75 Jahre Kon-Tiki-Expedition
Von Denis Düttmann und Steffen Trumpf
Auf der einen Seite ein Mann mit einer kühnen Idee, auf der anderen ein riesiger Ozean: Thor Heyerdahl hat mit dem Floß „Kon-Tiki“ vor 75 Jahren Geschichte geschrieben, die bis heute ihresgleichen sucht. Dem Norweger ging es dabei um mehr als nur ein Abenteuer.
Oslo/Lima - Viele Wissenschaftler und Seefahrer betrachteten es als wahnwitziges Vorhaben, andere belächelten diesen Norweger mit seiner kühnen Idee bloß: Als sich Thor Heyerdahl vor 75 Jahren per Holzfloß auf den offenen Pazifik hinauswagte, konnte er auf alles andere als die Unterstützung der Fachwelt setzen. Angetrieben wurde er auf seinem Weg von Peru nach Polynesien nicht von der Suche nach dem großen Abenteuer, sondern von einer wissenschaftlichen Theorie, von der damals kaum jemand etwas wissen wollte: dass es möglich war, mit altertümlichen Mitteln von Südamerika aus nach Polynesien zu gelangen.
„Er war ein Wissenschaftler, kein Abenteurer, wie allgemein angenommen wird. Er führte ein abenteuerliches Leben, aber er suchte das Abenteuer nicht um des Abenteuers willen“, sagt Liv Heyerdahl über ihren im Jahr 2002 gestorbenen Großvater. „Wissenschaftliche Neugier war seine Antriebskraft.“
Diese Neugier war so groß, dass sich Heyerdahl knapp zwei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit seiner Mannschaft in Peru zu einer hochriskanten Reise aufmachte: Nach Berichten und Zeichnungen der spanischen Konquistadoren über die Flöße der südamerikanischen Ureinwohner baute er mit seinen Männern aus Balsaholz die „Kon-Tiki“. Nägel, Schrauben und Drahtseile waren tabu. Das Floß wurde nur durch Naturfaser-Taue zusammengehalten. Die Fachwelt schüttelte den Kopf.
Zur Crew zählten neben Heyerdahl noch fünf andere Männer. Zweiter Kommandant auf dem Floß war Herman Watzinger. Er wurde in Wiesbaden geboren, wuchs in Norwegen auf und traf Heyerdahl während eines Studienaufenthalts durch Zufall in New York. Später leitete er eine Fischmehlfabrik in Chile und war Ende der 1970er Jahre stellvertretender Generaldirektor der Welternährungsorganisation FAO.
Am 28. April 1947 wurde das Floß vom Marinehafen Callao auf die offene See geschleppt und setzte Segel. Heyerdahl musste zuvor eine Erklärung unterzeichnen, die das peruanische Militär von jeglicher Verantwortung für das Vorhaben freisprach. Doch zur Überraschung der Kritiker schlug sich die „Kon-Tiki“ erstaunlich gut: Es sei ein „fantastisches, seetaugliches Floß“, schrieb Heyerdahl nach zwei Wochen auf See in sein Logbuch.
Wie erwartet schob der Humboldtstrom die „Kon-Tiki“ gen Westen. Nach 4300 nautischen Meilen und 101 Tagen lief das Floß schließlich auf einem Korallenriff im Raroia-Atoll in Polynesien auf Grund. Nach dem erfolgreichen Ende der Expedition schrieb Heyerdahl das Buch „Die Kon-Tiki-Expedition“, das in 70 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft wurde. Der gleichnamige Dokumentarfilm wurde 1951 gar mit einem Oscar ausgezeichnet.
Mit der Reise über den Pazifik hatte Heyerdahl den Beweis erbracht, dass die Polynesischen Inseln theoretisch auch von Südamerika aus hätten besiedelt werden können. Die damals gängige Theorie lautete, dass die ersten Bewohner der Region aus Asien gekommen waren.
Jüngste DNA-Analysen stützen zumindest Heyerdahls Annahme, dass Ureinwohner aus Südamerika schon lange vor der Ankunft der Europäer nach Polynesien gelangten. Der mexikanische Genetiker Andrés Moreno-Estrada wies in DNA-Proben von Menschen auf den Osterinseln und Polynesien Erbgut von Indigenen aus Südamerika nach. Im östlichen Polynesien wurden zwischen 1150 und 1230 die ersten gemeinsamen Nachkommen von Polynesiern und Südamerikanern geboren, wie es in der 2020 in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Studie heißt.
Zwischen Mexiko und Ecuador gab es zu dieser Zeit wahrscheinlich schon Handel auf dem Seeweg. Moreno-Estrada geht davon aus, dass nur eine kleine Gruppe zufällig nach Polynesien gelangte. „Vielleicht ist ein kleines Floß mit Ureinwohnern aus Amerika in den Pazifik abgedriftet“, sagt der Wissenschaftler.
Thor Heyerdahl, der zeitlebens ein großer Umweltschützer war und 1970 außerdem in einem Boot aus Papyrus von Marokko bis zum karibischen Barbados segelte, dachte stets über den skandinavischen Tellerrand hinaus. Von ihm stammen die Sätze: „Grenzen? Habe ich noch nie gesehen. Aber ich habe gehört, dass sie existieren, in den Gedanken einiger Menschen.“
Die Kon-Tiki-Expedition habe nichts Geringeres bewiesen, als dass es möglich war, den Pazifik auf einem Floß aus Balsaholz zu überqueren, sagt Enkelin Liv Heyerdahl. Sie ist heute die Direktorin des Kon-Tiki-Museums in Oslo, das zu den meistbesuchten Museen Norwegens zählt. Größter Schatz des Museums ist das legendäre Floß ihres Großvaters: Das wurde bei der Landung auf Raroia zwar beschädigt, längst aber in seinen Originalzustand zurückversetzt. Thor Heyerdahl mag somit vor 20 Jahren gestorben sein - sein wissenschaftliches Erbe lebt dagegen weiter. (dpa)
Kommentare