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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Graubünden mit allen Sinnen erleben

Von Bernhard Krieger

Viel Natur, wenig Menschen - und keine lange Anreise: Das ist die Erfolgsformel für den Urlaub in Corona-Zeiten. Das Schweizer Kanton Graubünden verkörpert sie in Reinkultur.

Steinbock
Steinbock im Schweizerischen Nationalpark - die Tiere waren in der Schweiz einst ausgestorben, wurden jedoch wieder angesiedelt. (Foto: dpa)

Chur - Smaragdgrün, türkis, dann wieder eisblau: Nach jedem Meter glitzert der Rhein in anderen Farben. Mal mäandert er gemächlich dahin, mal schäumt er zwischen mächtige Felsbrocken gepresst wild auf. An seinen Ufern ragen Kalksteilwände bis zu 400 Meter in die Höhe. Geschaffen wurde die spektakuläre Rheinschlucht durch den Flimser Bergsturz vor 10.000 Jahren.

"Ist das nicht gewaltig?", fragt Louis Henderson und gibt gleich selbst die Antwort: "Für mich ist das der Grand Canyon der Schweiz." Der wilde Rhein kurz hinter seinem Quellgebiet am Oberalppass ist für ihn Spielplatz und Arbeitsplatz zugleich. Vor zwölf Jahren kam der Engländer in die Surselva-Region westlich der Kantonshauptstadt Chur. Seitdem begleitet er als Guide Bootstouren durch die 14 Kilometer lange Rheinschlucht.

An warmen Tagen gleitet ein Rafting-Boot nach dem anderen vorbei an Wanderern und Sonnenbadenden. Die Rhätische Bahn fährt streckenweise direkt am Flussbett entlang, Neugierige stecken die Köpfe aus den roten Waggons. Vor allem die Kajakfahrer, die in den Stromschnellen spielen, ziehen bewundernde Blicke auf sich.

"Der obere Teil ab Ilanz ist nur was für Könner. Zwischen Versam und Reichenau gehen wir mit Funyaks aber auch mit Anfängern aufs Wasser", erklärt Henderson. Die prall aufgeblasenen Gummi-Kajaks liegen weitaus stabiler im Wasser als klassische Wildwasserkajaks. Geschützt mit Helm und wärmendem Neopren-Anzug schaffen die meisten nach kurzer Sicherheitseinweisung den Ritt durchs Wildwasser ohne eine unfreiwillige Abkühlung.


Spitzenküche nach dem Flussabenteuer

Startplatz des Abenteuers ist Ilanz, der Geburtsort von Andreas Caminada. Der dunkelhaarige Mann mit grünblauen Augen wie der Rhein ist der Star unter den Schweizer Köchen. Seit 2010 zeichnet ihn der Gourmetführer Guide Michelin mit der Höchstwertung von drei Sternen aus. Damals war Caminada erst 34 Jahre alt. Sein Restaurant Schloss Schauenstein liegt südlich von Chur in Fürstenau.

Silsersee
Europas höchstgelegene Linienschiffroute verkehrt auf dem Silsersee. (Foto: dpa)

Seit neun Jahren zählt die angesehene Top-50-Liste sein Lokal zu den besten 50 Restaurants der Welt. Es gibt Feinschmecker aus aller Welt, die nur deshalb nach Graubünden pilgern. Caminada brennt in den altehrwürdigen Gemächern ein Feuerwerk für die Sinne ab. Dabei trumpft er nicht mit Luxusprodukten wie Hummer auf, sondern mit einfachen, saisonalen Zutaten aus der Region oder dem eigenen Garten.

Statt Austern serviert Caminada zum Amuse-Bouche lieber seine "Fake Oyster": einen Steinpilz in einer Art Muschelschale aus Algen mit überwältigenden Umami-Aromen. Forellen- und Zanderfilets, Ochsenschwanz, Auberginen, Kohlrabi, Kopfsalat: Alles verwandelt Caminada in kulinarische Meisterwerke.

Der Meister selbst bleibt bescheiden. Caminada, der im benachbarten Skiort Laax in die Kochlehre ging, ist ein typischer Bündner aus der Surselva: gelassen und bodenständig. Ohne Star-Allüren begrüßt er seine Gäste in Fürstenau, wo er das Gourmet-Restaurant mit Boutique-Hotel zusammen mit seiner Frau inzwischen zu einem kleinen Reich mit Ferienwohnungen, einem legeren Bistro, Feinkostladen und Bäckerei ausgebaut hat.


