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Im Blickfeld: Alternativlose GroKo

Von Stefan Kuhn

Nein, gefeiert wurde nicht. Es gab zwar einen Anlass, aber keinen vernünftigen Grund. Ein Jahr ist die erneute große Koalition jetzt im Amt, und noch unbeliebter als bei ihrem Start. Zwei Drittel der Befragten einer Studie des Meinungsforschungsinstitutes Civey waren mit der Arbeit der Regierung „unzufrieden“ oder „eher unzufrieden“. Wie ernst man das nehmen muss, sei dahingestellt. Laut Umfragen wollen ebenfalls zwei Drittel der Befragten, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 im Amt bleibt. Vielleicht gehört es ja zum guten Ton, über die Regierung zu schimpfen, oder man hält Angela Merkel schlicht für das kleiner Übel.

„Merkel muss weg“ ist jedenfalls Geschichte. Die Kanzlerin ist der Aktivposten der Union in der Regierung. Sie hat die besten Werte unter den Regierungsmitgliedern. Die letzten Plätze im Beliebtheitsranking belegen Unionsministerinnen und -minister. Schlusslicht ist die skandalgeplagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Warum die GroKo so unbeliebt ist, kann man rational nicht erklären. Seit Merkels Rücktritt vom CDU-Vorsitz und Horst Seehofers vom CSU-Vorsitz arbeitet die Regierung effektiv und relativ geräuschlos. Zwei Drittel ihrer Vorhaben sind umgesetzt oder in Arbeit, gescheitert sind lediglich drei Projekte. Die Bilanz ist ganz ansehnlich. Deutschland steht wirtschaftlich ordentlich da, im Gegensatz zu früheren Regierungen muss die GroKo der Bevölkerung keine Lasten auferlegen. Sie kann Geld verteilen. Zudem hat die Flüchtlingsdebatte an Schärfe verloren. Eigentlich müsste die Regierung gute Karten haben.

Es scheint, als habe sich das ungute Gefühl, das viele SPD-Mitglieder dem Regierungseintritt ihrer Partei entgegenbrachten, auf die Gesamtbevölkerung übertragen. GroKo bedeutet schlechte Stimmung. Ganz so abwegig ist der Gedanke gar nicht. Unter den SPD-Wählern war die Abneigung gegen eine erneute GroKo so stark, dass die Partei in Umfragen seit den letzten Bundestagswahlen teilweise mehr als ein Viertel ihrer Wählerschaft einbüßte. Inzwischen sind die Grünen zweitstärkste Kraft. Um Platz drei kämpfen SPD und die rechtspopulistische AfD. Die Grünen dürften am meisten von enttäuschten SPD-Wählern profitiert haben. Geht man davon aus, dass die Anhänger der Oppositionsparteien Grüne, Linke, FDP und AfD die Arbeit der Regierung nicht unbedingt positiv bewerten und dazu ein großer Teil der Noch-SPD-Anhänger der GroKo kritisch gegenübersteht, dann kann man die Unbeliebtheit der Regierung statistisch nachvollziehen.

Viele Fans hatte sie schon bei den Bundestagswahlen 2017 nicht mehr. Als CDU/CSU und SPD 2013 ein Regierungsbündnis eingingen, hatten die Parteien noch mehr als zwei Drittel der Wählerinnen und Wähler hinter sich. Vier Jahre später waren es nur noch 53,4 Prozent. Derzeit stehen laut Umfragen nur noch 45 Prozent hinter den Regierungsparteien. Natürlich sind dies auch Abnutzungserscheinungen. Große Koalitionen sieht man in Deutschland als Notlösungen, als Krisenkonstellationen, nicht als dauerhafte Regierungsbündnisse. Bis 2005 wurde Deutschland nur drei Jahre lang von einer GroKo regiert. Von da an nur vier Jahre nicht. Früher warnte man davor, dass große Koalitionen die Ränder stärken, heute wäre dies ein kleineres Übel. Große Koalitionen zerstören das Parteiensystem und dies nur selten zum Vorteil der entsprechenden Nationen. Italien ist hier das jüngste Negativbeispiel.

So unbeliebt die GroKo auch ist, sie hat Chancen bis zum Ende der Legislaturperiode zu bestehen. Natürlich hängt viel von der SPD ab, von deren Abschneiden bei den Europawahlen und den Landtagswahlen in Bremen und Brandenburg, wo sie noch den Regierungschef stellt. Vor allem Bremen ist für die Sozialdemokraten wichtig. Dort regieren sie seit 1946 ununterbrochen. Brandenburg ist seit der Wiedervereinigung 1990 in SPD-Hand. Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen könnten in anderer Hinsicht von Bedeutung sein. Die SPD ist als Juniorpartner in beiden Regierungen vertreten, aber es könnte dort zu Koalitionen von CDU und AfD kommen. Ob die große Koalition in Berlin das aushält, darf man bezweifeln. Nüchtern betrachtet wäre ein Länderbündnis der Christdemokraten mit den Rechtspopulisten für die SPD ein besserer Grund, die GroKo aufzukündigen als eine Wahlschlappe in Bremen oder Brandenburg. Im ersten Fall ginge es ums Prinzip, im zweiten um die Angst vor dem Fall in die Bedeutungslosigkeit.

Nach Wahlschlappen bei den Landtagswahlen könnte die SPD natürlich einen Koalitionsbruch provozieren, das Risiko wäre jedoch kaum kalkulierbar. Es würde zu Neuwahlen kommen, und bei solchen könnte sich die SPD der Zehn-Prozent-Marke nähern. Die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der aktuellen Zusammensetzung des Bundestags unter einer Kanzlerschaft der neuen CDU-Vorsitzenden Annegret Kamp-Karrenbauer zu einer Jamaika-Koalition kommt, tendiert gegen Null. Die Grünen würden das aus gutem Grund nicht mitmachen. In einer Koalition mit den Unionsparteien und der FDP wären sie die kleinste Kraft. Inzwischen sind sie in den Umfragen mit fast 20 Prozent zweitstärkste Partei. Die Grünen hätten fast doppelt so viel Stimmen wie die FDP und würden sich vehement für Neuwahlen einzusetzen.

Neuwahlen zu verhindern, ist der Kitt, der die Berliner GroKo zusammenhält. Die Unionsparteien dürften einen vorzeitigen Urnengang ebenso scheuen wie die SPD. Derzeit sieht es laut Umfragen zwar nach einer erneuten großen Koalition aus, aber dies wäre dann ein Bündnis aus CDU/CSU und Grünen. Das wiederum könnte unmöglich werden, wenn die CDU auf Länderebene mit der AfD koaliert. Wenn die Christdemokraten ein derartiges Tabu brechen, riskieren sie einen Bruch der Regierung und machen künftige Konstellationen fast unmöglich. Vermutlich wird Merkel mit der SPD bis 2021 durchhalten.

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