Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erzählt
Berlin (dpa) - Margot Friedländer, bald 100 Jahre alt, denkt ununterbrochen an ihre Mutter und ihren Bruder. Eine Bernsteinkette ist das einzige, was ihr von ihrer „Mutti“ geblieben ist. Und wenn Margot Friedländer heute einen Teenager sieht, erinnert sie das oft an ihren Bruder Ralph. Was wäre wohl aus ihm geworden?
Es war der 20. Januar 1943, als die beiden in die Hände der Nazis fielen, sie starben in Auschwitz. Aus Margot Friedländers direkter Familie hat niemand außer ihr den Holocaust überlebt. Dennoch ist sie mit fast 88, nach dem Tod ihres Mannes und nach vielen Jahrzehnten in New York, wieder zurück in ihre Heimat gezogen, nach Berlin. In das Land der Täter. „Hass ist mir fremd“, sagt sie.
Als Zeitzeugin hat die kleine, elegante alte Dame unermüdlich ihre Geschichte erzählt. Sie bekam das Bundesverdienstverkreuz und wurde Berliner Ehrenbürgerin. Jetzt lassen die Kräfte etwas nach, sie kann nicht mehr reisen.
Am 5. November wird Margot Friedländer 100 Jahre alt. Passend zum Themenjahr „1700 Jahre jüdischen Leben in Deutschland“ erscheint nun ein Interviewbuch. Es klingt nach Vermächtnis: „Ich tue es für Euch“. Darin spricht sie mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über persönliche Geschichten, den Schrecken und die Lehren der NS-Zeit. Die langjährige FDP-Politikerin ist heute Antisemitismusbeauftragte vom deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen. Es ist ein Buch gegen das Vergessen.
Das Kriegsende ist 76 Jahre her, viele Zeitzeugen, die so eindrücklich erzählen können wie sie, gibt es nicht mehr. Sie überlebte Terror und Verfolgung 15 Monate im Untergrund. Sie färbte sich die Haare und ließ sich sogar die Nase operieren, um nicht aufzufallen. Dann ging es schief. Jüdische „Greifer“, die für die Nazis andere Juden aufspürten, erwischten sie. Sie wurde ins KZ Theresienstadt deportiert. Sie überlebte, so wie ihr späterer Mann, mit dem sie schließlich nach Amerika ging und mit dem sie viele glückliche Jahre hatte. Was sie in Deutschland erlebt hatten, darüber sprachen sie nicht.
Auf eine Einladung des Berliner Senats und von einem Filmemacher begleitet, kehrte Margot Friedländer verwitwet 2003 zum ersten Mal in ihre Heimatstadt zurück. In New York wartete niemand auf sie, dann wagte sie einen großen Schritt. Wie im Dokumentarfilm „Don‘t Call it Heimweh“ zu sehen ist, war ihr amerikanisches Umfeld skeptisch, als sie sich zum Umzug nach Berlin entschloss. Eine Cousine sagte: „Ich könnte mir niemals vorstellen, zu diesen Schweinen zurückzugehen.“ Friedländer denkt anders, das wird im Buch deutlich. „Ich muss Deutschland nicht vergeben. Die, die mir Leid zugefügt haben, sind gar nicht mehr da.“ Und schließlich seien es auch Deutsche gewesen, die ihr geholfen hätten. Warum aber so viele geschwiegen haben, das quält sie manchmal noch heute.
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