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„Ich habe eine soziale Verantwortung“

Im Interview mit Filmemacherin Jeanine Meerapfel

Jeanine Meerapfel
Jeanine Meerapfel ist seit 2015 Präsidentin der deutschen Akademie der Künste. (Foto: Jeanine Meerapfel)

Buenos Aires/Berlin - An ihrer Biografie kann man sich kaum sattsehen: Regisseurin Jeanine Meerapfels Leben birgt einen Haufen spannender Momente. Die Tochter geflohener Deutschjuden landete unter anderem mit ihren Werken „Die Kümmeltürkin geht“ (1985), „La amiga“ (1989) und „Der deutsche Freund“ (2012) internationale Erfolge. Die in Argentinien geborene Filmemacherin wurde 2020 für ihre Arbeit als Filmemacherin und ihren Einsatz für Menschenrechte sogar mit dem deutschen Verdienstkreuz erster Klasse ausgezeichnet.

Am 18. November wird Meerapfel zu Besuch in Buenos Aires sein. Ihr Film „Eine Frau“ feiert dann im MALBA seinen argentinischen Kinostart. Kurz vorher, zwischen dem 7. und 13. November ist „Der deutsche Freund“ auf der Streamingplattform des Goethe-Instituts „Goethe on Demand“ kostenlos abrufbar. Im Interview verriet uns die Filmemacherin, was sie zur Umsetzung des romantischen Dramas motivierte. Das Argentinische Tageblatt hatte außerdem die Ehre, mit der 79-jährigen Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin über ihren Werdegang zu reden: Ein Blick auf eine bereits Jahrzehnte andauernde Karriere, die international bewegt.


AT: Sie sind ausgebildete Journalistin und Filmemacherin. Passen Journalismus und Film zusammen?

Sehr gut. Wenn man Filme macht, muss man ja auch sehr organisiert sein und die Gedanken strukturieren können. Journalismus hilft da sehr, überhaupt jede Disziplin, die dazu führt, dass man Gedanken in so einer Weise ordnet, dass sie einen Sinn ergeben. Das hilft fürs Filmemachen, das hilft aber auch um Texte, Drehbücher zu schreiben. Das war das erste, was mich interessiert hatte: Drehbuchschreiben. Ich kam ja von der Literatur, vom Journalismus, und habe dann in Buenos Aires bei Simón Feldman die ersten Schritte des Drehbuchschreibens gelernt.


Könnte man also sagen, dass Drehbuch Ihre liebste Sparte ist?

Es ändert sich. Sagen wir mal so, wenn man einen Spielfilm plant, ist das Drehbuch ja alles. Das ist die Basis für jede Produktion, für jede Art der Erzählung. Wenn man aber einen Dokumentarfilm macht, mein letzter Film ist ja auch ein Essay-Film, geht es nicht um ein Drehbuch, sondern um eine Konzeption und eine Vorstellung, wie man eigentlich erzählen will und was man erzählen will. Vom klassischen Drehbuchschreiben, bei dem jede Kamerabewegung beschrieben wird, sind wir schon längst entfernt. Wir beschreiben Situationen, Figuren, Dialoge. Ich habe am Anfang wirklich noch gelernt, jede Kameraeinstellung zu beschreiben, aber das hat sich heute geändert.


Glauben Sie, dass Kunst einen einfacheren Zugang zu komplexen gesellschaftlichen Themen schafft?

Natürlich. Ich verstehe mich zwar nicht als Künstlerin, sondern als Filmemacherin. Aber auf jeden Fall habe ich eine soziale Verantwortung, als jemand, der in den Medien arbeitet, Bilder macht, Geschichten erzählt, Themen angeht. Gleichzeitig glaube ich, dass alles was wir tun, sei es ein Text, den wir schreiben, sei es ein Film, den wir machen, immer eine politische und soziale Komponente und Bedeutung hat. Wir leben nicht außerhalb der Welt, sondern in ihr und so sind die Geschichten, die wir erzählen, immer aus und in dieser Welt. Sie bedeuten etwas, und sie verursachen auch etwas.


Sie behandeln oft Themen wie Auswanderung und Migration in Ihren Werken.

