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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Großunternehmen mit Verlustbilanzen

Von Juan E. Alemann

Allgemein besteht die Vorstellung, dass Großunternehmen immer Geld verdienen, und die Krisenlage, die Inflation u.a. Umstände nur kleine und mittlere Unternehmen betreffen. Das stimmt jedoch nicht immer, und für Argentinien ganz bestimmt nicht. Kleine und mittlere Unternehmen passen sich der Struktur der argentinischen Wirtschaft besser an, sie sind flexibler, nehmen es oft mit der Steuergesetzgebung nicht so genau, beschäftigen oft auch schwarze Arbeitskräfte, und viele erhalten in den letzten Monaten auch Subventionen für die Zahlung von etwa der Hälfte der Lohnsumme (ATP, aporte para el trabajo y la producción), die die Großunternehmen nicht beziehen. Viele Kleinunternehmen stehen mit einem Fuß im Bereich der Schwarzwirtschaft und sparen dabei Sozialbeiträge u.a. Kosten. Man darf nicht vergessen, dass der Bereich der Schwarzwirtschaft in Argentinien sehr hoch ist (über ein Drittel des BIP), was nicht möglich wäre, wenn nicht viele Kleinunternehmen mitmachen.

Für Großunternehmen ist die Möglichkeit der Steuerhinterziehung und der Beschäftigung von schwarzen Arbeitskräften nicht gegeben. In früheren Zeiten hatten sie den Vorteil, dass sie Zugang zu Bankkrediten hatten, mit einem Zinssatz, der unter der Inflation lag, und in vielen Fällen durch hohe Zölle und auch Importverbote oder Kontingentierungen eine verkappte Subvention erhielten. Heute ist der Bankkredit sehr beschränkt und auch teuer, und lokale Firmen müssen mit importierter Ware konkurrieren, bei der oft der effektive Zollsatz (von bis zu 35%, dem Höchstsatz, den Argentinien bei der WTO angegeben hat) durch Angabe falscher, viel niedrigerer Werte, verringert wird. Das Steueramt hat außerdem eine Sonderabteilung für Großunternehmen, die einer permanenten und sehr eingehenden Kontrolle unterzogen werden.

Gewiss haben Großunternehmen meistens auch Vorteile. Die Massenproduktion senkt die Kosten, sie haben Zugang zur Finanzierung durch ausländische Banken für importierte Maschinen, wissen über die moderne Computertechnologie gut Bescheid, und wenn es sich um multinationale Unternehmen handelt, erhalten sie die Unterstützung ihrer Mutterhäuser. Die lokalen Unternehmen genießen diesen Vorteil nicht, und wenn sie mit Filialen von multinationalen konkurrieren, stehen sie im Nachteil. Dieser Zustand besteht seit langer Zeit und erklärt auch, warum so viele Unternehmen, die von lokalen Kapitalisten kontrolliert wurden, an multinationale Unternehmen verkauft wurden. Ganze Branchen, die früher fast rein national waren, befinden sich jetzt weitgehend in ausländischen Händen: Zement, Stahl, Zucker u.a. Das ist für die soziale Struktur des Landes nicht gesund. Lokale Großunternehmer wirken auch in der Politik ganz anders als Geschäftsführer von multinationalen.

In vielen Fällen kann die Nachfrage auch mit der Produktion von kleinen und mittleren Unternehmen bedient werden. Aber in vielen anderen eben nicht. Der Energiebereich im weiteren Sinn, angefangen mit der Förderung von Erdöl und Gas, und bis zur Tankstelle und zur Stromlieferung an Konsumenten, erfordert allgemein Großunternehmen, weil es sich allgemein um hohe Investitionen und auch hohe Risiken handelt. Auch bei der Kfz-Fabrikation kommen nur Großunternehmen in Frage, ebenso bei größeren privaten oder öffentlichen Bauobjekten. Ohne die aktive Präsenz von Großunternehmen gerät die wirtschaftliche Entwicklung in Schwierigkeiten.

