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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Deeskalation und Dialogbereitschaft

Von Stefan Kuhn

Deutsche und Russen, das ist schon ein besonderes Verhältnis. Auf ihm lastet in erster Linie der 2. Weltkrieg, der Überfall auf die Sowjetunion, die um die 27 Millionen Todesopfer zu beklagen hatte. Darunter sind etwa 8,5 Millionen gefallene Soldaten, drei Millionen ermordete Kriegsgefangene und 15,5 Millionen zivile Opfer. Kein am Krieg beteiligtes Land musste mehr bluten. Dafür war Deutschland verantwortlich. Dies wird immer im Hintergrund stehen, wenn es um Beziehungen zwischen Deutschland und Russland geht. Ähnlichen gilt auch für die deutschen Beziehungen zu Polen und Israel.

Allein deshalb darf man die ambivalente Position Deutschlands im Ukraine-Konflikt nicht vorschnell kritisieren. Die Bundesregierung setzt auf Deeskalation, sie will den Dialog. Sie verweigert Waffenlieferungen, auch wenn es sich um Defensivwaffen handelt, will aber dennoch Zeichen setzen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht von einem "hohen Preis", den Moskau bei einer Invasion der Ukraine zahlen würde. Darunter dürfte auch die umstrittene Gaspipeline Northstream 2 fallen, die russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland bringen soll.

Bei Waffenlieferungen ist man sich in der Bundesregierung weitgehend einig. Sie sind ein Tabu und auch relativ gut begründbar. Deutschland liefert keine Waffen in Krisengebiete, wobei es in dieser Hinsicht einige Ausnahmen gibt. Eine davon ist Israel, dessen Schutz in der Bundesrepublik eine Staatsdoktrin ist. Aber auch im Antiterrorkrieg gegen den "Islamischen Staat" im Irak und in Syrien kamen deutsche Waffen zum Einsatz. So wurden kurdische Milizen mit deutschen Sturmgewehren und Panzerabwehrraketen beliefert.

Einige wenige Politiker quer durch die drei Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP befürworten zwar zumindest die Lieferung von Defensivwaffen wie Panzerabwehrraketen, aber auch in der Opposition dürfte sich keine Mehrheit in dieser Hinsicht finden. Deutsche Waffen, die sich gegen Russland richten, sind schwer denkbar.

Das war schon einmal anders. Zu Zeiten des Kalten Kriegs sah man die Sowjetunion als Bedrohung, die Frontlinie ging mitten durch Deutschland. Allerdings hatte Moskau auch wesentlichen Anteil an der Überwindung der deutschen Teilung. Ohne den damaligen Präsidenten Michail Gorbatschow hätte es die Wiedervereinigung nicht gegeben. Widerstände gab es damals in Großbritannien und Frankreich, den Freunden und Verbündeten der Bundesrepublik.

Seit damals wurden die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland immer besser. Die wirtschaftlichen Beziehungen wurden enger, auch die politischen. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) verstand sich exzellent mit Gorbatschow und dessen Nachfolger Boris Jelzin. Kohls Nachfolger Gerhard Schröder (SPD) ist mit Wladimir Putin befreundet, er bezeichnete den russischen Präsidenten auch schon als "lupenreinen Demokraten". Heute zählt Schröder zu den profiliertesten "Putin-Verstehern" Deutschlands, und er hat in seiner Partei durchaus noch Einfluss.

Verstehen muss man Putin wirklich nicht. Er ist derjenige, der bedroht. Wenn jemand wie Schröder vom "Säbelrasseln" des Westens spricht, verdreht er schlicht die Tatsachen. Putin ließ die Krim-Halbinsel besetzen und annektieren. Er ist für den Aufstand im Donbass verantwortlich, lässt über 100.000 russische Soldaten an der Grenze zur Ukraine auflaufen und zieht Truppen in Weißrussland zusammen. Es ist die russische Luftwaffe, die immer wieder den Luftraum der baltischen Nato-Mitglieder verletzt und nicht umgekehrt.

Würde Putin sich bedroht fühlen, wäre das eine Art Verfolgungswahn. Es gefällt ihm schlicht nicht, dass in einstigen Vasallenstaaten wie der Ukraine und Weißrussland Demokratiebewegungen erstarkt sind, dass man sich dort am Westen orientiert. Ein wenig kann man das verstehen, denn die Aufstände sind eine Art Blaupause für eine Revolte gegen ihn selbst. In Russland unterdrückt er die Opposition, in Belarus unterstützt er den Diktator Lukaschenko, und Teile der Ukraine ließ er besetzen.

Ein anderer Grund für die deutsche Zurückhaltung ist wohl auch die Stimmung in der Bevölkerung. Die Bereitschaft, sich wegen der Ukraine in einen Konflikt mit Russland hineinziehen zu lassen ist recht gering. Das Land ist gespalten, bei Wahlen siegten mal prorussische Kräfte, mal proeuropäische. Es gab eine Trennlinie zwischen der Ost- und Westukraine. Zudem gilt der Staat als korrupt. Im Korruptionsindex von Transparency International lag die Ukraine auf Platz 117 von 180 Staaten, gleichauf mit Ländern wie Sambia und Nepal. Dass man der Ukraine die Option einer EU- oder Nato-Mitgliedschaft offen hält, müsste mehr eine Provokation für Brüssel als für Moskau sein.

Dann kommen noch handfeste Wirtschaftsinteressen hinzu. Der Handel ist durch Wirtschaftssanktionen schon deutlich eingeschränkt. Ein Krieg würde ihn noch mehr belasten. Zudem ist Deutschland von russischem Gas abhängig.

Es gibt gute Gründe, einen Krieg zu verhindern. Deeskalation und Dialogbereitschaft sind hierfür der einzige Weg. Man muss Putin die Konsequenzen einer Invasion aufzeigen. Drohen sollte man ihm nicht, denn dann wird er unberechenbar.


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