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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Grobe Wahldemagogie und eine mangelhafte Regierungserklärung

Von Juan E. Alemann

Die wirtschaftliche Lage ist in Argentinien wirklich kompliziert. Es bestehen grundsätzliche strukturelle Probleme, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Die Staatsquote (Staatsausgaben bezogen auf das BIP) ist zu hoch, und die Wirtschaft verträgt dies schlecht. Infolgedessen ist auch die Steuerlast zu hoch, was wegen der hohen Hinterziehung noch schlimmer ist. Beiläufig wird die Steuerhinterziehung durch die überhöhte Steuerlast angespornt, wobei viele Kleinunternehmen ohne Hinterziehung nicht überleben könnten.

Es besteht eine hohe Inflation, die sich zunächst nur langsam zurückführen lässt, wenn der Wechselkurs einigermaßen stabil bleibt, was dazu führt, dass der Kurs real hinter der Inflation zurückbleibt und der Peso im Vergleich zum Dollar aufgewertet wird. Und das nimmt erfahrungsgemäß ein böses Ende. Die Gewerkschaften haben die Macht, um Lohnerhöhungen durchzusetzen, die nur bei Beibehaltung einer hohen Inflation zu verkraften sind. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, und das hängt auch direkt mit der hohen Schwarzarbeit und einer ebenfalls hohen Armut zusammen.

All diese Themen werden bei der Wahlkampagne kaum (oder gar nicht) erwähnt. Und die Konsequenzen dieser Gegebenheiten werden von der Opposition als Fehler oder absichtliche Bosheiten der Macri-Regierung dargestellt. Wobei gelegentlich noch mehr Staat gefordert wird, ohne zu beachten, dass der zu große und weitgehend ineffiziente Staat das Hauptproblem ist. Ebenfalls gehen die Kirchneristen an der Tatsache vorbei, dass die Staatsquote in den 12 Jahren der Kirchner-Regierungen gewaltig zugenommen hat, und vorher privatisierte Staatsunternehmen rückverstaatlicht wurden, was dem Staat noch mehr Ausgaben aufgebürdet hat und noch mehr Probleme geschaffen hat.


Der Standpunkt der Regierung

Präsident Mauricio Macri betont bei der Wahlkampagne, dass er sich auf dem richtigen Weg befinde und in einer zweiten Amtszeit, bei Fortsetzung der gleichen Wirtschaftspolitik, ernten werde, was er in der ersten gesät hat. Er weist auf die vollzogenen Infrastrukturinvestitionen hin, davon viele von sozialem Charakter (wie Anschlüsse an das Wasser- und Abwassernetz), und auch auf die vielen einzelnen Fortschritte, die schon erreicht wurden, hebt die Transparenz und die qualitative bessere Staatsverwaltung hervor, und erklärt, dass die Fortsetzung dieser Politik zu mehr Wohlstand führen werde.

Doch im Grunde ist seine Erklärung, an die sich auch mehr oder weniger seine Mitarbeiter und Parteigänger halten, eher dürftig, was der Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández ausnutzt. Er weist darauf hin, dass die Macri-Regierung jetzt ein geringeres Bruttoinlandsprodukt, mehr Arbeitslosigkeit, einen niedrigeren Reallohn, eine höhere Inflation, eine stark gestiegene Staatsschuld und die Schließung unzähliger kleinen und mittleren Unternehmen aufweise (was er mit frei erfundenen Zahlen untermauert), und die Fortsetzung der bisherigen Wirtschaftspolitik dazu führen werde, dass alles noch viel schlimmer wird. In der Tat klingt es einleuchtend, dass mit der gleichen Politik keine anderen Ergebnisse zu erwarten sind. Doch es handelt sich um einen Trugschluss: denn der Übergang vom Kirchnerismus auf geordnete Verhältnisse, den die Kirchneristen im Kongress so weit sie konnten behindert haben, ist schwierig und traumatisch, erst wenn die Aufräumungsarbeit weitgehend vollendet ist, werden die positive Ergebnisse der neuen Wirtschaftspolitik sichtbar.

Macri und seine Mannschaft haben keine klare Botschaft über eine bessere Zukunft. Sie sagen nicht, dass die schmutzige Arbeit weitgehend erledigt ist, was sich an erster Stelle auf die Erhöhung der Tarife für öffentliche Dienste und die Änderung der relativen Preise bezieht. Das schafft jetzt eine einfachere Lage, als sie 2015 bestand. Ebenfalls wird der Fortschritt bei der Infrastruktur nur fallweise vorgeführt, aber ohne ein Gesamtkonzept, bei dem einmal hervorgehoben wird, dass strikte Prioritätskriterien beachtet werden und eine gute Planung und korrekte Durchführung der einzelnen Objekte besteht, so dass mit den Mitteln, die für diesen Zweck eingesetzt werden, effektiv mehr gebaut wird und auch eine viel größere Wirkung auf das wirtschaftliche Wachstum erreicht wird. Es ist gewiss nicht das Gleiche, eine Autobahn in einer Gegend mit dichtem Verkehr zu bauen, als eine Straße in Santa Cruz, auf der kaum jemand fährt.


