Von Martin Oversohl
Die Kirche steckt tief in der Krise. Der Katholikentag auch, möchte man meinen beim Blick auf das Christenfest in Stuttgart. Die Teilnehmerzahl ist abgestürzt - und das ist nicht allein mit der Pandemie zu erklären.
Ein bisschen erinnert die baden-württembergische Metropole Stuttgart in diesen Tagen an eines dieser Römerlager aus den "Asterix"-Comics. Dutzende quadratische weiße Zelte mit spitzen Hauben, Turmgerüste, Planen und Absperrgitter sind in der Fußgängerzone und auf den Plätzen der Innenstadt verteilt. Und dennoch lohnt beim 102. Deutschen Katholikentag eher ein Vergleich mit dem kleinen umstellten Dorf der tapferen Gallier: Während beim letzten Katholikentag vor der Corona-Pause in Münster 2018 noch 50.000 Dauerteilnehmer dabei waren, sind es in Stuttgart gerade mal 19.000 - darunter 7000 Mitwirkende wie Podiumsgäste, Musiker oder Standbetreuer.
Auch im Vergleich mit dem Kirchentag der Protestanten 2015 in Stuttgart kommt der diesjährige Katholikentag nicht gut weg: Die Veranstaltung vor sieben Jahren war ein Magnet für Zehntausende, nun fremdelt die Stadt mit dem Christenfest der Katholiken so wie es die Gesellschaft immer stärker mit der Kirche tut. Bereits zum Start am Mittwochabend schätzten die Veranstalter eher wohlwollend rund 6000 Besucher beim Eröffnungsgottesdienst. Auch am Donnerstag blieb reichlich freier Platz bei der großen Eucharistiefeier vor dem Neuen Schloss und bei einzelnen Veranstaltungen.
Katholikentage - das waren mal Treffen katholischer Christinnen und Christen, auf denen miteinander gefeiert werden konnte, auf denen sich Menschen in Massen über den eigenen Glauben ausgetauscht haben. Dann kam die Pandemie und immer noch erschüttern die Missbrauchsskandale die Kirche in ihren Grundfesten ebenso wie der Reformstau, die massenhafte Abkehr und der Bedeutungsverlust der Institution. Heute gehört nur noch eine Minderheit - weniger als die Hälfte der Bevölkerung - einer der beiden Großkirchen an.
Es gibt also einen Haufen Gründe dafür, warum selbst die verbliebenen Gläubigen bei der alle zwei Jahre stattfindenden Veranstaltung immer mehr mit den Füßen abzustimmen scheinen.
Wer bleibt und den Weg nach Stuttgart findet, ist seit Mittwochabend allerdings mit ganzer Energie dabei, wie es scheint: Da wird mit Inbrunst auf dem Schlossplatz gebetet und gesungen, auf dem Uni-Campus gebastelt, es wird gelacht, in Gesprächskreisen diskutiert. "Das ist ein bisschen, als sei ein Korken geplatzt. Wir können uns endlich wieder begegnen, wir können endlich wieder miteinander sprechen", sagt eine ältere Frau aus Marburg am Rande des morgendlichen Gottesdienstes auf dem Schlossplatz. Platz und Gelegenheit dazu gibt es zur Genüge: Bis zum Abschluss am Sonntag standen 1500 Veranstaltungen auf dem Programm.
Ein Bild der Sorgen und Nöte, der Gedanken der Menschen lässt sich gut vor dem Haus der katholischen Kirche machen: Auf farbigen Tafeln können Passanten dort ihre Botschaften hinterlassen und erklären, warum sie der Kirche treu bleiben - oder eben auch nicht. "Ich bleibe..., weil ich noch kämpfen möchte", ist dort zu lesen. Aber auch "Ich gehe..., weil sich nichts ändert". Die Ordensschwester Nicola Maria Schmitt von der Diözese Rottenburg-Stuttgart wischt täglich über die Tafeln, um Platz zu schaffen. "Da ist viel Traurigkeit da, auch in den Gesprächen, die wir massenweise führen", erzählt die Initiatorin der Aktion. "Viele würden gerne bleiben, aber sie sehen keine Perspektive." Deshalb sei es wichtig, die Menschen, dort abzuholen, wo sie gerade seien.
Alina muss nicht abgeholt werden. Sie steht vor einem Zelt auf der "Meile der Erzbistümer" und verteilt Broschüren. "Vielleicht war früher alles kritischer und aufgeregter, klar", sagt sie. "Aber nach den vergangenen Jahren ist es erstmal wichtiger, dass wir ein Zeichen setzen und hier sind." Vorbei also die Zeiten der Provokation, der geladenen Stimmungen auf Katholikentagen - in Stuttgart gleicht das Christenfest eher einem Pfadfinderlager mit gut gelaunten, lächelnden und offenen Menschen, die wissen, dass ihr Lager durch schwere Zeiten geht, die aber auch daran mitarbeiten wollen, es wieder aufzubauen.
Und so beherrschen zumindest am Feiertag vor allem die roten Halsbänder und rötlichen Halstücher mit der Aufschrift "leben teilen" die Straßen und Plätze der Innenstadt. "Es ist doch großartig, dass wir alle zusammen hier sein können", sagt ein älterer Mann, der vor einer Bühne hinter dem Kultusministerium Platz genommen hat. Am Feiertag gehört die Innenstadt den Gläubigen. Einen Tag später geht der Katholikentag eher wieder unter im Werktagsgewusel der Stadt.
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