und er ist Vizekanzler. An seiner Nominierung zum SPD-Kanzlerkandidaten führte eigentlich kein Weg vorbei. Höchstens er selbst hätte Nein sagen können. Nein, weil ihn die Partei im letzten Jahr gekränkt hatte. Die Mitglieder hatten die Parteilinken Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als Parteispitze bevorzugt.
Die beiden agierten bisher allerdings eher unglücklich. Weder Esken noch Walter-Borjans kämen ernsthaft für eine Spitzenkandidatur in Frage. Andere SPD-Aktivposten wie der derzeitige Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil, Außenminister Heiko Maas oder die Ministerpräsidentinnen Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) oder Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) aus unterschiedlichen Gründen ebenfalls nicht. Scholz ist der einzige, der nicht nur ein Zählkandidat ist.
Doch das galt auch schon für seine Kandidatenvorgänger. 2009 kandidierte der damalige Außenminister und Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier. Der heutige Bundespräsident holte für die Partei das bis dahin schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. 2013 trat der frühere Finanzminister Peer Steinbrück an. Er konnte den Stimmenanteil der SPD nur leicht ausbauen. An das Debakel von Martin Schulz, immerhin Ex-Präsident des Europäischen Parlaments, vor knapp drei Jahren kann man sich noch gut erinnern. 20,5 Prozent waren der absolute Tiefpunkt.
Scholz hat den Vorteil, dass er nicht wie seine Vorgänger gegen Angela Merkel antreten muss. Als Vizekanzler ist er der zweite Mann in der Regierung, und im Beliebtheitsranking steht er ebenfalls auf Platz zwei hinter Merkel. Scholz' große Gegner dürften Armin Laschet, Friedrich Merz oder Markus Söder heißen. Immer vorausgesetzt, dass CDU und CSU nicht Angela Merkel auf Knien bitten, es doch noch mal zu machen.
Das Problem der Sozialdemokraten sind allerdings nicht die großen Gegner aus CDU/CSU. In ihrem derzeitigen Zustand würde die SPD auf jeden Fall unterliegen, ganz egal, wer für die Union ins Rennen geht. Zulegen und die Distanz verringern, heißt die Devise. Alles über 20 Prozent wäre bei derzeitigen Umfragewerten von 14 bis 16 Prozent ein Erfolg. Das Problem der SPD ist der gleichgroße Gegner. In den jüngsten Umfragen liegen die Sozialdemokraten knapp hinter oder gleichauf mit den Grünen. Scholz hat nur eine geringe Chance auf die Kanzlerschaft, und das ist eine Linksregierung mit den Grünen und den Linken. Dafür müsste er die Grünen aber auf jeden Fall hinter sich lassen.
Laut Umfragen gibt es derzeit keine solche Mehrheit. Die drei Parteien kommen auf 40 bis 43 Prozent. Für Rot-Grün-Rot müsste die FDP den Einzug in den Bundestag verpassen, die AfD unter 10 Prozent liegen und die Unionsparteien sich der 30-Prozent-Marke nähern. Ganz unwahrscheinlich ist das nicht, aber es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass die AfD wieder die SPD überholt und sich die Grünen CDU und CSU nähern. Union und SPD profitieren derzeit von Corona. Sie sind die Krisenmanager und werfen mit Milliarden um sich. Aber der Wind könnte sich drehen. Die Corona-Müdigkeit nimmt zu, und die rechtspopulistische AfD versucht, dies zu nutzen.
Ein große Hürde für Rot-Grün-Rot ist inzwischen beseitigt. SPD und Linke haben Bereitschaft für eine Zusammenarbeit signalisiert. Noch fehlen die Grünen, doch die werden sich kaum festlegen. Derzeit ist Schwarz-Grün, eine Koalition von CDU/CSU und Grünen, die einzig denkbare Regierungskonstellation. Vorbehaltlos zustimmen dürften die Grünen einer Linksregierung nur, wenn der Kanzler Robert Habeck heißt oder die Kanzlerin Annalena Baerbock. In diesem Fall könnte allerdings die SPD zicken. Es gibt warnende Beispiele, was passieren kann, wenn zwei annähernd gleichstarke Partner eine Regierung bilden. 2005 trennte CDU/CSU und SPD nur ein Prozentpunkt. Die CDU-Chefin Angela Merkel wurde Kanzlerin, und vier Jahre später verloren die Sozialdemokraten bei den Bundestagswahlen mehr als 11 Prozentpunkte. Ähnlich war es 2011 in Baden-Württemberg. Dort wurde der Grüne Winfried Kretschmann in einer Koalition mit der fast gleichstarken SPD Ministerpräsident. Bei den Wahlen 2016 verlor die SPD zweistellig und ist nur noch viertstärkste Fraktion im Stuttgarter Landtag. Die Grünen holten ein Rekordergebnis und sind nun stärkste Partei im Südwesten. Als Juniorpartner in einer von den Grünen geführten Koalition könnten die Sozialdemokraten wieder Ähnliches durchleben.
Scholz hat aber gute Chancen, die Grünen auf Distanz zu halten. Diese haben den Nachteil, dass sie in der Opposition auf Bundesebene keine Akteure bei der Bewältigung der Corona-Krise sind. Sie können wie bei der Flüchtlingskrise auch kaum Gegenakzente setzen, denn sie stehen im Großen und Ganzen hinter der Regierungspolitik.
Als Nachteil für die SPD erscheint für viele der frühe Zeitpunkt der Nominierung. Da ist was dran. Je früher ein Kandidat ins Rennen geht, desto länger hat er Zeit, sich selbst zu demontieren oder demontiert zu werden. Scholz' Vorgänger Martin Schulz wurde fast ein halbes Jahr später Kanzlerkandidat und fiel nach Umfragehochs ins Bodenlose. Eine frühe Nominierung könnte dagegen aber auch die parteiinternen Querelen beenden. Aber dafür muss die Partei diszipliniert sein und hinter ihrem Kandidaten stehen. In dieser Hinsicht bestehen bei der SPD berechtigte Zweifel.
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