Von Juan E. Alemann
Argentinien hat ein Problem mit der Zahlungsbilanz. Als erstes benötigt das Land einen ständigen Überschuss bei der Leistungsbilanz, um die Schulden abbauen zu können, und das bezieht sich an erster Stelle auf die Handelsbilanz. Die Macri-Regierung hat dabei von Anfang an eine aktive Exportpolitik eingeleitet und als erstes die Exportzölle für Getreide, Ölsaat und Rindfleisch abgeschafft, und auch die Kontingentierung der Exporte bei Rindfleisch und der Weizen außer Kraft gesetzt, die unter der Regierung von Cristina Kirchner von ihrem mächtigen Handelssekretär Guillermo Moreno eingeführt worden waren, um die internen Preise dieser Produkte durch hohes Angebot niedrig zu halten. Die Macri-Regierung war dabei erfolgreich: Die Landwirte erhöhten sofort die Produktion von Getreide und Ölsaat. und auch den Rinderbestand, so dass schrittweise mehr Rindfleisch produziert und exportiert wird, was dieses Jahr betont zum Ausdruck kommt.
Doch der Erfolg wurde einmal durch die intensive Dürre des Vorjahres und den Preisrückgang für Getreide und Ölsaat in diesem geschmälert. In der Tat liegen die Exporte gesamthaft immer noch weit unter dem Rekordstand, den sie 2008 mit u$s 82,98 Mrd. erreicht hatten, als der Sojapreis über u$s 500 pro Tonne lag, etwa doppelt so viel wie in den 90er Jahren und auch weit über den u$s 350, die in den letzten Jahren erreicht wurden. Der Gesamtexport lag 2018 um 26% unter 2011, ist aber dennoch viel höher als in den 90er Jahren, als er 1999 auf u$s 26,43 Mrd. gestiegen war, und auch höher als 2007 (vor der Sojahausse), als es nur u$s 44,70 Mrd. waren. Es gab in den letzten Jahrzehnten einen bedeutenden Fortschritt beim Export, der jedoch jetzt nicht ausreicht, und noch weniger, wenn die Wirtschaft weiter wächst.
Der Handelsbilanzüberschuss steht auf schwachen Füßen
Der Überschuss der Handelsbilanz, der in den letzten Monaten eingetreten ist, ist fast ausschließlich auf einen drastischen Importrückgang zurückzuführen, der grundsätzlich auf die Rezession beruht, zum Teil auch auf dem real höheren Wechselkurs, der bei Importgütern dazu geführt hat, das sie relativ teurer wurden und somit an Konkurrenzfähigkeit verloren haben. Wenn die Konjunktur wieder aufwärts geht, und auch der Wechselkurs weiter hinter der Inflation zurückbleibt, wird sofort mehr importiert, und dann verschwindet dieser Überschuss. Dessen ist sich die Regierung bewusst, weshalb sie sich besonders um Exportförderung bemüht. Die Opposition vom peronistischen Lager ist hier anderer Meinung: Der Export muss gewiss erhöht werden, aber das reicht bei Weitem nicht, um den Überschuss zu erhalten. Daher müssen die Importe verringert werden. Wie das geschehen soll, wird nicht gesagt. Es kann durch höhere Zölle, Importkontingentierung und auch Importverbote erfolgen.
Wir haben an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass als erstes eine private Preiskontrolle für importierte Güter eingeführt werden muss, bei denen die Preisbestimmung schwierig ist, so dass das Zollamt in dieser Beziehung überfordert ist. Abgesehen davon, dass dabei auch Schmiergelder bezahlt werden. Diese private Kontrolle hat es von 1997 bis 2000 schon gegeben, und sie war erfolgreich. Damals wurden überall unverschämt hohe Unterfakturierungen u.a. Manöver festgestellt, und es besteht kein Grund, um anzunehmen, dass dies jetzt anders ist.
Wenn man den Fall der Handelsbilanz pragmatisch betrachtet, so muss gleichzeitig mit der Exporterhöhung auch verhindert werden, dass mehr importiert wird, als es sich das Land leisten kann, ohne so weit wie Moreno zu gehen. Doch den zuständigen Regierungsbeamten, an erster Stelle Produktions- und Arbeitsminister Dante Sica, sprechen nur von Exportförderung. Die Importproblematik scheint ihnen fremd zu sein.
