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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Im Blickfeld: Biden muss gewinnen

Von Stefan Kuhn

Hat Donald Trump noch Chancen, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen? Blöde Frage. Er kann sie gar nicht verlieren. Zumindest seiner Ansicht nach. Sollte er verlieren, könnte das nur durch massiven Wahlbetrug zustande kommen. Trump nennt die Prognosen von seriösen Meinungsforschungsinstituten "fake polls" und verweist auf die "wahren" Umfragen, in denen er selbstverständlich vorne liegt. Keiner hat sie je gesehen. Schon seit Wochen warnt er vor der "betrügerischen" Briefwahl. Diese Möglichkeit, seine Stimme abzugeben, wird wegen Corona bei diesen Wahlen von wesentlich mehr Wähler*innen wahrgenommen. Beweise für diese Behauptung legte er keine vor.

Sieht man sich allerdings die Zahlen der Umfrageinstitute an, dürfte Trump keine Chancen mehr auf eine Wiederwahl haben. Sein demokratischer Gegner Joe Biden liegt landesweit durchschnittlich neun Prozentpunkte vor ihm. Natürlich bedeutet das beim US-amerikanischen Wahlmännersystem gar nichts. Es kommt wie immer auf die "Swing-States" an, Bundesstaaten, die mal republikanische, mal demokratische Kandidaten wählen. Florida und Ohio sind solche Staaten, in denen zudem viele Wahlmännerstimmen zu vergeben sind. Wer dort auch auch nur hauchdünn vorne liegt, bekommt die entsprechenden Wahlmänner*frauenstimmen. Glaubt man den Umfragen, hat Biden derzeit 259 "sichere" Wahlmänner und -frauen hinter sich. "Sicher" heißt, dass er in den entsprechenden Bundesstaaten über fünf Prozentpunkte Vorsprung hat. Verliert er keinen dieser Bundesstaaten und gewinnt Pennsylvania (20 Wahlleute), dann ist er der künftige Präsident der Vereinigten Staaten. Die absolute Mehrheit im Wahlgremium beträgt 270 Stimmen.

Nach dem Umfragedesaster vor vier Jahren, gibt es selbstverständlich Zweifel. Die Meinungsforscher*innen sahen Hillary Clinton schon als Präsidentin. Der Sieger hieß Donald Trump. Doch ganz so falsch waren die Umfragen nicht. Für Clinton stimmten wie prognostiziert fast drei Millionen Wähler*innen mehr als für Trump. Dieser hatte allerdings traditionell demokratische Bundesstaaten gewonnen, und die waren von den Befragern vernachlässigt worden. Bei dieser Wahl dürften die Institute vorsichtiger gewesen sein. Selbst Pennsylvania, wo Biden fünf Prozentpunkte Vorsprung hat, gilt noch nicht als sicherer Staat für den Demokraten.

Ein anderer Punkt, der für einen Biden-Sieg spricht, ist trotz des Wahlsystems der Vorsprung bei den landesweiten Umfragen. Es kam bei den US-Präsidentschaftswahlen nur sehr selten vor, dass ein Kandidat, der das "popular vote" gewonnen hat, also landesweit die meisten Stimmen hatte, nicht Präsident wurde. Al Gore hatte 2000 rund eine halbe Million Stimmen mehr als George W. Bush und am Ende weniger Wahlleute hinter sich. Das entsprach 0,5 Prozentpunkten. Bei Hillary Clinton waren es drei Millionen, etwas über zwei Prozentpunkte. Selbst wenn man in dem Neun-Punkte-Vorsprung Bidens nur eine Tendenz sieht, ist es kaum vorstellbar, dass jemand Präsident der Vereinigten Staaten wird, der bis zu zehn Millionen Stimmen weniger hat als sein Gegner.

Trump müsste die Wahl verlieren. Biden hat in den letzten Umfragen auch in Florida einen leichten Vorsprung. In Texas liegt Trump nur noch knapp vorn, dabei war der Staat mit den zweitmeisten Stimmen nach Kalifornien eine traditionelle Hochburg der Republikaner. Er sollte die Wahl verlieren, weil er wohl die krasseste Fehlbesetzung in dem Amt ist, die die US-Geschichte je gesehen hat. Seine Lügen, seine Verharmlosung der Corona-Pandemie, seine Kungelei mit Diktatoren, Amtsmissbrauch und seine Hasstiraden, die die Nation spalten, haben nur scheinbar keine Wirkung. In den Swing-States können sie das Zünglein an der Waage werden. In Florida, wo viele ältere Menschen ihren Lebensabend verbringen, kippt die Stimmung. Diese Wählergruppe, die mehrheitlich republikanisch wählte, kreidet dem Präsidenten die Handhabung der Corona-Krise an. Auch die Vorstadtfrauen, ebenfalls eine traditionelle republikanische Wählergruppe wendet sich von Trump ab.

Dazu kommt noch ein anderer Aspekt. Hillary Clinton wurde aus mehreren Gründen nicht Präsidentin. Sie galt als Kandidatin des Establishments und hatte nicht einmal ihre eigene Partei geschlossen hinter sich. Sie galt als sichere Siegerin, und viele gingen deshalb gar nicht wählen. Kurz vor der Wahl ermittelte das FBI wegen eines E-Mail-Skandals gegen sie. Biden gehört ebenfalls zum Establishment, aber seine Partei steht hinter ihm. Er gilt auch schon als Gewinner der Wahl, aber bei dieser geht es nur darum, eine Wiederwahl Trumps zu verhindern. Das mobilisiert Kräfte. Und Biden wurde in den letzten Tagen auch mit einer E-Mail-Affäre, bei der es um dubiose Geschäfte seine Sohnes ging, konfrontiert, aber die Medien schlachten dies derzeit nicht aus. Die Quellen sind wohl dubioser als die Geschäfte, und zum zweiten Mal wollen die "Fake-News"-Medien wohl nicht zum Steigbügelhalter Donald Trumps werden.

Biden muss gewinnen. Vor allem muss er mit deutlichem Vorsprung gewinnen. Bei knappen Ergebnissen in einzelnen Bundesstaaten wird Trump die Niederlage nie akzeptieren. Anwälte werden die Gerichte stürmen, das jetzt konservativ dominierte Oberste Gericht wird das letzte Wort haben. Trump hat für diesen Fall den Boden vorbereitet. Er hat die Judikative mit der Besetzung von Bundesrichtern und -richterinnen weit nach rechts verschoben und die Präsidentschaftswahl schon im Vorfeld als Betrug bezeichnet. Biden muss deutlich gewinnen, denn dann werden die meisten Republikaner Trump nicht folgen. Es gehört in Demokratien zum politischen Anstand, eine Niederlage zu akzeptieren.


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