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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Farbenspiele

Von Wim van Geenen

„Sie kennen mich.“: Der ursprünglich von Angela Merkel genutzte Wahlslogan verhalf Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg zum Sieg. Bereits zum dritten Mal hat er dort mit den Grünen eine Landtagswahl gewonnen. Ebenfalls zum dritten Mal erfolgreich war Malu Dreyer für die SPD in Rheinland-Pfalz. Der „Amtsbonus“ der durchaus beliebten Spitzenkandidat*innen reicht jedoch nicht, um den vergangenen Wahlsonntag zu erklären. Vielmehr zeigen sich in den ersten Ergebnissen des „Superwahljahres“ 2021 Trends, die auch für die anstehende Bundestagswahl im September bestimmend sein könnten.

Klarer Verlierer beider Landtagswahlen ist die CDU. Das erstaunt zunächst, schließlich war zumindest Baden-Württemberg einst konservatives Stammland. Eine Stimme für die Grünen galt auf den Höhen der schwäbischen Alb mancherorts noch bis vor wenigen Jahren beinahe als Landesverrat. Der Abstieg begann irgendwann dann, als die althergebrachten Rezepte der CDU nicht mehr zur gesellschaftlichen Wirklichkeit passten und selbst im behäbigen „Schwabenländle“ plötzlich Hunderttausende gegen Großprojekte demonstrierten.

Die aktuellen Skandale um Korruption bei der Maskenbeschaffung dürften aufgrund der hohen Briefwahlquote für diese Landtagswahl nicht mehr ausschlaggebend gewesen sein. Dennoch stehen sie, gemeinsam mit dem mangelhaften Corona-„Management“, beispielhaft für die Krisendiagnose der CDU. Sie lautet: Zu viel Lobbyeinfluss, politische Phantasielosigkeit und träges Verwaltungsdenken. Das wiederum wird sich auf die Bundestagswahl auswirken.

Die Grünen hingegen regieren heute einige der wichtigsten Industriestandorte der Bundesrepublik - selbstverständlich ohne diese in Vogelschutzgebiete zu verwandeln. Sie sind, insbesondere in Baden-Württemberg, die großen Gewinner dieser Landtagswahlen. Ihr Erfolgsgeheimnis im Südwesten: Sie sind, genau wie ihr bürgerlich auftretender Spitzenkandidat Kretschmann, „salonfähig“. Es sind die im bundesweiten Vergleich konservativen, aber trotzdem irgendwie ökologischen und am Zeitgeist orientierten Grünen in Baden-Württemberg, die ihre Partei an konservative Wählerschichten anschlussfähig machen konnten. Der prototypische CDU-Provinzpolitiker sieht dagegen alt aus.

Auch wenn sich der grüne Höhenflug im Bundestrend fortsetzen sollte, muss den Grünen bei ihrer inhaltlichen und personellen Aufstellung für die Bundestagswahl dennoch klar sein: Wahlen werden in Deutschland immer noch mit eher konservativen Wählerschichten aus Westdeutschland gewonnen. Ein Winfried Kretschmann ist für diese Gruppen wählbar - ein Anton Hofreiter hingegen nicht.

Im starken Gegensatz zum nachhaltigen Erfolg der Grünen steht die Schwäche der SPD. Der in Rheinland-Pfalz errungene Sieg ist, entgegen allen Wunschdenkens, fast gänzlich der sympathischen Spitzenkandidatin zu verdanken. Bereits im Nachbarland Baden-Württemberg kratzt die SPD wieder an der 10-Prozent-Marke. Den bundesweiten „Aufwind“ (Olaf Scholz) spürt wohl nur der, der ihn spüren möchte. Mit den Instrumenten der Wahldemoskopie ist er jedenfalls nicht messbar. Nicht nur für ein mögliches Linksbündnis auf Bundesebene könnte diese Dauerschwäche noch zum Problem werden.

Ebenfalls unglücklich verlief die Wahl für die AfD: Das Migrationsthema war nach einem Jahr Pandemie längst bedeutungslos und der „Querdenker“-Zug war abgefahren, ohne auf die AfD zu warten. Wenn die „einzig wahre Opposition“ kein einziges Oppositionsthema erfolgreich bespielen kann, stattdessen aber Skandale wie am Fließband produziert, macht sich das (zu Recht) am Wahlergebnis bemerkbar.

Mit den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verändert sich der Blick auf die Bundestagswahl. Wo Beobachter*innen zuvor eine schwarz-grüne Koalition mit Unionskanzler sahen, beginnen nun die Farbenspiele. Neben verschiedenen „Ampel-Koalitionen“ aus Rot, Gelb und Grün besteht auch weiterhin die Möglichkeit eines Linksbündnisses in Form einer grün-rot-roten Koalition. Insbesondere im ersten Fall wird es auch darauf ankommen, ob Christian Lindners FDP dieses Mal mitspielt. Mit der Absage an die „Jamaika“-Koalition vor vier Jahren hat die FDP ihren politischen Preis für die kommenden Koalitionsverhandlungen erhöht. Gerade Verhandlungen mit den Grünen dürften hierdurch nicht einfacher werden.

Die Wahlen im Südwesten machen es möglich, an eine kommende Bundesregierung ohne die Union zu denken. Angesichts der wenig überzeugenden Corona-Politik der letzten Monate ist das vielleicht eine gute Idee - vier Jahre in der Opposition können auch eine Chance sein, sich als Partei neu aufzustellen. Nach 16 Jahren Merkel könnte es manch einer schon vergessen haben: Eine Regierungsbeteiligung der CDU ist möglich, notwendig ist sie nicht.

Sollte die Union bei der Bundestagswahl tatsächlich schlecht abschneiden, betrifft das auch die Kanzlerfrage. Nicht Laschet oder Söder, sondern Baerbock oder Habeck wäre dann die Frage. Annalena Baerbock wäre für die Grünen eine gute Wahl: Obwohl in der Bevölkerung weniger präsent als Robert Habeck und vielfach unterschätzt, gilt sie als talentierte „Realo“-Politikerin mit Kanzlerinnenpotential. Im Hinblick auf die anderen Männer-Kandidaten können die Grünen mit Annalena Baerbock auch ihrem feministischen Anspruch gerecht werden - sie wäre die Alternative zur allgegenwärtigen Breitbeinigkeit unter den potentiellen Kandidaten.

Die ersten Landtagswahlen des „Superwahljahrs“ haben den Raum des politisch Vorstellbaren erweitert. Schwarz-Grün bleibt wahrscheinlich, ist aber nicht mehr die einzige Regierungsoption. Es kommt nun auf zwei Dinge an: Wie die Koalitionsverhandlungen in den Ländern ausgehen und wie es mit der Corona-Politik weitergeht. Denn für ein andauerndes Impf- und Lockdown-Chaos könnte im September die nächste Quittung kommen.

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