Die Beschäftigungsproblematik wird ignoriert

Von den Problemen, die die Gesellschaft beunruhigen, steht das der Beschäftigung an oberster Stelle. Arbeitslose, die seit längerer Zeit keine bezahlte Beschäftigung finden, Jugendliche, die keine erste Arbeit erhalten und von vorne herein aus dem Produktionsprozess ausgeschlossen werden, Beschäftigte, die befürchten, ihren Arbeitsplatz zu verlieren und dann keinen zu erhalten, all das besteht in einem unerträglich hohen Ausmaß, und sollte in einer zivilisierten Gesellschaft nicht sein.

Man vermisst bei der offizielle Wahlkampagne einen Hinweis auf die Vollbeschäftigung als oberstes Ziel der Arbeitspolitik. Dabei lässt sich besonders auf diesem Gebiet ein krasser Gegensatz zwischen der Auffassung der Regierung und der des Kirchnerismus und der Gewerkschaften aufstellen.

Die Reform der Arbeitsgesetzgebung wird nur in Zusammenhang mit einer höheren Leistungsfähigkeit und niedrigeren Kosten gebracht, was die Gewerkschafter als einen Schaden für die Arbeiter auslegen, die dabei angeblich mehr leisten und weniger verdienen sollen. Die Regierung erklärt nicht, dass die höhere Produktivität real höhere Löhne erlaubt, und auch nicht, dass dies differenziert sein muss. Die Gewerkschaften treten für Gleichschaltung der Arbeitnehmer ein, und das schadet denjenigen, die besser arbeiten und sich ausbilden, auch den Facharbeitern. An diese muss sich die Regierung besonders richten.

Die wichtigste Reform, nämlich, dass die Entlassungsentschädigung erst ab zwei Jahren gezahlt wird, statt schon nach drei Monaten, so dass potentiell unstabile Arbeitsplätze besetzt werden können, wird überhaupt nicht erwähnt. Die Regierung sollte sich unsere Auffassung aneignen: es gibt immer gute und weniger gute Arbeitsmöglichkeiten, aber die bestehende Arbeitsgesetzgebung berücksichtigt nur die erste Gruppe, so dass die anderen möglichen Arbeitsplätze entweder nicht besetzt werden, oder auf Schwarzarbeit übergehen. Das Konzept des sozialen Aufstiegs, bei dem ein Mensch mit einer eventuell schlecht bezahlten und unstabilen Arbeit beginnt, was ihm dann den Sprung auf bessere Arbeitsplätze ermöglicht, sollten die Regierungssprecher auch verwenden.

Für die Oppositionspolitiker existiert das Problem der Arbeitslosigkeit und der Schwarzarbeit nicht. Sie wollen es mit den Gewerkschaften nicht verderben, und vertreten die gleiche These wie diese, d.h. sie kümmern sich nur um die Erhaltung der Arbeitsplätze derjenigen, die schon arbeiten, aber nicht um die Arbeitslosen. Die Regierungssprecher sagen nicht einmal, dass ihre Versuche, die Arbeitsgesetzgebung zu ändern, um die Einstellung von Jugendlichen zu fördern, und auch, um den Übergang von Schwarzarbeit auf eine legale Beschäftigung zu ermöglichen, wegen der Opposition der Kichneristen im Kongress gescheitert sind. Eine gute Erklärung der Arbeitsproblematik wäre bei der Wahlkampagne sehr wichtig.

Der Kirchnerismus hat das Problem der ab etwa 2007 zunehmenden Arbeitslosigkeit mit der Aufnahme von etwa 1,5 Mio. Menschen in den staatlichen Bereich gelöst, was dann ein viel größeres Problem geschaffen hat. Doch das lässt sich nicht wiederholen. Im Gegenteil: jetzt muss versucht werden, dass Staatsangestellte auf den privaten Bereich übergehen. Auch das wird kaum erwähnt.


