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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Der Fall des Evo Morales

Von Stefan Kuhn

Der Vorfall ist schon lange her, aber er ist mir in Erinnerung geblieben. Vor gut neun Jahren spielte der bolivianische Präsident Evo Morales mit einer Regierungsauswahl Fußball gegen ein Team der Stadtverwaltung von La Paz. Einer der Gegenspieler ging den Präsidenten etwas hart an, und dieser revanchierte sich mit einem Tritt in den Unterleib. Morales flog damals nicht vom Platz, wie es nach den gängigen Fußballregeln hätte sein müssen, dafür musste sein Gegner gehen, dem obendrein noch eine Verhaftung durch die Polizei drohte. Gut, Morales entschuldigte sich danach öffentlich, aber der Tritt war auch gefilmt worden und verbreitete sich rasant im Internet. Mir fällt diese Geschichte immer wieder ein, wenn ich den Namen Evo Morales höre. Der bolivianische Präsident zeigte damals Charakterzüge, die ich mir bei einem Staatsoberhaupt nicht wünsche. Er ist jähzornig, gewalttätig und hält sich nicht an Regeln. Vor allem Letzteres fiel in der fast 14-jährigen Amtszeit des früheren Cocabauern immer wieder auf.

Als Morales im Januar 2006 sein Amt antrat, begleitete ihn große Skepsis. Er selbst bediente diese Vorurteile. Morales teilte aus. Ob die katholische Kirche, der Internationale Währungsfonds, die USA, Israel oder die bolivianische Oberschicht - jeder bekam sein Fett ab. Doch der erste indigene Präsident Boliviens hatte Erfolg. Er sorgte mit Rückverstaatlichungen dafür, dass die indigene Bevölkerungsmehrheit Boliviens erstmals an den Bodenschätzen des Landes teil hatte. Das Geld versickerte nicht in irgendwelchen dunklen Kanälen, es wurde in Bildung und Infrastruktur investiert. Morales eilte von Erfolg zu Erfolg.

Schon bei den Wahlen von 2005 hatte er mit 54 Prozent ein beeindruckendes Wahlergebnis geholt. Aber eine direkte Wiederwahl ließ die Verfassung nicht zu. Morales tat, was fast alle lateinamerikanischen Caudillos, egal welcher politischen Couleur, tun. Er strebte eine Verfassungsreform an. Weil es Widerstände gab, vor allem weil sich die wirtschaftlich starken Departements für ein föderales System einsetzten, ließ der Präsident ein Referendum über seine Amtsführung abhalten. Die Zustimmung von 67 Prozent kam einem Freibrief gleich. In der Folge wurde die Verfassungsreform angenommen, und bei den Wahlen von 2009 siegte Morales mit 64 Prozent. In beiden Parlamentskammern erreichte seine Partei MAS (Movimiento al Socialismo) eine Zweidrittelmehrheit.

Eine erneute Kandidatur von Morales bei der Präsidentschaftswahl 2014 war eigentlich schon ein verfassungsrechtlicher Eiertanz. Die neue Verfassung ermöglichte eine direkte Wiederwahl, aber weil die Verfassung ja neu war, zählte Morales erste Amtszeit nicht. Er wurde zum dritten Mal gewählt. Die bolivianische Wählerschaft fochten diese Spitzfindigkeiten nicht an. 63,4 Prozent sind immer noch ein beeindruckendes Ergebnis.

Von da an ging es bergab. Bereits zwei Jahre nach Beginn seiner dritten Amtszeit versuchte Morales, sich eine vierte zu ermöglichen. 2016 ließ er ein dementsprechendes Verfassungsreferendum durchführen. Der Präsident wollte bis 2025 regieren. In diesem Jahr würde Bolivien sein „Bicentenario“, sein 200-jähriges Bestehen feiern. Morales verlor das Referendum nur äußerst knapp. 51 Prozent lehnten seine vierte Amtszeit ab. Vielleicht hat ihn das knappe Ergebnis ermuntert, über einen fragwürdigen juristischen Trick dennoch zu kandidieren. Es war ein großer Fehler. Vor einem Jahr wurde das Verbot einer zweiten Wiederwahl in der bolivianischen Verfassung aufgehoben, weil sie dem Menschenrecht der freien politischen Tätigkeit widerspricht. Mit solchen Begründungen könnte man in fast allen Verfassungen wichtige Regeln aufheben. Man könnte dagegen klagen, dass der US-Präsident in den USA geboren sein und der deutsche Bundespräsident mindestens 40 Jahre alt sein muss. Es gibt in Verfassungen eine Menge kritikwürdiger Regelungen, eine Beschränkung der Amtszeit des Staatsoberhauptes hat vor allem bei Präsidialdemokratien ihren Sinn.

Aber auch ohne diese Beschränkungen wäre das Kapitel Morales mittelfristig beendet worden. Es ist unübersehbar, dass der Präsident seinen breiten Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat. Es ist auch unbestreitbar, dass es Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen gegeben hat. Es gibt allerdings wenige, die glauben, dass Evo Morales nicht die meisten Stimmen bekommen hat. Dass er auf Druck des Militärs und der Polizei zurückgetreten ist, hat schon einen schweren Putsch-Geruch.

Morales hat viele Fehler gemacht. Der letzte war, dass er angesichts des knappen Ergebnisses eine Stichwahl verweigert hat. Vermutlich hätte er diese Stichwahl sogar gewonnen. Die Einsicht und das Angebot, Neuwahlen durchzuführen, kamen zu spät.

Dass ein amtierender Präsident vor dem Ende seiner Amtszeit ins Exil gehen muss, wirft die Demokratie in Bolivien allerdings um Jahrzehnte zurück. Vor allem wird das Land dadurch nicht befriedet werden. Es ist gespalten: geografisch und sozial. Und Morales schürt diesen Konflikt bereits jetzt aus dem mexikanischen Exil.

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