Am Donnerstag der Vorwoche hat der Minister ein Exportprogramm bekanntgegeben, mit dem Ziel die Exporte bis 2030 zu verdreifachen und u$s 193 Mrd. zu erreichen. Dies soll angeblich ohne große Änderungen bei der Exportregelung erreicht werden, vorwiegend durch eine Vervierfachung der Zahl der Exporteure auf 40.000. Sica besteht darauf, dass kleine und mittleren Unternehmen, die nicht exportieren, aber es tun könnten, jetzt den Export aufnehmen, wobei die Regierung zu diesem Zweck die Amtswege, die dabei erforderlich sind, stark vereinfacht hat, indem viele auch per Internet erfolgen. In der Tat sollte ein Verkauf an einen Kunden im Ausland nicht viel anders als einer an einen inländischen sein. Aber dazu fehlt noch viel. Und Sica ist in dieser Beziehung zu optimistisch.
Die wichtigsten Exportsparten
Um zu wissen, von was wir eigentlich sprechen, wenn wir von Exportförderung reden, müssen wir zunächst wissen, wie sich der bestehende Export zusammensetzt. Die Exportgruppen mit über einer Milliarde Dollar waren 2018 folgende (in Mio. Dollar):
Sojabohne: 15.050
Kfz: 7.955
Erdöl und Petrochemie: 5.031
Mais: 4.297
Rindfleisch und Häute: 3.067
Weizen: 2.839
Gold und Silber: 2.633
Fisch: 2.148
Stahl- u. Stahlprodukte: 1.066
Diese Produkte machen insgesamt 73,5% der Gesamtexporte aus. Der Rest beläuft sich 2018 auf u$s 5,58 Mrd. Die Sojabohne, die erst 1975 zögernd aufkam, und 1981 nur 3 Mio. Tonnen erreichte, hat ab 1996 den Sprung auf über 50 Mio. Jato unternommen, als die genetisch veränderte Art zugelassen wurde, die das Glyphosat erträgt, das das Unkraut vernichtet. Dadurch entfällt die kostspielige mechanische Unkrautbekämpfung, die vorher üblich war, und der Anbau von Sojabohne wurde sehr rentabel. Darin liegt das Geheimnis diese Sprunges der Produktion.
Mit der Sojabohne kam auch die Bedeutung von China als Handelspartner auf. Ohne China, die Soja in hohen Mengen für die Mästung von Schweinen einsetzt, wäre die Soja schwer verkäuflich. China spielt jetzt auch bei Rindfleisch eine Hauptrolle, und sichert den Absatz für viel höhere Exporte. Der Aufstieg von China zu einer wohlhabenderen Gesellschaft hat für Argentinien eine große Bedeutung.
Die Mercosur-Problematik
Der hohe Export von Automobilen, Lastwagen und “pick ups” ist nur dank dem Systems des kompensierten Austausches beim Kfz-Handel mit Brasilien möglich, das unbedingt beibehalten werden muss. Im Mercosur-Abkommen wurde bestimmt, dass Kfz-Importe und Exporte wertmäßig etwa gleich sein müssen, wobei eine Abweichung gestattet wird, zunächst von 20% und dann von 50%, was zu viel ist, und in letzter Zeit nicht immer eingehalten wurde. Zeitweilig wurde 2017 doppelt so viel aus Brasilien importiert wie nach dort exportiert wurde, was mit zum hohen Handelsbilanzdefizit jener Periode beigetragen hat. Das hätte nicht geduldet werden sollen.
Gemäß Mercosur-Abkommen hätte der kompensierte Kfz-Austausch schon seit Langem abgeschafft werden müssen. Die argentinischen Unterhändler haben sich bei der Redaktion des Abkommens im Jahr 1991 den Fall nicht überlegt. Argentinien kann sich einen freien Kfz-Handel mit Brasilien nicht leisten, weil die brasilianische Kfz-Industrie geringere Kosten hat, wegen niedrigerer Arbeitskosten, billigerem Stahl und Blech, und auch billigeren Zubehörteilen. Außerdem sind die Fabriken größer, und die höheren Mengen verringern auch die Kosten. Die lokale Kfz-Industrie würde dabei stark schrumpfen und der Kfz-Export wurde faktisch verschwinden.
In bestimmten Fällen, wie diesem, muss man eben einen verwalteten Außenhandel in Betracht ziehen. Das hat Sica jedoch nicht erwähnt. Auch bei Schuhen und Denim-Stoffen, die Brasilien nach Argentinien liefert, musste vor Jahren eine freiwillige Beschränkung eingeführt werden, um den Zusammenbruch der lokalen Industrie zu vermeiden. Kfz u.a. Einzelfälle stellen das Kernproblem bei den Mercosur-Verhandlungen dar, die angeblich bald erfolgen sollen.
