Von Marcus Christoph
Oft schon schien Diego Maradonas Leben dem Ende nahe. Doch immer wieder kam das Stehaufmännchen zurück. Von daher fällt es vielen schwer zu realisieren, dass der einstige Fußball-Weltstar und Nationalheld am vorgestrigen Mittwoch nun tatsächlich gestorben ist. An einem 25. November, demselben Datum, an dem vier Jahre zuvor auch sein (politisches) Vorbild Fidel Castro verschied. Keine vier Wochen ist es her, dass Maradona 60 Jahre alt wurde.
„Diego war Argentinien in der Welt“, brachte es Staatspräsident Alberto Fernández sehr treffend auf den Punkt, der sogleich eine dreitägige Staatstrauer verordnete. Allein dies macht deutlich: Maradona war weit mehr als „nur“ einer der genialsten Fußballer aller Zeiten. Er war mit seiner Art, seiner besonderen Persönlichkeit und auch mit seinen Schwächen eine Identifikationsfigur für Millionen.
Lionel Messi mag als Fußballer ähnlich begnadet und als Vereinsspieler deutlich erfolgreicher sein. Doch Maradona spielte sich ungleich mehr in die Herzen der Argentinier. Schon seine persönliche Geschichte hatte etwas Märchenhaftes: Aufgewachsen im Armenviertel Villa Fiorito am Südrand von Buenos Aires, war der Fußball seine Chance, dem Elend zu entkommen. Er erzählte einmal, dass er zu seinem dritten Geburtstag einen Fußball bekam. Das Runde Leder sollte fortan sein Leben bestimmen.
Im Alter von neun Jahren wurde der Straßenkicker von einem Talentsucher der Argentinos Juniors entdeckt. Schnell entwickelte er sich zum Pibe de Oro, zum Goldjungen. Mit 15 debütierte er in der Ersten Liga, mit 16 in der Nationalelf. Mit seinen unwiderstehlichen Dribbelkünsten empfahl er sich für Höheres. Er wechselte zu Boca Juniors, dem Lieblingsclub seines Vaters, wo er ebenfalls schnell zum Volkshelden wurde.
1982 setzte er seine Karriere in Europa fort. Zunächst wenig glücklich beim FC Barcelona, wo er mit dem deutschen Trainer Udo Lattek gar nicht zurecht kam. Viel besser passte zu ihm der SSC Neapel, wo er von 1984 bis 1991 vielleicht seine größte Zeit im Vereinsfußball erlebte. Mit den Underdogs aus dem armen Süden Italiens gewann er die bislang beiden einzigen Meisterschaften des Clubs. Dazu noch den UEFA-Cup. Die Folge: Die Verehrung Maradonas in Neapel nahm geradezu religiöse Züge an.
In die Geschichtsbücher des Fußballs schrieb Maradona sich vor allem durch seine glanzvollen Auftritte bei der WM 1986 in Mexiko ein. Jede Mannschaft, die Maradona in ihren Reihen gehabt hätte, wäre Weltmeister geworden, sagte Carlos Bilardo, der damalige Coach der „Albiceleste“, damals.
In dauerhafter Erinnerung bleiben wird vor allem die Viertelfinalpartie gegen England. Dabei hatte Maradona auch großes Glück, dass der tunesische Schiedsrichter Ali Bin Nasser das krasse Handspiel nicht sah, mit dem der gerade 1,65 Meter große Argentinier den Ball zum 1:0 über den fast 20 Zentimeter größeren englischen Keeper Peter Shilton hinweghob. Die „Hand Gottes“ war geboren. Nur vier Minuten später legte Maradona aber ein unglaubliches Solo hin, bei dem er die Engländer reihenweise aussteigen ließ und dann einnetzte. Es war das „WM-Tor des Jahrhunderts“. Maradona sagte einmal, das erste Tor habe ihm besser gefallen. „Es war in etwa so, als würde ich den Engländern die Brieftasche klauen.“ Die Kriegsniederlage gegen die Briten im Kampf um Malwinen lag damals erst vier Jahre zurück.
Auch das Halbfinale gegen Belgien entschied Maradona mit zwei Geniestreichen fast im Alleingang, und im Finale gegen Deutschland spielte er den entscheidenden Pass, den Jorge Burruchaga zum 3:2-Siegtreffer verwertete. Wohl nie zuvor hatte ein einzelner Spieler einer Weltmeisterschaft so derartig seinen persönlichen Stempel aufgedrückt. Es folgte eine Vizeweltmeisterschaft vier Jahre später, ehe Maradonas Stern in den Neunziger Jahren allmählich zu sinken begann. Der Abschied aus der Nationalelf war unrühmlich. Bei der WM 1994 in den USA wurde er wegen Dopings suspendiert.
Als Trainer war sein Erfolg deutlich bescheidener. Sein größter Tiefschlag als argentinischer Nationaltrainer war die 0:4-Pleite gegen Deutschland im Viertelfinale der WM 2010 in Südafrika. Vielleicht rührt es von daher, dass er in TV-Kommentare nachfolgender Jahre die Spieler der deutschen Mannschaft abwertend als „Panzer“ bezeichnete. Nach seinem Ende als Teamchef der „Albiceleste“ zog er sich für mehrere Jahre nach Dubai zurück.
Mit so viel Ruhm und Personenkult zu leben, war schwer. Schon während seiner Zeit in Neapel leistete sich Maradona Drogen-Eskapaden, die ihn nach seiner aktiven Zeit dann völlig aus der Bahn brachten. Zur Jahrtausendwende war ein völlig aufgedunsener Maradona nur noch ein Schatten seiner selbst. Kuraufenthalte auf Kuba halfen ihm wieder aufwärts.
Spätestens seit seinen Aufenthalten auf der sozialistischen Karibikinsel Fidel Castros, der seinen Gast als „Che des Fußballs“ feierte, tendierte Maradona politisch öffentlich nach Links. 2005 beim Amerika-Gipfel in Mar del Plata demonstrierte er an der Seite Hugo Chávez gegen die USA. Später sympathisierte er mit Chavez' Nachfolger Nicolás Maduro und sogar mit Weißrusslands Autokraten Alexander Lukaschenko. Das hätte er sich besser verkneifen sollen, genauso wie seine bizarr-wirren Stadionauftritte vor zwei Jahren bei der WM in Russland.
Aber so war er: Ein Mensch der Extreme und Widersprüche. Zwischen WM-Pokal und Kokain, zwischen Genie und Wahnsinn. Ein Exzentriker. Mal völlig daneben und dann auch wieder liebenswert. Ein Held der Massen, der sich nicht scheute, bei millionenschweren Scheichs im Luxus zu leben. Ein brillanter Dribbler, der sich aber auch selbst immer wieder ausspielte. Ohne Frage einer der größten Spieler aller Zeiten. Das große Enfant terrible des Weltfußballs. Die bekannteste argentinische Ikone der Gegenwart. Einfach unersetzbar. Ruhe in Frieden. Hasta siempre Diego.
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