Von Jens Marx
Es war kein leichter Schritt für den gerade mal 13 Jahre alten Jungen aus Rosario. Nur etwa 1,40 Meter groß, einfach ein schmächtiges Kerlchen. Gerade mal 40 Kilogramm bringt er auf die Waage. Nach einem Fußballer sieht Lionel Messi im Sommer 2000 nicht unbedingt aus. Er leidet an Wachstumsstörungen. Die Behandlung ist teuer, zu teuer für die sechsköpfige Familie und auch für die Newell‘s Old Boys, für die der kleine Messi seit 1995 spielt.
Also reist Messi mit seinem Vater, der ihn auch in der Folgezeit managen wird, von Argentinien nach Europa. Zielort Barcelona. Namen wie der von Pep Guardiola, Luis Enrique oder Rivaldo finden sich damals im Kader der Katalanen.
Und dann kommt da dieser Lionel Andrés Messi Cuccittini. Er spielt vor. Probetraining. Vergessen ist das Heimweh. Messi hat, was er vor allem braucht: Einen Ball. Er dribbelt, düpiert seine Gegner, obwohl die ihm körperlich überlegen sind. „La Pulga“, zu deutsch der Floh, wie er schnell genannt wird, ist ein Riese am Ball - schon damals. Legendär ist die Anekdote, dass Carlos Rexach, einst Assistenztrainer von Johan Cruyff, Messi auf der Stelle verpflichtete und der erste Kontrakt auf einer Serviette besiegelt wurde.
Von da an wurde aus Messi in 20 Jahren ein sechsmaliger Weltfußballer und für viele der begnadetste Kicker, den es bisher gab. „König Leo“, „E.T.“, „Genie“, „Gott“ - es gibt praktisch nichts im Bereich der Superlative, das noch nicht über den 33-Jährigen geschrieben worden wäre. „Er ist der beste Fußballer aller Zeiten. Es ist ein Luxus, ihn im Team zu haben“, sagte einmal Barcelonas ehemaliger Kapitän Xavi über den jetzigen Kapitän der Katalanen.
Messi und der FC Barcelona - es schien sehr, sehr lange eine untrennbare Beziehung zu sein. Der kleine Argentinier erspielte sich seinen Platz in der Mannschaft und eine Ausnahmestellung auch in der Hackordnung. Messi wurde zum Alphatier, nicht laut in der Öffentlichkeit, aber mit Macht in der Kabine, heißt es immer wieder. Dass Messi sich vor Wochen in einem öffentlichen Schreiben auch indirekt gegen den umstrittenen Club-Präsidenten Josep Maria Bartomeu stellte, ist ein weiteres Indiz dafür.
Was nun droht, ist für das katalanische Fachblatt „Sport“ „totaler Krieg!“ zulasten des Vereins und der Anhänger. „Alle Culés (Barcelona-Fans) spüren heute einen furchtbaren Schmerz“, hieß es am Mittwoch in einem Leitartikel. Etliche Anhänger des Clubs zogen bereits am späten Dienstagabend nach Bekanntwerden der Wechselabsicht von Messi vor das Camp Nou und forderten lautstark den Rücktritt von Bartomeu. Für das Entsetzen in der Küstenmetropole gibt es für viele nur einen Hauptverantwortlichen: Bartomeu.
Die Auswahl der Clubs, die sich den Argentinier leisten können, ist gering: Manchester City, wo es zum Wiedersehen mit Guardiola und auch Nationalmannschaftskumpel Sergio Agüero kommen könnte. Paris Saint-Germain, wo Ex-Mitspieler Neymar bereits Anwerbeversuche unternommen haben soll oder Inter Mailand. Vater Jorge Messi (62) soll dort bereits ein Anwesen gekauft haben. Die Vereine bekommen ihr Geld aus Abu Dhabi (Manchester), Katar (Paris) und China (Mailand).
Mit dem Schritt vor 20 Jahren von Rosario nach Barcelona ist das alles nicht zu vergleichen. Und doch wäre es für Messi eine riesige Herausforderung. Mit seiner Ehefrau Antonella Roccuzzo, die Messi seit den Kindertagen in Rosario kennt, und den drei Söhnen logiert die Familie in Castelldefels, einem Küstenort gute 20 Kilometer südwestlich von Barcelona.
Im Gegensatz zu seinem Weltfußballer-Dauerwidersacher Cristiano Ronaldo, den es vor zwei Jahren nach seiner ruhmreichen Zeit bei Real Madrid zu Juventus Turin zog, protzt Messi nicht mit Autos oder sonstigem Reichtum, den er zweifelsohne hat. Meistens sind es Bilder mit Ball oder mit seiner Familie, die er in den sozialen Netzwerken verbreitet und die allein bei Instagram 164 Millionen Follower sehen.
Seit dem 2:8 im Viertelfinale der Champions League gegen den FC Bayern München herrscht aber auch dort Messi-Pause. Er hat sich weiterhin nicht öffentlich geäußert. Man fühlt sich ein wenig an die Zeit nach der schmachvollen WM 2018 in Russland mit dem Aus im Achtelfinale erinnert. Auch damals schwieg Messi lange.
In der Nationalmannschaft, aber auch in Barcelona gilt er als der unumstrittene Anführer. Mit den Katalanen gewann Messi viermal die Champions League, zehnmal die Meisterschaft und sechsmal den Pokal. Messi schoss 634 Tore für den Verein und bereitete weitere 276 vor.
Und nun will Messi weg. Dass der Verein und der neue Coach Ronald Koeman für Kumpel Luis Suárez keine Verwendung mehr habe, soll Messis Entscheidungsfindung noch mal beschleunigt haben. Messi braucht sein Umfeld, braucht Mitspieler, die ihm eine gewisse Wohlfühlatmosphäre geben. Der Angreifer aus Uruguay gehört dazu. In diesem Sommer verbrachten die beiden mit ihren Familien den Urlaub gemeinsam.
„Es gab zu viel glorreiche Geschichte, die glorreichste aller Zeiten für Barça, und alles endet wie eine Träne im Regen. Weder Messi noch der Fußball haben ein solches Ende verdient“, schrieb die spanische Sportzeitung „As“. Und die italienische „Gazzetta dello Sport“ meinte: „Es ist schwierig, sich ein traurigeres, selbstzerstörerischeres, sogar surrealeres Ende vorzustellen: Dass Leo Messi Barcelona darüber informiert, dass er jetzt und kostenlos weg will.“ (dpa)
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