Als ich letztes Jahr zum ersten Mal in Argentinien den Film „Eine Frau“, der ja auch von Exil und Migration spricht, in Mar del Plata gezeigt habe, haben die Menschen unglaublich warmherzig reagiert. Das war sehr interessant. Und mir war dann klar: Jeder hat in der eigenen Familie in Argentinien Eingewanderte, Ausgewanderte. Es gibt kaum Argentinier, die in der dritten, vierten oder fünften Generation sind. Das heißt, sie haben sehr wohl verstanden, was „Exil“ bedeutet. Also auch die, die wegen der Militärdiktatur ins Exil gehen mussten und dann wieder zurückkamen und so weiter. Da gibt es in Argentinien unglaublich positive und empathische Reaktionen zu diesen Themen: Es sind ihre Themen.


In einem Interview sagten Sie: „Ich halte sehr viel davon, davon zu erzählen, was wir kennen - und was wir gut kennen.“ Ist das ein Tipp, den sie jungen Filmemachern geben würden, erst in der eigenen Erinnerungskiste zu wühlen?

Es geht hier nicht nur um das Eigene. Es geht darum, etwas wirklich zu kennen. Und wenn man es nicht kennt, das so lange zu studieren, bis man es kennt. Mein Lehrer, Alexander Kluge, sagte uns immer: „Ihr müsst wirklich das erzählen, was ihr genau kennt. Wenn man das nur oberflächlich kennt, wird man sicher Fehler machen, man wird nicht wahrhaftig erzählen können.“ Ich habe meinen Studenten auf der Kunsthochschule auch immer gesagt, sie sollen das erzählen, was sie tief interessiert und was sie dann auch ausgiebig studieren würden. Sonst gibt es immer Misstöne.


Wie sind Sie bei der Recherche zu „La amiga“ (1988) vorgegangen?

Es war so, dass ich die Mütter vom Plaza de Mayo kennengelernt habe, insbesondere Hebe de Bonafini. Hebe kam nach Deutschland, die Mütter machten zu dieser Zeit - das war am Ende der Militärdiktatur - Reisen durch Europa, um Unterstützung zu suchen. Wir haben uns sehr lange unterhalten, dann bin ich in Argentinien gewesen und habe noch weitere Gespräche geführt. Und ich habe mich einfach mit der Geschichte der Mütter auseinandergesetzt und sie wirklich verstanden. Später war das so, dass ich natürlich nicht nur die Geschichte einer Mutter erzählen konnte, denn den Film „Die Mutter“ gibt es schon von Pudovkin. Ich wollte etwas anderes machen und die Geschichte von zwei Frauen erzählen. Da habe ich mich zusammen mit Agnieszka Holland, das ist eine sehr gute polnische Regisseurin und Freundin von mir, hingesetzt in ihrer Wohnung in Paris und wir haben überlegt: Wie könnte die Geschichte von zwei Freundinnen sein? Die eine wird zu einer Mutter der Plaza de Mayo, die andere nicht. Wie könnte das funktionieren und was repräsentieren? So entstanden Ideen und danach habe ich die Szenen geschrieben.

Es dürfte sicher nicht einfach gewesen sein, diesen Film kurz nach Ende der Militärdiktatur in Argentinien zu verwirklichen.

Es gab während der Dreharbeiten einige Probleme, und zwar hat uns die Polizei keine Waffen und keine Kostüme gegeben und gar nichts, wir mussten alles ein bisschen improvisieren, weil sie natürlich das Drehbuch gelesen haben und gemerkt haben, welche Position wir im Film haben - nämlich die der Mütter. Da gab es einige Schwierigkeiten. Und als wir auf der Plaza de Mayo gedreht haben, wurden wir immer wieder fotografiert von irgendwelchen merkwürdigen Menschen, die gesagt haben: „Wir werden euch nicht vergessen.“ Also herrschte noch immer eine ziemlich bedrohliche Stimmung, die geblieben war von der Militärdiktatur. Später, als wir den Film gezeigt haben, war da eine große Begeisterung seitens des Publikums. Die Mütter fanden den Film gut, sie sagten, der Film sei wahrhaftig, sie haben ihn unterstützt und die Kinos waren voll.


Das ist wohl die schönste Kritik, die man bekommen kann.

Ja, noch schöner war, dass das INCAA (Instituto Nacional de Cine y Artes Audiovisuales) damals den Film ausgewählt hat, um Argentinien beim Oscar zu repräsentieren. Das fand ich natürlich schon eine großartige Auszeichnung, auch wenn der Film dann nicht dort ausgewählt wurde - aber die Haltung Argentiniens fand ich ganz wunderbar.