Das fehlende Gesamtkonzept

Es fehlt der Regierung auch ein Gesamtkonzept der Wirtschaftspolitik, das sich auf die Begriffe Gleichgewicht und Effizienz stützt. Effizienz ist das Grundkonzept der Wirtschaftswissenschaft, die sich schließlich mit dem bestmöglichen (also effizienten) Einsatz knapper Mittel befasst. Effizienz und nicht Investition, ist der wichtigste Wachstumsfaktor, ganz besonders, wenn die Mittel für Investitionen knapp sind, wie es in Argentinien der Fall ist. Ist es wirklich so schwierig, dies zu erklären? Oder verstehen Macri und seine Leute das Thema selber nicht? Zudem bietet heute die Computertechnologie viele Möglichkeiten, die Effizienz zu erhöhen, von denen die meisten noch eingesetzt werden müssen. Dass Macri den Zugang zum Computer durch zollfreie Einfuhr erleichtert hat, wird auch nicht erwähnt, auch nicht, dass die meisten Schulen mit Computern ausgestattet sind, so dass die neuen Generationen auf diesem Gebiet kein Problem haben.

Gleichgewicht bedeutet, dass die Staatsfinanzen ein geringes Defizit aufweisen, das vorwiegend mit Krediten internationaler Finanzanstalten gedeckt wird. Die Regierung erklärt nicht einmal, dass bei den Staatsfinanzen die Investitionen zu den Ausgaben addiert werden, während bei einem Privatunternehmen nur die jährliche Amortisation als Ausgabe gebucht wird. Das Defizit muss mit den Staatsinvestitionen in Beziehung gebracht werden und darf auf alle Fälle (wie es u.a in Deutschland gesetzlich verankert ist) nicht höher als die Investitionen sein. Die Regierung erklärt nicht, dass der Staat sich gegenwärtig nur zusätzlich verschuldet, um einen Teil der Staatsinvestitionen (fast alle für Infrastruktur) zu decken, aber nicht, um laufende Ausgaben zu zahlen, wie es die Opposition gelegentlich darstellt.

Doch Gleichgewicht bedeutet mehr als das: es schließt auch eine zumindest ausgeglichene Leistungsbilanz ein, mäßige Lohnerhöhungen, viel niedrigere Zinsen, als sie jetzt bestehen und eine Geldpolitik, die mit der Entwicklung der Wirtschaft und der Kosteninflation im Einklang steht. Besonders dieser letzte Aspekt ist weder Macri noch den Wirtschaftlern seiner Regierung klar. Wenn die Inflation nur mit einer stark restriktiven monetären Politik gebändigt werden soll, dann tritt eine Rezession ein. Das steht in den Lehrbüchern der Wirtschaftswissenschaft, und ist in Argentinien sehr betont, weil der Einkommenskampf sehr wild ist, und die Änderung der relativen Preise eine große Wirkung auf die Kosten im allgemeinen hat. Die hohen Zinsen, an erster Stelle für die Leliq-Schatzscheine, sind auf Dauer unhaltbar. Das hat auch Alberto Fernández gesagt, ohne jedoch eine Lösung zu geben. Wenn die Leliq einfach nicht erneuert werden, direkt oder weil zu niedrige Zinsen geboten werden, dann entsteht eine untragbare Geldschöpfung. Man muss hier eben etwas weiter denken, und in die Richtung einer Dollarverschuldung des Staates gehen, wie wir sie vorgeschlagen haben.

Die mangelhafte Erklärung der Regierungssprecher über die Aussichten der Wirtschaft, und auch die fehlende Klarheit über Grundkonzepte der Wirtschaft, die wir hier dargestellt haben, erleichtert der Opposition die Wahlkampagne, zumindest, was die Kritik an der Macri-Regierung betrifft. Doch im Grunde weiß weder Alberto Fernández (und noch weniger Cristina) noch Roberto Lavagna, was getan werden muss. Von dem was sie vorschlagen, ist der allergrößte Teil grober Unfug, der in Hyperinflation mündet.


Die Oppositionsdemagogie

Alberto Fernández schlägt vor, die Löhne und Pensionen zu erhöhen, den Pensionären Gratismedikamente zu vergeben, den Zinssatz der Leliq stark zu verringern, die Steuerbelastung bei Kleinunternehmen zu verringern und die Tarife öffentlicher Dienste nur wenig zu erhöhen. Sie sollen nicht mehr an den Dollarkurs gebunden werden, wie es jetzt zum Teil der Fall ist. Das alles führt zu einer Zunahme des Defizites, für die es keine Finanzierung gibt. In der Praxis hat dies eine hohe Geldschöpfung und eine gefährlich zunehmende Inflation zur Folge.

Die Wirtschaftler des Kirchnerismus stellen sich vor, dass sie diese Wirkung mit intensiver staatlicher Intervention (Preiskontrollen, strenger Devisenbewirtschaftung, auch mit Exportverboten und Importhemmungen) verhindern oder zumindest stark mildern können. Das sagen sie jetzt jedoch nicht ausdrücklich, weil sie wissen, dass so etwas schlecht ankommt. Die argentinische Erfahrung zeigt, dass diese Politik bestenfalls kurzfristig möglich ist, und sich dabei ein Druck anstaut, der schließlich zu einer Explosion führt.

