Von Marcus Christoph
Am Ende hing es an Millimetern. Das 2:1-Siegtor, das den Japanern im letzten Vorrundenspiel gegen Spanien den Gruppensieg bescherte und gleichzeitig das vorzeitige Aus der deutschen Mannschaft besiegelte, bot reichlich Anlass zu Diskussionen. Fraglich war, ob das Spielgerät vor dem Kopfball von Ao Tanaka nicht schon die Torauslinie überschritten hatte. Erst nach mehrminütiger Überprüfung durch den Videoassistenten entschied Referee Victor Gomes aus Südafrika auf Tor für Japan. Es war also eine gang enge Entscheidung. Wäre sie anders ausgefallen und das Spiel remis ausgegangen, wäre Deutschland mit seinem parallelen 4:2-Sieg gegen Costa Rica eine Runde weitergekommen. Im Achtelfinale hätten Marokko und im möglichen Viertelfinale die Schweiz oder Portugal als nächste Gegner gewartet.
Es gab Weltmeisterschaften wie 1986, als Deutschland in der Vorrunde die gleiche Bilanz (ein Sieg, ein Remis und eine Niederlage) hinlegte, sogar ein schlechteres Torverhältnis aufwies als jetzt, trotzdem als Gruppenzweiter weiterkam und sich als wahre Turniermannschaft noch ins Finale gegen Argentinien kämpfte. Gegner im Achtelfinale war damals übrigens Marokko. Aber diesmal fehlte eben das Quäntchen Glück, das man bei einer Weltmeisterschaft gelegentlich eben auch mal braucht.
Andererseits ist es richtig, dass die deutsche Mannschaft bei besseren Resultaten in den vorausgegangenen Spielen gar nicht erst in die Situation gekommen wäre, von Entscheidungen in anderen Partien abhängig zu sein. Achtmal in ihrer Historie ist die Nationalelf mit Siegen mit vier oder noch mehr Toren in ein WM-Turnier gestartet. Das gab gleich zu Beginn Sicherheit. In allen diesen Fällen kam die Mannschaft mindestens ins Halbfinale.
Auch die diesjährige Auftaktpartie gegen Japan fing eigentlich gut an. Die deutsche Elf erarbeitete sich eine fast erdrückende Feldüberlegenheit. Doch leider sprang nicht mehr als das Elfmetertor von Ilkay Gündogan zum 1:0 dabei heraus, mit dem es in Halbzeit ging. Die Chancenverwertung war ein großes Manko. Wie der Statistikdienst der FIFA nach Abschluss der Vorrunde mitteilte, kam die Elf von Bundestrainer Hansi Flick zu den meisten Schussversuchen aller 32 Teams der Gruppenphase: 67 in drei Partien. Doch gegen Japan und Spanien zappelte der Ball jeweils nur einmal im Netz des Gegners. Flick muss sich vorwerfen lassen, den in der Bundesliga in Topform spielenden Niklas Füllkrug nur als Joker gebracht zu haben - während der gerade erst kurz vor der WM genesene Thomas Müller immer in der Startelf gesetzt war. Gerade im letzten Spiel gegen Costa Rica, wo Deutschland mit einem hohen Sieg Druck auf die parallel gegen Japan spielenden Spanier hätte aufbauen müssen, ließ Flick den Mittelstürmer zunächst auf der Bank. Am Ende entschied das deutlich bessere Torverhältnis zugunsten der in Abschlusstabelle punktgleichen Iberer.
Flick ist nun der erste Bundestrainer, der bei seiner Turnier-Premiere die WM-Gruppenphase nicht überstand. Als wenig erfolgreich erwies sich im Nachhinein seine Maßnahme, den Spielern, die alle eingespielt aus dem Liga-Betrieb kamen, eine Pause zu gönnen. Bei dem einzigen WM-Test gegen Oman wechselte der 57-Jährige zur Halbzeit durch. Das Ergebnis war ein äußerst mühsames 1:0 gegen einen drittklassigen Gegner. Eine Initialzündung für eine erfolgreiche WM geht anders.
Im Spiel gegen Japan, das die DFB-Elf bis zur 70. Minute klar kontrollierte, führten Flicks ab diesem Zeitpunkt vorgenommenen Wechsel dazu, dass die Mannschaft ihren Rhythmus komplett verlor. Vor allem, den überzeugenden Gündogan in dieser Phase des Spiels herauszunehmen, bleibt unverständlich. Die schnellen japanischen Gegenattacken offenbarte frappierenden Schwächen in der deutschen Hintermannschaft. Innenverteidiger Nico Schlotterbeck und Außenverteidiger Niklas Süle wirkten in der Schlussphase schlicht überfordert. Den klobigen Hünen Süle auf die Außenposition zu setzen, war sicher auch kein Glücksgriff von Flick.
Gleichwohl wäre es ein Schnellschuss, den Trainer nach noch nicht einmal anderthalb Jahren im Amt vor die Tür zu setzen. Dass Hansi Flick sein Handwerk versteht, hat er in seiner Trainer-Zeit beim FC Bayern gezeigt. In nur 19 Monaten gewann er dort sieben Titel - darunter ein Sieg in der Champions League und zwei Meisterschaften. Die Arbeit beim DFB kennt er gut. Von 2006 bis 2014 war er Assistent von Joachim Löw, an dessen Seite er 2014 Weltmeister wurde. Auch sein Start als DFB-Cheftrainer begann mit einem Startrekord von acht Siegen in Folge. Der Mann weiß eigentlich, wie man Erfolge erzielt. An Flicks Kompetenz sollte eigentlich kein Zweifel bestehen. Von daher ist es gut, dass gestern beim DFB-Krisengipfel beschlossen wurde, an Flick als Trainer festzuhalten.
Gleichwohl steht der Deutsche Fußballbund unter Druck. Nicht nur wegen des zweiten Vorrunden-Aus bei einer WM in Folge. Sondern auch, weil Deutschland in nur 18 Monaten Gastgeber der Fußball-Europameisterschaft sein wird. Ein ähnlich schlechtes Abschneiden bei einem Heimturnier wäre noch mal eine Steigerung der Peinlichkeit für ein Land, dessen nationales Selbstbewusstsein seit dem historischen WM-Triumph von 1954 zu einem nicht unbeträchtlichen Teil an den Erfolg seiner Fußballer und Fußballerinnen geknüpft ist.
Nicht mehr begleiten wird Oliver Bierhoff das DFB-Team. Der 54-Jährige trat am Montag nach 18-jähriger Funktionärstätigkeit als DFB-Direktor in Verantwortung für die Nationalmannschaft zurück. Wer ihm nachfolgt, steht vor der Herausforderung, mit dafür zu sorgen, wieder ein Team zu formen, mit dem sich die Menschen in Deutschland identifizieren.
Hoffnung macht, dass sich im jetzigen DFB-Kader eigentlich richtig gute Spieler befinden wie etwa Leroy Sané, Serge Gnabry oder Kai Havertz. Hinzu kommt die WM-Entdeckung Füllkrug und der hochtalentierte Jamal Musiala. Der 19-Jährige wirbelte im japanischen Strafraum schon fast im Stile eines Lionel Messi - nur beim Torabschluss fehlten ein paar Zentimeter. Es gibt also Hoffnung.
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