Gehen wir jetzt auf konkrete Fälle über:

  • Die Firma Mastellone ist mit ihrer Marke “La Serenísima” auf dem Markt für frische Milch und Milchprodukte mit Abstand führend. Die Konkurrenzfirma SanCor, die an zweiter Stelle stand und ihr den Markt streitig gemacht hatte, ist vor einigen Jahren in eine äußerst schwierige Lage geraten, die sie noch nicht voll überwunden hat, und musste sich stark verkleinern. In 9 Monaten 2020 weist die Bilanz von Mastellone einen Verlust von $ 1,78 Mrd. aus, und für ganz 2020 wird mit mindestens $ 2 Mrd. gerechnet. Dabei hat die Firma dieses Jahr einen um 23% höheren Umsatz, der bei frischer Milch 1,31 Mrd. Liter erreichte. Milch hat von der Regierung festgesetzte Höchstpreise, die im Juli um 3% und im September um 2% erhöht werden durften. Doch die Kosten sind stark gestiegen, wobei die Löhne in 12 Monaten eine Zunahme von 60% aufweisen.

  • Ledesma, die in Jujuy ansässig ist, die mit Abstand führende Firma der Zuckerwirtschaft, die außerdem Papier, Alkohol, Bioethanol, Zitrusfrüchte u.a. Produkte in großen Mengen erzeugt, hatte drei Verlustbilanzen in Folge. Die Firma musste ihre Fruchtzuckerfabrik in San Luis schrittweise an Cargill verkaufen, die US-Firma, die sich mit internationalem Handel von Getreide und Ölsaaten befasst. Ledesma hätte seine Fruchtzuckerfabrik normalerweise nicht verkauft, weil das Produkt zusammen mit dem normalen Zucker vertrieben wird.

  • Molinos Río de la Plata. Dieses führende Lebensmittelunternehmen (Speiseöl, Teigwaren, Mayonnaise u.s.w.), hat auch mehrere Verlustbilanzen hinter sich.

  • Arcor, die bei Süßigkeiten führend ist, aber auch Lebensmittel erzeugt, hatte auch Verlustbilanzen.

  • Hinzu kommen dann die Kfz-Fabriken und viele andere, die stark von der Rezession betroffen sind, bei denen der Absatzrückgang und die fixe Kostenstruktur zu Verlusten führen.

Als in den Vereinigten Staaten 2008 die Finanzkrise aufkam, und große Unternehmen plötzlich vor dem Ende standen, haben die sehr pragmatischen Nordamerikaner nach dem Motto “zu groß, um ein Versagen ertragen zu können” (“too big to fail”) gehandelt. Die Regierung war sich sofort bewusst geworden, dass ein Zusammenbruch großer Unternehmen, wie General Motors, mehrere Banken, der größten Versicherungsgesellschaft u.a. eine verheerende Breitenwirkung haben würde, und haben ihnen somit mit einem gigantischen finanziellen Beistand über die Runde geholfen, der zum großen Teil in frischem Kapital bestand, wobei die Aktien in späteren Jahren meistens wieder an der Börse verkauft wurden, in einigen Fällen sogar mit Gewinn. Auch in EU-Staaten und der Schweiz gab es finanzielle Hilfen, aber nicht entfernt im Umfang der USA. In Argentinien sind finanzielle Hilfen schwierig, weil der Staat ohnehin schon finanziell stark überfordert ist.

Das Problem tritt jetzt weltweit auf, ist aber besonders in Ländern mit einer schwachen Wirtschaft, wie Argentinien, akut, wobei in diesem Fall noch hinzukommt, dass das ganze Wirtschaftssystem Großunternehmen notorisch benachteiligt, wie wir es oben erklärt haben. Die Regierung und die Politiker sprechen anlässlich der bestehenden Megakrise nur von kleinen und mittleren Unternehmen (Pymes), gehen dabei unterschwellig davon aus, dass die großen sich selbst helfen. Die Regierenden sollten sich jedoch bewusst sein, dass den großen Unternehmen auch geholfen werden muss, wenn auch anderes als den kleinen. Denn die Großunternehmen sind bei der Wirtschaft, um es bildlich zu sagen, die Lokomotive, und die kleinen und mittleren die Waggons.


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