Von Christoph Meyer
Liz Truss gilt als politisches Leichtgewicht, das sich mithilfe populistischer Slogans und viel Opportunismus an die Spitze der Regierung schwingen konnte. Wird sie in die neue Aufgabe hineinwachsen oder zerbrechen ihre Ambitionen an der Realität?
Als Liz Truss ihre Bewerbungsrede für die Nachfolge von Boris Johnson als Chefin der britischen Konservativen und Premierministerin beendet hatte, verlor sie erst einmal die Orientierung. Zielstrebig schritt sie den Mittelgang zwischen den versammelten Fotografen und Journalisten ab - bevor sie merkte, dass der keineswegs zum Ausgang führte. Ein Mitarbeiter lotste die perplex dreinblickende Kandidatin in die richtige Richtung.
Trotz dieses kleinen Lapsus war ihre Bewerbung nun - eineinhalb intensive Monate später - erfolgreich. Und das dürfte die 47-Jährige dem Gespür für die Vorlieben der konservativen Parteimitglieder verdanken. Sie präsentierte sich in den vergangenen Wochen als Kandidatin der Kontinuität, versprach Steuersenkungen und einen schlanken Staat - alles gern gehörte Botschaften an der konservativen Basis. Und Truss sagte den Linken den Kampf an, besonders denjenigen, die Kritik an der Kolonialvergangenheit und dem Umgang mit Minderheiten äußern.
Doch was Musik in den Ohren der Tory-Mitglieder ist, ist längst nicht Staatsräson oder mehrheitstauglich. Immer wieder verbrannte sich Truss mit Äußerungen die Finger, die sie hinterher stets als Missverständnisse oder absichtliche Falschdarstellung der Presse abtat. So sagte die bisherige Außenministerin zu Beginn des Kriegs in der Ukraine britischen Freiwilligen, die an der Seite Kiews in den Kampf gegen die russischen Invasoren ziehen wollten, ihre volle Unterstützung zu - nur um kurz danach zurückzurudern.
Geboren 1975 als Mary Elizabeth Truss in Oxford, wuchs sie im schottischen Paisley und im englischen Leeds auf. Ihr Vater war ein Mathematikprofessor, die Mutter Krankenschwester, beide beschrieb sie einst als "linksgerichtet". Ihre Mutter nahm sie sogar auf Demonstrationen gegen Atomwaffen mit. Doch Truss begehrte auf gegen die politische Prägung ihres Elternhauses und schloss sich zunächst den Liberaldemokraten an, bevor sie zu den Konservativen wechselte.
Als ihr großes Vorbild gilt Ex-Premierministerin Margaret Thatcher (1979-1990). Das soll soweit gehen, dass sie versucht haben soll, berühmte Fotos der "Eisernen Lady" nachzustellen. Truss bestreitet das. Doch die Bilder, die von der britischen Presse gerne als Gegenbeweis gezeigt werden, sprechen eine andere Sprache: Liz Truss auf dem Panzer, Liz Truss mit Pelzmütze in Moskau, Liz Truss mit niedlichem Kälbchen im Stall oder Liz Truss auf dem Motorrad - jedes der Bilder sieht aus wie die sorgsam arrangierte Reinszenierung einer ikonischen Thatcher-Aufnahme.
Die Mutter zweier Töchter im Teenager-Alter stellt sich auch gerne als bodenständiges und lebensfrohes "Mädchen aus Yorkshire" dar und betont, sie sei auf eine Schule gegangen, wo nicht alle Schüler ihr Potenzial ausschöpfen konnten. Doch es gibt Zweifel daran, ob diese Darstellung mit der Realität übereinstimmt.
Eines der Charaktermerkmale Truss' ist eine Sprunghaftigkeit, die ihr teils als Anpassungsfähigkeit, teils als Opportunismus ausgelegt wird. Aus ihrer frühen politischen Karriere gibt es Äußerungen, von denen sie sich inzwischen distanziert. So sprach sie sich bei einem Liberalen-Parteitag 1994 für die Abschaffung der Monarchie aus. "Wir glauben nicht, dass Leute geboren werden, um zu herrschen", rief sie damals. Auch die Legalisierung von Cannabis soll einst ein Projekt gewesen sein, das sie mit Enthusiasmus verfolgte.
Doch man muss nicht so weit zurückgehen. Vor dem Brexit-Referendum trommelte Truss für den Verbleib in der EU - um hinterher eine Befürworterin des Austritts zu werden. Inzwischen gilt sie als Bekehrte ("born again Brexiteer"). Erwartet wird, dass sie innerhalb von Tagen nach ihrem Amtsantritt den Streit mit der EU um den Brexit-Status für Nordirland eskalieren lässt.
Ihren Aufstieg verdankt Truss weitgehend dem Sinneswandel in Sachen EU-Austritt. Schon früh unterstützte sie Johnson. Unter ihm stieg sie zur Außenministerin auf. Zuvor hatte sie sich als Ministerin für internationalen Handel einen Namen gemacht. Ihr Verdienst: Sie hatte Anschlussabkommen für die durch den EU-Austritt verloren gegangenen Handelsverträge mit Drittländern vereinbart. Sie verkauft das als Erfolge. In Wirklichkeit gewann das Land dabei lediglich zurück, was es durch den Austritt verloren hatte.
Wie gerne Truss mit anti-europäischen und anti-französischen Ressentiments spielt, zeigte eine Äußerung bei einer Wahlkampfveranstaltung im August. Auf die Frage, ob Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Freund oder Feind sei, sagte sie unter dem Jubel von Tory-Mitgliedern: "Das Urteil steht noch aus."
Ob Truss als Regierungschefin die populistischen Parolen hinter sich lassen kann, muss sich zeigen. "Times"-Kolumnist Matthew Parris ist skeptisch. Er bescheinigte Truss kürzlich, ein Selbstbewusstsein von der Größe eines Planeten und den politischen Verstand der Dimension eines Stecknadelkopfs zu haben. "Es muss alles in sich zusammenfallen", schrieb er.
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