Lavagna ist, als erfahrener Wirtschaftler, der er ist, vorsichtiger. Aber was er vorschlägt, ist auch irreal: Erhöhung des Mindestlohnes um 20%, Abschaffung der MwSt. für essentielle Produkte, und Ausnahme von der Gewinnsteuer derjenigen, die von den unteren Stufen erfasst werden. Wie all das finanziert werden soll, sagt er nicht. Er hat auch auf die Notwendigkeit eines Sozialabkommens zwischen Gewerkschaftern, Unternehmern u.a. hingewiesen. Das hat jedoch nur Sinn, wenn die Regierung den Sozialpartnern ein klares Konzept vorlegt, und es ihnen faktisch aufzwingt. Sonst reden alle um den heißen Brei herum, wie es eine langjährige Erfahrung zeigt. Denn Grundsätzlich geht es bei Abkommen dieser Art um Lohneinfrierungen oder eine drastische Begrenzung der Lohnerhöhungen. Da Lavagna keine Aussicht hat, bei den Wahlen zu siegen, kann er es sich leisten, es bei seinen Vorschlägen nicht so genau zu nehmen. Bei Alberto Fernández hingegen liegt der Fall anders. Was er sagt, stellt dann eine Verpflichtung dar, die er nicht so leicht ganz bei Seite lassen kann.

Wie weit die Gesellschaft die Versprechen von Alberto Fernández glaubt oder ihn für einen Schwätzer hält, lässt sich nicht sagen. Auf alle Fälle nehmen die Regierungssprecher die Gelegenheit nicht wahr, seine Vorschläge als einen direkten Weg zur Hyperinflation darzustellen. Auch die Hälfte, von dem was er verspricht, lässt sich nicht durchführen, ohne einen gefährliche Inflationssprung herbeizuführen.

Schlusswort

Im staatlichen Bereich gibt es viele gut ausgebildete Ökonomen. Ebenfalls können viele private zu Rate gezogen werden. Eine ausgewählte Gruppe von ihnen sollte eine Denkschrift ausarbeiten, in der die Konzepte, die wir hier dargestellt haben, eventuell auch andere, klar erläutert werden. Und dann muss all das in eine allgemein verständliche Sprache gekleidet werden. Bis zur Oktoberwahl kann sehr viel getan werden, damit die Wähler wissen, für was sie im Fall einer Bestätigung von Macri einstehen, und wie gefährlich es ist, wenn Alberto Fernández, mit Cristina als effektive Inhaberin der politischen Macht, an die Regierung gelangen.

Wenn Macri wiedergewählt wird, dann geht zunächst alles weiter wie bisher. Auch wenn er Reformen in Angriff nimmt, die er bisher nicht durchführen konnte, oder weil er sich nicht klar über viele Dinge bewusst war, dürfte sich zunächst nichts ändern. Die Gläubiger werden dabei beruhigt, und das erleichtert auch die Verwaltung des Devisenmarktes, was in Argentinien keine Kleinigkeit ist. Die Diskussion um die strukturellen Reformen käme erst in einer zweiten Etappe.

Wenn jedoch Alberto Fernández Präsident wird, weiß man nicht, was er tun wird, und das schafft Unruhe und wirkt von vornherein störend auf die Wirtschaft. Was er versprochen hat, kann er nicht durchführen, umso weniger, wenn er von vornherein auf ein großes Misstrauen des Finanzmarktes stößt, das ihn mit einer Zahlungsbilanzkrise konfrontiert. Es wäre für ihn, und noch mehr für Cristina, gewiss nicht einfach, zu erklären, warum sie nicht das tun, was sie versprochen haben, und wie sie mit den Problemen fertig werden, die auf sie zukommen. Man kann vorwegnehmen, dass dann schon am ersten Tag der Teufel los ist, eben weil sie nicht glaubwürdig sind und zu viel Unfug verzapft haben. Und das können sie nicht ändern.

Viele Wähler werden sich schließlich, oft kurz vor der Wahl, bewusst, welche Gefahren sie bei einer neuen Kirchner-Regierung eingehen, dieses Mal mit einem Stellvertreter als Präsident, also einem schwachen Präsidenten. Sie haben Angst vor Hoch- und Hyperinflation, dass sie ihnen Arbeitsplatz verlieren können oder als selbstständig Tätige oder Kleinunternehmer schweren Schaden erleiden, und dass es mehr Unruhen und Gewalt gibt. Die Phantasien, denen sich viele vorher hingegeben haben, verschwinden dann. Denn schließlich muss man zunächst weiterleben.

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