Wenn der Mercosur als vollständig freier gemeinsamer Markt aufgefasst wird, wird er so viele Probleme aufwerfen, dass er schließlich platzen wird. Er muss als “unvollständiger” gemeinsamer Markt, also mit Ausnahmeregelungen, verstanden werden, also mit kompensierten Kfz-Austausch und mit Quoten. Der gegenwärtige Zustand, bei dem der Vertrag stillschweigend in bestimmten Aspekten, wie auch der gemeinsame Zollsatz gegenüber Drittländern, nicht eingehalten wird, ist unhaltbar. Entweder man geht auf eine Freihandelszone oder auf einen unvollständigen gemeinsamen Markt über.
Die vielen anderen Exportsparten
Zur der oben aufgeführten Liste der wichtigsten Exportprodukte kommt noch eine Vielzahl anderer Produkte mit Exporten von unter einer Milliarde im Jahr hinzu. Es sind folgende: Aluminium (u$s 937 Mio.), Milchprodukte (u$s 872 Mio.), Pharmaprodukte (u$s 869 Mio.), Gerste (u$s 837 Mio.), Sonnenblume (u$s 756 Mio.), Erdnuss (u$s 717 Mio.), Holz und Holzprodukte (u$s 667 Mio.), Textilien (u$s 585 Mio.), Äpfel und Birnen (u$s 418 Mio.): Geflügel (u$s 324 Mio.), Tabak (u$s 300 Mio.), Bohnen (porotos, u$s 296 Mio.), Kupfer (u$s 287 Mio.), Lithium (u$s 276 Mio.), Honig (u$s 189 Mio.), Kartoffeln (u$s 176 Mio.), Reis (u$s 172 Mio.), weitere Obstarten (u$s 169 Mio.), Oliven (u$s 156 Mio.), Knoblauch (u$s 132 Mio.), Kichererbsen (garbanzos, u$s 121 Mio), Zucker (u$s 120 Mio.), Blei (u$s 108 Mio.), Blaubeeren (“arándanos”, u$s 107 Mio.), Pferde (u$s 104 Mio.), Yerba Mate (u$s 97 Mio.), Tee (u$s 94 Mio.), Zitrusobst (ohne Zitronen, u$s 92 Mio.), Gemüse (u$s 65 Mio.), weitere Metallerze (u$s 58 Mio.). Hinzu kommt dann noch ein Rest, der insgesamt u$s 5,58 Mrd. ausmacht.
Bei vielen dieser Produkte kann man eine bedeutende Exportzunahme erwarten, besonders bei Lithium, Holz und Holzprodukten und auch bei Zitronen und Zitronensaft, die oben nicht aufgeführt werden, weil der Export noch gering ist. Denn Argentinien erzeugt in Tucumán die besten Zitronen der Welt und das Exportpotential ist sehr groß und kann jetzt, nachdem die USA den Import von Zitronen wieder zugelassen haben, in zunehmenden Exporten zum Ausdruck kommen.
Konkrete Maßnahmen
Wenn man von einer so bedeutenden Exporterhöhung spricht, wie sie Minister Sica vorschwebt, muss man sich zunächst im Klaren sein, auf was sich dies bezieht. Halten wir in diesem Sinn Folgendes fest:
Bei den großen landwirtschaftlichen Produkten geht es zunächst um eine höhere Produktion, die bei Beibehaltung der bestehenden Politik schrittweise erreicht werden kann. Die Produktion von Getreide und Ölsaaten kann vom gegenwärtigen Rekord von ca. 140 Mio. Tonnen theoretisch noch auf 200 Mio. erhöht werden, eventuell auch durch künstliche Bewässerung in trockenen Gegenden. Auch die Rindfleischproduktion kann stark erhöht werden, durch Zunahme des Bestandes, aber auch durch eine Erhöhung der Geburtenrate, die noch anormal niedrig ist, und auch durch ein höheres Gewicht der Rinder, die geschlachtet werden.
Bei den vielen anderen landwirtschaftlichen Produkten muss sehr viel Kleinarbeit geleistet werden. Aber die Exportmöglichkeiten sind enorm.
Beim Bergbau wird mit einer zunehmenden Förderung und auch höheren Exporten gerechnet. Jetzt kommt noch Lithium hinzu, bei dem sich große Projekte in Gang befinden, wobei der Absatz gesichert ist, dank Elektrifizierung der Fahrzeuge und auch wegen der Sonnenenergie, die tagsüber gespeichert werden muss, um sie nachts einzusetzen.
Bei Erdöl und Gas besteht dank Vaca Muerta die Aussicht auf bedeutende Exporte. Doch dies erfordert, dass der internationale Erdölpreis relativ hoch bleibt. Außerdem müssen zu diesem Zweck noch viele Milliarden Dollar investiert werden, was eine investitionsfreundliche Haltung voraussetzt, die bei einem eventuellen Regierungswechsel nicht gesichert wäre.
