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Im Blickfeld: Fluch oder Segen?

Von Christiane Oelrich

UNCHR
Hauptquartier des UNHCR in Genf. (Foto: wikipedia)

Sie gilt als Errungenschaft der Menschheit und ist der Grundpfeiler des internationalen Flüchtlingsrechts: Die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie gibt Verfolgten ein Recht auf Asyl und verbietet es, Menschen dahin zurückzuschicken, wo ihnen Verfolgung droht. 70 Jahre nach der Verabschiedung am 28. Juli 1951 sind weltweit 34 Millionen Menschen wegen Konflikten und Verfolgung in ihrem Heimatland auf der Flucht. Die Zahl steigt Jahr für Jahr. Für fast 1,5 Millionen Menschen sucht das UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) händeringend nach Aufnahmeplätzen. Migration und Asyl spalten Gesellschaften. Ist die Konvention noch zeitgemäß?

"Die Konvention ist heute so relevant wie 1951", sagt Filippo Grandi, UN-Hochkommissar für Flüchtlinge. "Sie bleibt ein lebensrettendes Schutzinstrument." Die Konvention hat zum Schutz von mehr als 50 Millionen Menschen beigetragen, so das UNHCR.

Zwar haben Entwicklungsländer die meisten Geflüchteten aufgenommen, aber die Industrieländer stöhnen am lautesten. Die Menschen werden längst nicht mehr mit offenen Armen empfangen, sondern als Bedrohung empfunden, wie Grandi sagt. Zudem missbrauchen Schlepper die Konvention, indem sie Menschen die Chance auf Anerkennung vorgaukeln und sie gegen viel Geld über Grenzen schmuggeln.

Deshalb die Konvention zu verdammen sei aber Unfug, sagt Alberto Achermann, Professor für Migrationsrecht an der Universität Bern. "Da schlägt man den Sack, obwohl der Esel gemeint ist. Man kann ja ein System nicht abschaffen, nur weil es von einigen missbraucht wird." Und er fügt hinzu: "Was wäre, wenn wir die Konvention nicht hätten? Was soll mit einer Person passieren, die sagt, sie wird gefoltert, wenn sie in ihre Heimat zurückkehrt? Man kommt nicht drum herum, den Fall zu prüfen, wenn man nicht barbarisch sein will."

Die Konvention schützt eine Person, die "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will".

Nicht geschützt sind Opfer von Naturkatastrophen oder Migranten, die ein Leben mit Würde und Arbeitschancen suchen. Hunderttausende versuchen ihr Glück trotzdem. Bei Asylbehörden stapeln sich Anträge. 2020 wurden in Deutschland von rund 145.000 Antragstellern 26 Prozent als Flüchtlinge anerkannt, 17 Prozent wurde anderer Schutz gewährt. Die anderen müssen das Land verlassen. Ihre Gesuche wurden zurückgezogen, abgelehnt oder an andere Länder verwiesen.

Grandi räumt ein, dass das Asylsystem in Europa an seine Grenzen stößt. Das liege aber nicht an der Konvention, vielmehr müsse das System reformiert werden. Asylgesuche müssten schneller, innerhalb von Wochen, geprüft und Abgelehnte schneller zurückgeschickt werden. "Wenn das System effizienter wäre, gäbe es auch weniger Missbrauch."

Von Rechten wird die Konvention dennoch in Frage gestellt. Der einstige österreichische Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ sagte bei seiner Forderung nach Verschärfung des Asylrechts: "Wir können doch nicht mit Dingen aus den fünfziger Jahren herumtun."

Über die Konvention neu zu verhandeln, sei nicht unproblematisch, sagt Anuscheh Farahat, Professorin der Universität Erlangen-Nürnberg für Öffentliches Recht, Migrationsrecht und Menschenrechte. "Wir würden sicher nicht das gleiche Schutzniveau bekommen, wenn wir es neu verhandeln - das Kalkül vieler solcher Vorschläge wäre ja, eine Neuregelung zu finden, die die Praxis der EU, die Flüchtlinge möglichst von den Grenzen fernzuhalten, in Recht zu gießen."

Damit verstoße die EU gegen internationales Recht, sagt die Vorsitzende des Sachverständigenrats für Integration und Migration, Petra Bendel. Sie verweist auf Griechenland, wo Flüchtlingsboote zurückgedrängt werden, und Libyen, wo die Küstenwache Flüchtlinge abfängt und zurück an Land bringt.

In der Konvention fehle ein Verteilschlüssel, sagt Farahat, damit nicht die krisennahen Staaten die meisten Flüchtlinge aufnehmen müssen oder - wie in der EU - die Länder an den Außengrenzen. Sie befürchtet, dass die europäischen Staaten in den nächsten Jahren versuchen könnten, den Flüchtlingsschutz noch mehr in Drittstaaten zu verlagern, etwa durch Aufnahmezentren fern der eigenen Grenze. Ihr Fazit: "Gut, dass wir die Konvention haben, aber sie reicht allein nicht aus. Wir brauchen noch einen effektiveren Schutz, damit Menschen nicht in menschenunwürdigen Situationen leben müssen."

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