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Im Blickfeld: Anschlag auf die Demokratie

Von Stefan Kuhn

US-Kongress
Trump-Anhänger versuchen am Kapitol durch eine Polizeiabsperrung zu brechen. (Foto: dpa)

Jetzt sollte er seine letzte Chance ergreifen und zurücktreten. Natürlich hat US-Präsident Donald Trump den Bogen schon lange überspannt und über fast vier Jahre hinweg deutlich gemacht, dass er dem Amt weder moralisch noch intellektuell gewachsen ist. Doch was er am Dreikönigstag in Washington angezettelt hat, ist in der US-amerikanischen Geschichte ohne Beispiel. Aufgestachelt durch eine Trump-Rede zogen tausende seiner Anhänger*innen zum Kapitol, wo beide Kongresskammern das Wahlergebnis, den Sieg des Demokraten Joe Biden über den Noch-Präsidenten, bestätigen wollten. Das ist eigentlich nur ein zeremonieller Akt, das Wahlergebnis steht schon lange fest. Alle juristischen Versuche Trumps, das Resultat anzufechten, alle Drohungen gegen republikanische Gouverneure, Abgeordnete und Wahlleiter sind gescheitert, doch der Präsident sprach auch am frühen Nachmittag des 6. Januar noch von Wahlbetrug, von einer gewonnenen Wahl, die „wir uns nicht stehlen lassen“.

Bei seinen Fans kam diese Botschaft an. Sie stürmten das Parlamentsgebäude, schlugen Fenster ein, besetzten Abgeordnetenbüros und erzwangen den Abbruch der gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus. Es gab Verletzte, eine Frau starb an den Folgen von Schussverletzungen.

Die Parlamentspolizei war machtlos gegen die schiere Menge. Die Volksvertreter wurden in Sicherheit gebracht. Erst nach vier Stunden war die Lage mit zusätzlichen Polizeikräften und der Nationalgarde wieder unter Kontrolle. Trump reagierte zunächst gar nicht und rang sich dann zu einem Videoclip durch, in dem er mehrmals die Lüge vom Wahlbetrug wiederholte und die Aufrührer aufforderte, um des lieben Friedens willen nach Hause zu gehen. „Ich liebe euch alle“, beendete er seinen Aufruf. Facebook und Youtube haben das Video gesperrt, es stachle mehr zu Gewalt an als dass es beschwichtige. Twitter blockierte Trumps Konto mit fast 90 Millionen Followern für zunächst zwölf Stunden. Das war dringend notwendig, denn Trumps Reaktion bedeutet in etwa: „Guter Job, Jungs. Jetzt könnt ihr nach Hause gehen.“

Trumps Aufruf war beschämend und demaskierend. Er folgt nach wie vor seinem narzisstischem Credo „Wer mich unterstützt, kann nicht schlecht sein“. Er hat sich in seiner gesamten Amtszeit nie von Rechtsextremen wie den „Proud Boys“ oder den Anhängern der kruden „QAnon“-Verschwörungstheorie distanziert. In den letzten Wochen hat er mehrere seiner strafrechtlich verurteilten Helfer amnestiert. Wenn ihm allerdings wohlmeinende Freunde widersprechen oder ihn kritisieren, werden sie öffentlich niedergemacht.

Das Aufstacheln des Mobs am Dreikönigstag war Trumps größter Fehler. Im Kongress gab es zuvor noch erschreckend viele republikanische Abgeordnete und Senator*innen, die seine Lüge vom Wahlbetrug glaubten oder wider besseres Wissen vertraten. Ihre Zahl dürfte geringer werden, denn der Angriff auf das Herz der US-amerikanischen Demokratie hat die meisten Bürgerinnen und Bürger geschockt. Dann hat der Präsident auch noch seinem designierten Nachfolger eine Steilvorlage gegeben. Biden kam Trump zuvor, gab sich präsidial, sprach von Respekt, Ehre und Besonnenheit und forderte den Präsidenten auf, die Unruhen zu beenden.

Trumps permanente Weigerung, Bidens Wahlsieg anzuerkennen, hat wohl auch wesentlich zur Niederlage der beiden republikanischen Senatskandidaten bei den Nachwahlen in Georgia geführt. Die Amtsinhaber Kelly Loeffler und David Perdue verloren nur äußerst knapp gegen die Demokraten Raphael Warnock und Jon Ossoff. Im Senat gibt es jetzt ein Patt von 50:50 Stimmen. Das heißt, dass die künftige Vizepräsidentin Kamala Harris mit ihrer Stimme wichtige Entscheidungen durchsetzen kann.

Wie es weitergeht oder wie es mit Trump weitergeht, ist schwer abschätzbar. Vorhersehbar waren aber die Ereignisse vom Dreikönigstag. Es war grob fahrlässig, das Kapitol nicht mit einem massiven Polizeiaufgebot zu schützen. Trump hatte seine Anhängerschaft schon lange vor den Wahlen auf dieses Szenario eingestimmt. „Wenn wir verlieren, dann nur durch massiven Wahlbetrug.“ Als die Niederlage feststand und alle juristischen Mittel ausgeschöpft waren, wurde der Ton aggressiver. Der Präsident sprach von einem „gestohlenen Erdrutschsieg“ und forderte seine Anhänger auf, Widerstand zu leisten. Wer erwartet hatte, dass dies mit Fahnen, Plakaten und Sprechchören geschehen würde, muss ziemlich blauäugig sein.

Jetzt spricht man sogar von einem Staatsstreich, der Nachrichtensender CNN weigert sich gar, von Protestlern zu sprechen, man verwendet Begriffe wie „Terroristen“ oder „Aufrührer“. Demokratische Kongressabgeordnete wollen ein neues Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten einleiten. Viel Zeit bleibt nicht mehr, in zwei Wochen heißt der Präsident Joe Biden. Andere denken darüber nach, Trump wegen Unzurechnungsfähigkeit zu entmachten. Das hätte man schon wesentlich früher tun können. Realitätsverlust und verwandte Symptome sind nicht erst in seinen letzten Amtswochen aufgetreten.

Wäre Trump klug, würde er zurücktreten. Dann würde für wenige Tage Vizepräsident Mike Pence übernehmen. Der treue Mike könnte ihn begnadigen, so wie das Gerald Ford 1974 im Falle Richard Nixons getan hat. Nixon wurde nie strafrechtlich wegen der Watergate-Affäre belangt. Und auf Trump könnte da einiges zukommen. Ein Staatsstreich war der Sturm auf das Kapitol zwar nicht, aber ein orchestrierter Anschlag auf eine zentrale Institution der US-amerikanischen Demokratie. Es war nicht der einzige in der Ära Trump.


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