Grundsätzlich muss versucht werden, die Rohstoffe mit mehr Mehrwert zu exportieren. Also Mehl und Teigwaren statt Weizen, Speiseöl statt Sojabohne, Sonnenblume und Erdnuss, Leder statt Rinderhäute. Dies wurde bis vor kurzem durch Exportzölle auf die Rohstoffe und keine auf deren industrielle Produkte gefördert, was jetzt abgeschafft wurde. Doch grundsätzlich handelt es sich darum, dass die EU u.a. Staaten die Diskriminierung abschaffen, die gegenwärtig gegenüber den verarbeiteten Produkten besteht. Speiseöl, Leder, Mehl und Teigwaren werden mit einem viel höheren Zollsatz belastet als ihre Rohstoffe. Dieses Thema wird auch bei den Verhandlungen des Mercosur mit der EU über ein Freihandelsabkommen ignoriert, was unverständlich ist.
Bei reinen Industrieprodukten, also solchen, die nicht auf einer Verarbeitung landwirtschaftlicher Rohstoffe beruhen, ist die Exporterhöhung schwierig, weil eine intensive internationale Konkurrenz besteht, und Argentinien weder mit niedrigen Arbeitskosten, noch mit hohem Kapitaleinsatz konkurrieren kann. Beim Industrieexport muss man eher versuchen, Nischen zu entdecken. Unlängst hat eine lokale Firma ein Exportgeschäft von 20 Baumwollerntemaschinen nach Sudan abgeschlossen. Und eine andere Firma exportiert Anlagen für die Abfüllung von Flaschen von nicht alkoholischen Getränken am laufenden Band. Landwirtschaftliche Maschinen werden auch exportiert, wobei Erntemaschinen schon im 19. Jahrhundert nach den USA geliefert wurden. Es gibt bestimmt viele Exportmöglichkeiten dieser Art, die jedoch meistens mühsam sind. Und das wirkt abschreckend.
Hinzu ist in den letzten Jahren der Export von Informatiksoftware hinzugekommen, der letztes Jahr schon u$s 6 Mrd. erreicht hat und laut Regierungssprechern in einigen Jahren u$s 15 Mrd. erreichen soll. Dies wird durch Steuervergünstigungen gefördert, die in einem jüngsten Gesetz festgelegt wurden. In Argentinien weisen sehr viele Menschen ein besonderes Talent auf diesem Gebiet auf, das jetzt auch beim Export eingesetzt wird.
Erfolge und Kostensenkungen
Dante Sica wies in einem Artikel in der Zeitung “La Nación” (23.5.19) darauf hin, dass die Regierung 170 neue Märkte in über 100 Ländern für landwirtschaftliche Produkte und auch deren industrielle Produkte erschlossen habe. Minister Sica erwähnt, dass in den ersten Monaten 2019 die Exporte nach Asien um 18% gestiegen seien, mit plus 120% im Fall von Südkorea und 54% bei Indonesien. Er sagte jedoch nichts über China und Indien, die zwei bei weitem wichtigsten Märkte Asiens. Auch bei Lieferungen nach dem mittleren Orient und Afrika habe es bedeutende Fortschritte gegeben: Saudi-Arabien mit +25%, Angola mit +38% und Tunesien mit +146%. Es seien auch Schritte eingeleitet worden, um mehr Handelsabkommen (mit Zollsenkungen u.a. Erleichterungen) zu erreichen.
Die sogenannten Logistikkosten (womit an erster Stelle Transportkosten gemeint sind), die beim Export stark ins Gewicht fallen, sind schon gesenkt worden und werden weiter sinken. Das bezieht sich an erster Stelle auf die Erneuerung der Belgrano-Frachteisenbahn, die den Frachttarif bei Produkten des Nordwestens stark verringert, aber auch auf Autobahnen, die den Lastwagenverkehr erleichtern und verbilligen, auf Hafenerweiterungen und Verbesserungen und schließlich auch auf eine bessere Vorfinanzierung. Die Exportmöglichkeiten sind weitgehend kostenbedingt, so dass versucht werden muss, allerlei Kosten zu verringern, an erster Stelle die sogenannten “argentinischen Kosten”, womit solche benannt werden, die nur in Argentinien bestehen. Viele, an erster Stelle die überhöhten Hafenkosten, wurden schon unter der Menem-Regierung abgeschafft. Andere verbleiben noch.
Wichtig bei der Exportpolitik ist, dass sie durchgehalten wird. Sollte im Dezember eine andere Regierung antreten, dann ist es wichtig, dass sie die Exportpolitik der Macri-Regierung fortsetzt, auch wenn sie sich um eine Beschränkung der Importe bemüht. Denn das eine schließt das andere nicht aus.
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