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Im Blickfeld: Dumm und gefährlich

Von Stefan Kuhn

Berlin
Absperrgitter stehen vor dem Reichstagsgebäude. Hier findet am Mittwoch eine Demonstration gegen das Infektionsschutzgesetz statt. Das Gesetz wird vom Bundestag verabschiedet. (Foto: dpa)

Schlimm wird es immer, wenn Rechtsextreme und Konsorten Vergleiche zu NS-Zeit ziehen. Das geschah am Mittwoch bei der Berliner Demonstration gegen das Infektionsschutzgesetz (IfSG), das Bundestag und Bundesrat am selben Tag verabschiedeten. Mehrere tausend Menschen, darunter das übliche Konglomerat aus Neonazis, AfDlern, Hooligans, Esoterikern und fundamentalistischen Christen empörten sich über das "Ermächtigungsgesetz". Manche trugen auch Judensterne mit dem Zusatz "ungeimpft". Das ist schlichtweg geschmacklos.

Natürlich ist das IfSG im juristischen Sinne ein Ermächtigungsgesetz, das Wort "Ermächtigung" kommt auch über ein dutzend Mal im Text vor, aber es hat nichts mit dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" von 1933 zu tun, mit dem die Nazis ihre Diktatur einleiteten. Das Infektionsschutzgesetz ermächtigt Bundesregierung und Länderregierungen zwar über entsprechende Verordnungen schnell auf eine Pandemie wie Corona zu reagieren, aber setzt doch enge Grenzen. Das Gesetz bestand bereits, aber in der Neufassung werden die Maßnahmen präzisiert, also eingeschränkt.

Man mag kritisieren, dass die Parlamente dabei außen vorgelassen worden sind, doch es geht um beschleunigte Verfahren, und die sind bei einer Pandemie durchaus angebracht. Wenn nicht in einer derartigen Situation, wann dann? Zudem besteht immer noch der Rechtsweg. Jeder kann dagegen klagen, wenn er sich durch entsprechende Verordnungen in seinen individuellen Freiheiten eingeschränkt fühlt oder sie für unverhältnismäßig hält. Durch die Präzisierung der Maßnahmen dürfte das allerdings etwas schwieriger geworden sein. Immer vorausgesetzt, dass das IfSG nicht für verfassungswidrig erklärt wird. Klagen dagegen wird es mit Sicherheit geben, und das Bundesverfassungsgericht ist immer für eine Überraschung gut.

Kritik an dem Gesetz darf und muss es geben, das gehört zu einer Demokratie. Ebenso dass man Mehrheitsentscheidungen akzeptieren muss, und der Bundestag hat das IfGS mit überwältigender Mehrheit verabschiedet. Die Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und den Grünen ließen sich auch durch die von der AfD eingeschleusten Störer und Pöbler nicht beirren. Und dass man mitten in einer neuen Infektionswelle eine Großdemonstration erlaubt, ist zwar grob fahrlässig, zeigt aber immerhin, dass die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung hohe Güter sind. Aufgelöst wurde die Demonstration letztlich, weil sich die meisten Teilnehmer*innen nicht an die Corona-Auflagen hielten.

Das war vorhersehbar, deshalb hätte die Veranstaltung gar nicht erst erlaubt werden sollen. Wer Corona leugnet, trägt keine Maske und hält keinen Abstand ein. Solche Demonstrationen sind Infektionsherde, die aus ganz Deutschland angereisten Teilnehmer könnten das Virus in ihre Heimatregionen schleppen. Überspitzt gesagt, Corona-Leugner missachten das Grundrecht ihrer Mitmenschen auf körperliche Unversehrtheit und in letzter Konsequenz, das Recht auf Leben. Wenn man Schilder wie "Nur Sklaven tragen Masken" sieht, zweifelt man am gesunden Menschenverstand. Wer glaubt für das Volk zu sprechen und wegen einer simplen Unbequemlichkeit die Volksgesundheit gefährdet, hat allerhöchstens ein seltsames Völkchen hinter sich.

Geradezu lachhaft ist, dass sich Rechtsextreme und Neonazis plötzlich um das Grundgesetz und die Demokratie Sorgen machen, denn die Abschaffung der demokratischen Grundordnung ist ihr einziger konkreter Programmpunkt. Wenn die, die eine Diktatur wollen, vor einer Corona-Diktatur warnen, könne man sich eigentlich beruhigt zurücklehnen. Solch eine dummdreiste Heuchelei muss doch erkennbar sein. Es gibt allerdings einen gefährlichen Radikalisierungseffekt unter den Corona-Leugnern, Corona-Müden und Querdenkern. Kaum jemand hätte gedacht, dass so eine krude Verschwörungstheorie wie QAnon auch in Deutschland Anhänger findet. Inzwischen halten es immer mehr Menschen für möglich, dass eine korrupte Elite sich von Kinderblut ernährt, um "ewig" jung zu bleiben. Dass man sich vehement gegen eine vermeintliche Corona-Diktatur wehren muss, ist dagegen schon fast selbstverständlich.

Den fanatischen Impfgegnern unter den Demonstranten bringt man eher Mitleid entgegen. Zum einen sind sie der Falschnachricht aufgesessen, es käme zu einer Impfpflicht gegen Covid-19, zum anderen sind sie selber schuld, wenn sie sich nicht impfen lassen. Sie würden sich selbst am meisten gefährden. Eine Impfpflicht dürfte es allein aus diesem Grund nicht geben.

Maskenverweigerung und andere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie sind auch in Deutschland inzwischen zur politischen Einstellung geworden. Im Gegensatz zu den USA sind es allerdings nicht Zig-Millionen, sondern eine überschaubare Zahl. Gefährlich ist diese Einstellung dennoch, weil wenige viele anstecken können. Demonstrationen wie die in Berlin könnten dazu beitragen, dass die Infektionszahlen nur langsam sinken und der Lockdown weiter verlängert wird. Dann steigt auch die Corona-Verdossenheit.

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