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Im Blickfeld: Grüne mit Hoffnung

Von Stefan Kuhn

Jetzt sind die Grünen endlich angekommen. Wenn man nur wüsste, wo? Am Wochenende hat die Partei in Bielefeld ihren Parteitag abgehalten. Das Führungsduo Annalena Baerbock und Robert Habeck wurde mit Rekordergebnissen im Amt bestätigt. Baerbock kam auf 97,1 Prozent, Habeck holte immerhin 90,4 Prozent. Solche Ergebnisse kannte man früher nur von den Parteitagen der großen Volksparteien CDU/CSU und SPD, und die träumen heute von diesen Zeiten. Bei der SPD hat gerade die zweite Runde der Wahl der Vorsitzenden begonnen. Die Entscheidung zwischen den Duos Klara Geywitz/Olaf Scholz und Saskia Esken/Norbert Walter-Borjans dürfte knapp werden. Knapp war auch die Entscheidung der CDU für Annegret Kramp-Karrenbauer. So knapp, dass der am heutigen Freitag beginnende Parteitag der Christdemokraten nicht so harmonisch ablaufen dürfte wie derjenige der Grünen.

Das war nicht immer so in Bielefeld. Vor 20 Jahren fand dort der denkwürdige Parteitag statt, bei dem die Grünen ihre Abkehr vom Pazifismus vollzogen. Damals ging es um eine Zustimmung zum Kosovo-Einsatz der Bundeswehr und den Fortbestand der ersten rot-grünen Bundesregierung. Die Mehrheit der Partei zog mit, aber es kam zu Ausschreitungen im Saal und der Grünen-Frontmann, Außenminister Joschka Fischer, wurde durch einen Fahrbeutel verletzt. Damals wurden die Grünen „erwachsen“, das heißt regierungsfähig. Sie haben entschieden, eine Grundposition aufzugeben, um an der Macht zu bleiben. Auf der anderen Seite bestätigten die Bilder von der Bundesversammlung, das damals weit verbreitete Bild von der Chaos-Partei. Gleichzeitig verloren die Grünen Anhänger, die in Zeiten der Friedensbewegung zu ihnen gestoßen waren. Bei den folgenden Landtagswahlen erlitt die Partei durchgängig Verluste, zum Teil recht deutliche.

Solche Tumulte müssen die Grünen heute nicht mehr befürchten. Bei den letzten Wahlen ging es mehr darum, dass die Parteitagsdelegierten Anträge annahmen, die in etwaigen Koalitionsverhandlungen auch nicht ansatzweise durchsetzbar gewesen wären. Andere Vorschläge wie den Veggietag, eine im Grünen-Programm nicht näher definierte Initiative zu einem fleischfreien Tag, wurden vor den Bundestagswahlen 2013 derart aufgebauscht, dass die Grünen als Verbotspartei dastanden. Das waren sie damals schon nicht, und inzwischen sind sie so machtorientiert, dass sie jeglichen Zwist von ihrem Parteitag verbannen.

Die Grünen müssen vorsichtig sein. Derzeit sind sie in einem Umfragehoch und hinter den Unionsparteien zweitstärkste Kraft in Deutschland. Real sind sie die kleinste Oppositionspartei im Bundestag. Hinter der AfD, der FDP und sogar der Linken. Und das Umfragehoch ist eben nur ein Umfragehoch. Die Grünen hatten schon zweimal solche demoskopische Höhepunkte. Vier Monate vor der Berliner Abgeordnetenhauswahl im September 2011 lagen die Prognosen für die Grünen bei teils über 30 Prozent. Mehrere Umfrageinstitute sahen sie als stärkste Partei. Am Ende holten die Grünen mit 17,6 Prozent ein Rekordergebnis, aber es war eine gefühlte Niederlage.

Noch ernüchternder war das Bundestagswahlergebnis von 2013. Damals verloren die Grünen 2,3 Prozentpunkte gegenüber 2009 und kamen nur noch auf 8,4 Prozent. Das allein ist schon ein gewaltiger Dämpfer. Weitaus bitterer ist, dass die Grünen zwei Jahre vor der Wahl lange Umfragewerte von mehr als 25 Prozent hatten und zeitweilig mit über 30 Prozent vor der SPD und knapp hinter der Union lagen. Heute ist das ähnlich. Bis zur regulären Wahl fehlen zwei Jahre. Bis vor Kurzem hatten die Grünen Umfragewerte von über 25 Prozent, und jetzt liegen sie bei 20 Prozent.

Der damalige demoskopische Höhenflug der Grünen hatte natürlich einen guten Grund. Die Nuklearkatastrophe von Fukushima vom März 2011 verschaffte der Partei Auftrieb, die seit ihrer Gründung konsequent gegen die Kernenergie kämpfte. Pech für die Grünen, dass die damalige, von Angela Merkel geführte Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP, die den von der rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie entschleunigen wollte, eine Kehrtwendung vollzog. Gelb-Schwarz wollte plötzlich noch früher als Rot-Grün aussteigen.

Aber der demoskopische grüne Rausch hat auch etwas anderes gezeigt. Fukushima hat auch die Landtagswahl vom März 2011 in Baden-Württemberg beeinflusst. Die Grünen konnten ihren Stimmenanteil verdoppeln und kamen auf 24,2 Prozent, die christdemokratischen Platzhirsche auf 39 Prozent, und die SPD auf 23,1 Prozent. Es kam zu einer grün-geführten Regierung mit der SPD. Winfried Kretschmann wurde Ministerpräsident. Er ist es immer noch. Fukushima ist Vergangenheit, und Kretschmann regiert inzwischen mit der CDU als Juniorpartner. Bei den letzten Landtagswahlen machte er die Grünen zur stärksten Partei. Der Ministerpräsident hat Zustimmungswerte von bis zu 70 Prozent.

Wo er in Stuttgart ist, wollen die Grünen auch in Berlin hin. Dabei versuchen sie, störende Geräusche zu verhindern. Keinen Krach, keine Kanzler*innen-Diskussion. Die Grünen haben bei den jüngsten Landtagswahlen im Osten der Republik Federn gelassen. In Thüringen sind sie als Regierungspartei nur noch knapp in den Landtag eingezogen. Wo die Partei steht, wenn die Bundesregierung bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 durchhält, kann man nur ahnen. Sollte die große Koalition in nächster Zukunft platzen, stünden die Grünen nach Bielefeld 2 äußerst gut da.

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