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Im Blickfeld: Abgang eines Undiplomaten

Von Michael Fischer

Andrij Melnyk
Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, aufgenommen im Bundestag in Berlin. (Foto: dpa)

Er ist der bekannteste und unbequemste Botschafter, den es in Deutschland in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Jetzt muss der ukrainische Diplomat Andrij Melnyk Berlin verlassen. Was aus ihm wird, ist noch unklar.

Botschafter agieren normalerweise im Verborgenen und versuchen auf diskrete Weise die Interessen ihres Landes zu vertreten. Andrij Melnyk war genau das Gegenteil davon. Als Botschafter der Ukraine hat er in den vergangenen Monaten mit offenem Visier und in außergewöhnlich scharfer Weise die Unterstützung Deutschlands für den Kampf seines Landes gegen die russischen Angreifer eingefordert. In Bundesregierung und Koalition war er dafür als Nervensäge verschrien. In den Talkshows war der exzellent Deutsch sprechende Diplomat dagegen als Stimme der Ukraine ein gern gesehener Gast.

Damit ist es nun vorbei. Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Melnyk am Samstagabend mit dem Dekret 479/2022 abberufen. Gleichzeitig wurden die Botschafter in vier anderen Ländern von ihren Aufgaben entbunden.

Selenskyj stellte das später in seiner täglichen Videobotschaft als reine Routine dar. "Diese Frage der Rotation ist ein üblicher Teil der diplomatischen Praxis", sagte er. "Für Tschechien, Deutschland, Ungarn, Norwegen und Indien werden neue Vertreter der Ukraine ernannt."

Inwieweit der Schritt mit den umstrittenen Äußerungen Melnyks zum ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera zu tun hat, blieb zunächst unklar. Es ist auch noch offen, ob der Spitzendiplomat die Amtsgeschäfte bis zur Ankunft eines Nachfolgers weiterführt. Fest steht aber: Die Tage des bekanntesten und gleichzeitig umstrittensten Botschafters, den es in den letzten Jahrzehnten in Deutschland gegeben hat, sind gezählt.

Der 46-jährige Melnyk stammt aus Lwiw in der Westukraine, wo er Rechtswissenschaften studierte, bevor er in den diplomatischen Dienst eintrat. Er war Botschafter in Österreich und Generalkonsul in Hamburg, hatte aber auch verschiedene Posten im Präsidialamt und Außenministerium in Kiew, bevor er im Januar 2015 Botschafter in Berlin wurde.

Mit der deutschen Staatsführung hat sich Melnyk schon lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine angelegt - vor allem mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, den er mehrfach offen kritisierte. Als Kanzler Olaf Scholz (SPD) am 27. Februar seine "Zeitenwende"-Rede im Bundestag hielt, wurde Melnyk trotzdem mit stehendem Applaus begrüßt. Auf der Tribüne umarmte ihn Altbundespräsident Joachim Gauck.

In den folgenden Monaten wurde der Botschafter zum häufigsten Gast in deutschen Talkshows. Kaum ein Tag verging, an dem er nicht Kampfpanzer und Luftabwehrgeschütze forderte und der Regierung Zögern und Zaudern vorwarf. Auf die Frage, was ihn antreibt, sagte Melnyk einmal: "Ich will, dass mein Gewissen rein bleibt." Wenn seine Kinder ihn nach dem Krieg mal fragten, was er da in Berlin gemacht habe, wolle er sagen können: "Ich habe nichts unversucht gelassen."

Die Art, wie er seine Anliegen vortrug, ging vielen Politikern in Berlin aber von Anfang an gegen den Strich. Öffentliche Kritik an ihm gab es trotzdem nicht, jedenfalls nicht aus der ersten oder zweiten Reihe. Angesichts des brutalen Angriffskriegs, gegen den sich die Ukraine zur Wehr setzte, wurde Melnyk nicht an herkömmlichen diplomatischen Gepflogenheiten gemessen.

Erst als der Botschafter den Kanzler als "beleidigte Leberwurst" bezeichnete, platzte einigen der Kragen. Selbst Oppositionspolitiker nannten das "indiskutabel" und "unangemessen". "Olaf Scholz ist keine Wurst, er ist der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland", sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki damals.

Der Groll Melnyks auf die Regierung legte sich erst mit der Lieferung der ersten schweren Waffen in die Ukraine, der Reise des Kanzlers nach Kiew und dessen Unterstützung für den EU-Kandidatenstatus der Ukraine. Melnyk lobte den Kanzler sogar dafür.

Kurz darauf erwischte ihn die Sache mit Bandera, dem umstrittenen ukrainischen Nationalisten, dem Historiker Kollaboration mit den Nazis und eine Mitverantwortung für die Ermordung von Polen und Juden im Zweiten Weltkrieg vorwerfen. In Melnyks Heimat, der Westukraine, wird Bandera allerdings auch von vielen bis heute als Freiheitskämpfer verehrt.

In einem Interview mit dem Journalisten Tilo Jung nahm der Botschafter Bandera gegen den Vorwurf in Schutz, er sei ein Massenmörder. Dafür wurde er nicht nur vom eigenen Außenministerium, sondern auch von der polnischen Regierung und der israelischen Botschaft scharf kritisiert. Erst Tage später reagierte Melnyk darauf und wies auf Twitter den Vorwurf zurück, er habe damit den Holocaust verharmlost. Seitdem schweigt er wieder.

Was nun aus dem 46-Jährigen wird, ist unklar. Seine diplomatische Karriere ist mit der Abberufung jedenfalls nicht unbedingt beendet. Die "Bild" hatte vor einer Woche berichtet, der Botschafter könne nach Kiew zurückkehren und stellvertretender Außenminister werden. Der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte Melnyk am Sonntag, seine Amtszeit werde formell "vermutlich in wenigen Wochen zu Ende gehen". Dann würden er und seine Familie in die Ukraine ausreisen. In seiner Zeit als Botschafter habe er "andere Jobangebote abgelehnt", um seine Mission in Deutschland weiterführen zu können.

"Deutschland bleibt in unseren Herzen", sagte Melnyk, "der Abschied fällt uns schwer". Er habe eine "sehr enge Beziehung zu diesem Land, die streckenweise auch eine Art Hassliebe war".


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