Von Juan E. Alemann
Die Aussichten für die kommenden Monate und das Jahr 2023 sind nicht gut. Zur akuten Zahlungsbilanzkrise und der hohen Inflation, die voraussichtlich weiter hoch, wenn nicht noch viel höher, bleiben wird, kommt das Problem der Staatsfinanzen hinzu, und eine Rezession, die erst eingesetzt hat und im Jahr 2023 schlimmer werden dürfte. Doch für 2024 gibt es mehrere Gründe für Optimismus, und wenn die Regierung sich dessen bewusst ist, muss die Strategie für 2023 darin bestehen, dass die Krise nicht vorher platzt und es gelingt, ohne Hyperinflation und ohne Default bis 2024 zu gelangen. Wirtschaftsminister Sergio Messi erscheint als geeigneter Mann für diese Strategie, weil er sich darum kümmert, die jeweils unmittelbar auftretenden Probleme irgendwie zu lösen oder hinauszuschieben, ohne eine echte Lösung in Aussicht zu stellen. Diese überlässt er der nächsten Regierung, die voraussichtlich die heutige Opposition übernehmen wird, die schon, im Gegensatz zu 2015, hervorragende Ökonomen verpflichtet hat, die ein Programm, oder zumindest eine Wirtschaftspolitik, ausarbeiten, die schon am ersten Tag begonnen wird.
Das Klima hat in Argentinien großen Einfluss auf die Konjunktur, u.a. weil über zwei Drittel der Exporte aus landwirtschaftlichen Produkten und Industrieprodukten auf landwirtschaftlicher Basis bestehen. Ein wichtiger Faktor ist dabei das Phänomen der warmen Strömung im pazifischen Ozean, die sich periodisch der südamerikanischen Küste nähert und dabei zu höherer Verdunstung von Meereswasser führt, die der Wind dann über die Kordillere trägt, sodass dies zu mehr Regen in Argentinien beiträgt. Dieses Phänomen wird „El Niño“ genannt, weil es jeweils zur Weihnachtszeit auftritt und der „Niño“ eben der frisch geborene Jesus Christus ist. Wenn sich die Strömung von der südamerikanischen Küste entfernt, dann spricht man von „La Niña“. Das bedeutet dann eine niedrigere Meerestemperatur an der Pazifikküste, weniger Verdunstung des Meeres und weniger Regen in Argentinien.
Wir haben jetzt schon drei Jahre mit einer „Niña“ durchgemacht, wobei das Phänomen dieses Jahr besonders betont war. Erst Ende 2023 kommt ein „Niño“, der sich 2024 auswirkt. Die Dürre dieses Jahres, die sehr akut war, und immer noch andauert, führt zu einem Produktionsverlust von bis zu 40 Mio. Tonnen Getreide und Ölsaat, auch zu weniger Rindfleisch, weil die Weiden weniger Gras haben, und einer geringeren Produktion bei der Landwirtschaft außerhalb der zentralen Gegend. Das Einkommen der Landwirte und der Transport- und die Vermarktungskette ist dabei .entsprechend geringer, und der Export nimmt stark ab.
Wenn jetzt, wie es Meteorologen voraussagen, 2024 eine Niño-Periode eintritt, dann nimmt die landwirtschaftliche Produktion sofort stark zu, was die Konjunktur antreibt und hohe Exporte schafft. Sicher ist dies nicht, weil die warme Pazifik-Strömung sich nicht ganz an die Regel hält, in bestimmten Jahren die südamerikanische Küste zu besuchen, aber es besteht eine gute Möglichkeit, dass dies zutrifft. Allerdings kommt jetzt noch der weltweite Klimawandel hinzu, den Argentinien auch schon zu spüren bekommt, zunächst mit mehr Waldbränden. Das kann auch die Wirkung von „El Niño“ durchkreuzen. Als positiven Faktor muss man dann noch berücksichtigen, dass die Landwirtschaft ständig fortschreitet und dabei mehr produziert. Beiläufig bemerkt: Ohne die direkte Aussaat, bei der nur eine dünne Rinne in den Boden gemacht wird und die Bodenstruktur erhalten wird, wäre die Wirkung der Dürre dieses Jahr unverhältnismäßig schlimmer gewesen.
Hinzu kommen noch andere Faktoren. Für 2024 wird mit hohen Exporten von Gas und Erdöl gerechnet, nachdem bis dahin die Ferngasleitungen fertiggestellt sind, an erster Stelle die Gasleitung „Néstor Kirchner“. Die Erdölunternehmen, die im Gebiet von Vaca Muerta tätig sind, könnten per sofort mehr Gas und Erdöl liefern. Sie investieren weiter, mit der Aussicht auf hohe Exporte im Jahr 2024.
Beim Bergbau tut sich auch etwas. Von den riesigen Investitionen in den Lithiumlagern im Nordosten des Landes wird für 2024 ein hoher Export erwartet. Die Nachfrage ist schon jetzt da, nachdem die Elektrifizierung der Automobile fortschreitet und Lithiumbatterien viel leistungsfähiger als die traditionellen sind. Die Universität La Plata hat schon ein Projekt in Gang gesetzt, um Lithiumbatterien zu erzeugen. Hinzu kommen noch Investitionen auf dem Gebiet des Kupfererzes, für das ebenfalls eine gute Weltnachfrage besteht.
Abgesehen davon bestehen noch viele andere Bereiche, in denen mehr produziert und exportiert werden kann. In vielen Fällen hängt dies nur vom Wechselkurs ab, der real höher als jetzt sein müsste. Und nicht zuletzt kommt ein steigender Export von Informatikdiensten hinzu, für die Argentinien viele talentierte und auf diesem Gebiet ausgebildete Personen hat, zu denen immer mehr hinzukommen.
Bei den Importen kann man erwarten, dass die strenge Kontingentierung derselben einen Substitutionsprozess herbeiführt. Auf dem Gebiet der Textilien und der Sportschuhe hat dieser Prozess schon eingesetzt. Es ist auch zu erwarten, dass mehr Zubehörteile für Kfz, die bisher importiert wurden, im Land erzeugt werden. Ein geringerer Gesamtimport, ohne unerlässliche Importe zu behindern, trägt auch zum Gleichgewicht der Zahlungsbilanz und zu einer besseren Konjunktur bei, und die lokale Fabrikation schafft Arbeitsplätze.
Doch damit all dies wirklich funktioniert, muss bis 2024 das Defizit der Staatsfinanzen auf ein Minimum beschränkt werden, die Staatsausgaben müssen real gesenkt werden, und die Inflation muss die Regierung in den Griff bekommen. Eine einstellige Jahresinflation sollte man zunächst für 2024 nicht erwarten, aber eine von 20 % im Jahr kann durchaus erreicht werden, wenn der politische Wille vorhanden ist und energisch vorgegangen wird, auch mit einer Begrenzung der Gewerkschaftsmacht und staatlichem Eingriff in die Lohnverhandlungen.
Argentinien hat bei der Fußballweltmeisterschaft gezeigt, dass eine hervorragende Leistung erreicht werden kann, wenn man sich anstrengt und intensiv in diese Richtung arbeitet. Dass Argentinien Weltmeister wurde, kann zum Teil auch als Glücksfall betrachtet werden, und gewiss spielt Glück auch sonst eine wichtige Rolle. Aber grundsätzlich ist der Triumph das Ergebnis harter Arbeit, gut organisierter Zusammenarbeit und intelligenter Entscheidungen. Diese Leistung sollte als Vorbild auf anderen Gebieten gelten, auch für die Wirtschaftspolitik.
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