top of page
Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Grußwort des deutschen Botschafters zum Tag der Deutschen Einheit


Sante
(Foto: Embajada de Alemania)

Liebe Leserinnen und Leser,

der Tag der Deutschen Einheit erfüllt uns in diesem Jahr erneut mit viel Freude, aber mit Blick auf das größere Bild und die weltpolitische Lage auch mit einem Gefühl der Sorge.

Mit Freude und auch Stolz dürfen wir auch in diesem Jahr den Blick auf die Jahre 1989 und 1990 zurück werfen, die uns nach über 40 Jahren Trennung, davon fast 30 Jahre mit einer Mauer quer durch unsere Hauptstadt, die Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands gebracht haben. Mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde diese erzwungene Spaltung unseres Landes am 3. Oktober 1990 förmlich aufgehoben. Jahrelange Tränen der Trennung verwandelten sich über Nacht in Tränen der Freude, die die Welt bewegten. Die Sowjetunion löste sich auf, der Kalte Krieg fand sein Ende, die Europäische Union wuchs um zahlreiche Länder im Osten Europas. Wurden in den Jahren der Trennung des europäischen Kontinents Aufstände in Berlin, Prag, in Ungarn oder Polen noch mit Militär gewaltvoll niedergeschlagen, so soll uns immer in Erinnerung bleiben, dass die „Revolution“ von 1989, die „Deutsche Revolution“, getragen von einem unbestechlichen Willen nach Freiheit und Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger im Osten unseres Landes, friedlich verlief. Ihr besonnenes Handeln muss uns alle bis heute mit Stolz erfüllen, sowie wir mit Bewunderung darauf schauen müssen, dass sie über all die Jahre nicht den Mut und die Zuversicht verloren haben, dass es sich lohnt, für grundlegende Menschenrecht zu kämpfen, auch um die Gefahr und den Preis der gravierensten persönlichen Einschränkungen. Die Bürgerinnen und Bürger der DDR haben mit ihrer gwaltfreien Revolution ganz wesentlich das Bild des neuen, vereinten Deutschlands mitgeprägt, das Bild eines auf ein friedliches Zusammenleben der Völker und auf eine stabile Weltordnung von gleichberechtigten Staaten ausgerichteten Landes mitten in Europa.

Über viele Jahre nun haben wir vor diesem Hintergrund den Tag der Deutschen Einheit als Freudenfest begangen. Wir genossen die Freiheit und wir genossen den Wohlstand. Das Glück war auf unserer Seite und es schien glatt so, als wollte es von uns nicht weichen. Der Krieg, den Russland Ende Februar dieses Jahres gegen die Ukraine begonnen hat, hat dieses Bild dramatisch verändert. Mit seinem brutalen und menschenverachtenden Vorgehen gegen ein souveränes, friedliebendes Land hat das Russland Putin‘s die Europäische Friedensordnung aufgekündigt und der regelbasierten Weltordnung den Kampf angesagt. Versuche, Russland nach dem Fall der Mauer zu einem Teil des neuen, nach vorne schauenden Europas zu machen, sind gescheitert. Putin’s Russland blickt zurück. Geben wir seinem Streben nach, Recht durch Macht zu ersetzen, werden wir selber zum Opfer und versagen all jenen den Respekt und die Anerkennung, die in der Geschichte unseres Kontinents ihr Leben dafür geopfert haben, dem Recht und der Würde des Einzelnen gegenüber staatlichen Übergriffen zum Durchbruch zu verhelfen.

Wenn es irgendetwas gibt, was in diesen Tagen Argentinien und Deutschland, Argentinien und Europa, die humane Welt mehr als alles andere verbindet, dann ist es genau das: der Einsatz für eine globale Friedensordnung, die auf Regeln und dem friedlichen Zusammenleben der Völker beruht, auf einer Ordnung, die Souveränität und Menschenrechte achtet. Dies sind keine „westlichen“ Werte, wie manche es aus durchschaubaren Gründen gerne abweisend behaupten. Es sind universelle Werte, deren Achtung den Frieden auf der Welt wahrt. Hier verläuft die Linie, an der Abwägung und Opportunismus ihre Grenze finden. Wo sie verletzt wird, sind wir aufgerufen, diese Linie zu verteidigen, und sei es um den Preis eigener Einschränkungen. Der Begriff „Día de la Unidad“ bekommt vor diesem Hintergrund, hier und in diesen Tagen gerade auch im deutsch-argentinischen Verhältnis eine ganz besondere Bedeutung.

Argentinien und Deutschland eint eine lange, historische Bindung. Zahlreiche Deutsche haben im Laufe der Geschichte eine neue Heimat in Argentinien gefunden. Wir Deutsche und Argentinier mit deutschen Wurzeln, die wir in diesem Land leben, sind Argentinien unendlich dankbar für seine historische Offenheit zur Welt und den Schutz, den es anderen im Laufe seiner Geschichte gewährt hat. Umgekehrt tragen wir Deutsche und Deutschstämmige und die vielen deutschen Firmen, die zum Teil seit über 100 Jahren in Argentinien ansässig und aktiv sind, Tag ein Tag aus zum Wohlstand dieses Landes bei, schaffen und sichern Arbeitsplätze auch in schlechten Zeiten, und investieren, auch in diesen Tagen, in die Zukunft dieses Landes.

Zu Demokratie und Wohlstand Argentiniens wollen wir als Deutsche und Deutschstämmige auch in Zukunft beitragen. Über 300 Vereine pflegen im ganzen Lande die Tradition der Herkunft ihrer Mitglieder und halten durch ihre Arbeit die Verbindungen zu dem Deutschland von heute aufrecht und lebendig. Es ist gut, dass sich diese Vereine öffnen, deutsch-argentinischer werden, Jugendliche auch durch die Übertragung von mehr Verantwortung in den Vorständen an sich binden, ebenso, wie sie dies für immer mehr Frauen tun. Dies ist der Weg, um uns auch morgen sichtbar und unseren Beitrag spürbar zu machen. Es steckt unendlich viel Potential in der deutsch-argentinischen Freundschaft. Lassen wir sie nicht nur in Politik und Wirtschaft zur Geltung bringen, sondern auch dort, wo sie vielleicht die nachhaltigste Wirkung hat, nämlich dort, wo sich die Menschen Tag täglich begegnen, in den Dörfern und Städten dieses so wunderschönen Landes, dass mit viel Mühe dabei ist, den Anschluss an eine sich immer schneller wandelnde Welt nicht zu verlieren.

Dr. Ulrich Sante,

Botschafter der Bundesrepublik Deutschland


1 visualización0 comentarios

Comments


bottom of page