Fanden Sie es im Nachhinein mutig, diesen Film gedreht zu haben?

Mutig waren und sind die Mütter von der Plaza de Mayo, nicht wir. Wir haben einen Film gemacht und das empfand ich nicht als mutig, sondern war froh, dass ich diesen Film drehen konnte. Ich habe großartige Schauspieler gehabt und überhaupt die ganze Produktion, das war schon ein Gefühl, dass alle Leute diesen Film machen wollten.

Jeanine Meerapfel
Die Filmemacherin erläutert die Vor- und Nachteile des Großwerdens zwischen zwei Kulturen. (Foto: Jeanine Meerapfel)

Eine reichhaltige Erfahrung dürfte sicher auch der Entstehungsprozess ihres Filmes „Der deutsche Freund“ (2012) gewesen sein.

Das ist auch ein komplexer Film, denn er spielt zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten, sowohl in Deutschland als auch in Argentinien. Es ist eigentlich eine große Liebesgeschichte. Und da habe ich auch etwas Soziales gebaut. Er erzählt den Unterschied zwischen einer deutschen Familie und einer deutsch-jüdischen Familie in Argentinien und wie die Kinder von diesen Familien sich ineinander verlieben. Das trägt eine ganze Menge Geschichte, aber auch Geschichten. Ich mag den Film gerne, die wunderbare Celeste Cid spielt die Hauptrolle und er spielt an wunderbaren Orten wie Patagonien. Ich glaube, dass der Film auch sehr für die Augen ist. Ich bin früher sehr gerne wandern gegangen, und eine Freundin hat mir diesen Ort in der Nähe von Bariloche gezeigt, wo die Kondore ihre Nester haben. Das fand ich so aufregend, das wollte ich unbedingt in einem Film mal erzählen und dann hat sich das ergeben.


Warum betont Sulamit (Celeste Cid) im Film immer wieder, dass Friedrich (Max Riemelt) Argentinier ist?

Für die Figur ist das wichtig. Die Figur ist eine sehr zerrissene Figur. Er ist ja der Sohn von einem Nazi und will eine eigene Identität finden, er versucht das in Deutschland, das kann er nicht. Dann geht er zurück nach Argentinien, um politisch aktiv zu werden. Und deshalb ist es ihm so wichtig, eine Identität in dem Land zu finden. Und diese Zerrissenheit haben viele Kinder von Migranten, also die erster Generation. Was bin ich? Bin ich Deutscher, bin ich Argentinier? Und das ist eine Selbstbestimmung: Ich will Argentinier sein. Ich glaube, das ist etwas, was viele Kinder von Migranten haben. Dieses Hin und Her, wo bin ich zuhause, wer bin ich eigentlich, was ist meine Sprache? Andererseits, wenn eine gewisse Reife da ist, merkt man, was für ein Reichtum das dann letztlich ist, weil man aus beiden Kulturen etwas hat. Was mir auch wichtig ist, in „Der deutsche Freund“ sprechen die Leute Deutsch und Spanisch. In der originalen Fassung kriegt man das mit.

Sie haben vorhin angemerkt, sie seien keine Künstlerin, sondern Filmemacherin. Warum differenzieren Sie?

Wissen Sie, Kunst ist so ein großes Wort, vor dem ich einfach sehr viel Respekt habe. Manche Menschen, die malen oder Ähnliches tun, nennen sich Künstler. Ich muss sagen, ich habe mich immer zuerst als Journalistin und später als Filmemacherin verstanden, ich mache Filme. Ob das jetzt mit Kunst zu tun hat, das kann ich nicht beurteilen und will ich auch nicht. Ich glaube, dass das egal ist. Wichtig ist, ob diese Filme gut gemacht sind und ob sie die Menschen was angehen, ob die Menschen das mögen, damit etwas anfangen können. Also, dieser Begriff Kunst ist einfach ein schwieriger. Als Präsidentin der Akademie der Künste ist es besonders schwierig, das sind 418 Künstler zusammen, von Malern über Musiker bis zu Filmemachern. Das Wort Kunst gebrauche ich trotzdem mit großer Vorsicht.


Oder vielleicht gerade deswegen.

Ja, es ist einfach so anspruchsvoll. Es würde mir so vorkommen, als ob ich mir einen Anzug anziehe, der nicht meiner ist. (AT/cld)

Das Gespräch führte Catharina Luisa Deege.

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