Nach dem Abschlag ein Pinot Noir

Wie viele Bündner ist Caminada als Snowboarder nicht nur passionierter Wintersportler, sondern auch leidenschaftlicher Golfer. Vielleicht hat er seine erste Dependance deshalb auch in Bad Ragaz eröffnet. Der Ort bietet nicht nur ein Thermalbad und Kurkliniken, sondern auch einen der besten Golfplätze der Schweiz. "Bad Ragaz spiele ich schon gern", sagt Caminada, der auch von den Golfkursen Domat-Ems bei Chur und seinem Heimatplatz Sagogn schwärmt.

Bad Ragaz liegt eigentlich schon in St. Gallen, wird von Urlaubern aber oft der bekannteren Ferienregion Graubünden zugeschlagen. Vom Kurbad schaut man ja auch direkt auf die Bündner Herrschaft: "Das ist eines der besten Weinbaugebiete der Schweiz mit erstklassigen Pinot Noirs", sagt Caminada. Im "Grand Resort Bad Ragaz" betreibt er sein Igniv, ein Begriff aus Caminadas Muttersprache Rätoromanisch, der vierten Amtssprache der Schweiz.

Igniv heißt Nest - und wie in einem solchen fühlt man sich dort auch. Alle Gerichte werden zum Teilen an den Tisch gebracht. Das Konzept ist locker, das Niveau hoch. Seit 2020 strahlen über dem Lokal zwei Michelin-Sterne.


Graubünden abseits des Winters genießen

St. Moritz
St. Moritz ist auch im Sommer schön. (Foto: dpa)

Das gilt auch für Caminadas zweites "Igniv" in St. Moritz. Das öffnet im "Badrutt's Palace" nur im Winter, inzwischen Hauptsaison im Engadin wie fast überall in Graubünden. Vor rund 150 Jahren war das noch anders. Erst 1864 erfand der Hotelier Johannes Badrutt den Wintertourismus, wie es heute oft heißt, indem er mit seinen englischen Gästen wettete, dass der Winter in St. Moritz genauso schön sei wie der Sommer. So wurde die warme Jahreszeit mit den Jahren zur Nebensaison. Anscheinend brauchte es die Pandemie, um der Welt zu zeigen, wie schön St. Moritz und Graubünden im Sommer sind.

"Wir hatten in diesem Jahr viele Gäste, die noch nie im Sommer bei uns waren. Und sie waren begeistert", erzählt Maria-Louisa Blanken vom "Grand Hotel des Bains Kempinski" in St. Moritz. 1864 erbaut, diente eines der ersten Grand Hotels im Ort zunächst als Kurhaus.


Im Engadin geht es sportlich zu

Zum Kuren kommen nur noch wenige. Das Engadin zieht auf 1800 Metern mit warmen Tagen und kühlen Nächten heute eher Aktivurlauber an. Platz ist in dem weiten Tal genug: Wanderer spazieren rund um die Seen, Bergsteiger erklimmen bis zu 4000 Meter hohe, vergletscherte Gipfel. Radfahrer touren entspannt mit E-Bikes, quälen sich mit Rennrädern an den beeindruckenden Viadukten der Rhätischen Bahn vorbei über den Albula-Pass oder balancieren mit Mountainbikes auf Single Trails. Über Reitern und Wassersportlern drehen Gleitschirmflieger ihre Runden, während Golfer in Samedan auf dem ältesten Platz der Schweiz abschlagen.

Rheinschlucht
Kajakfahrer in der Rheinschlucht. (Foto: dpa)

Wenn sich im Herbst die bis hoch auf die grünen Almen hochziehenden Lärchen gelb färben und Schneehauben die imposanten Bergmassive auf beiden Seiten des Tals überziehen, wirkt die Kulisse fast schon kitschig. Caminadas "geliebte Graubündner Berge" erinnern je nach Region mal an Südafrikas Drakensberge, mal an Kanadas unendliche Bergwälder, mal an Neuseelands mystische Hochtäler.

Vor so einem Panorama lässt sich entspannt golfen und das ohne Berührungsängste, sagt jedenfalls der Geschäftsführer des Engadin Golf Clubs Ramun Ratti: "Hier spielen Multimilliardäre neben Bergbauern - und alle werden gleichbehandelt."

Die Dichte an Luxushotels, Top-Restaurants, Edelboutiquen und Nobelkarossen macht dennoch deutlich, dass das Oberengadin kein billiges Pflaster ist. Das Unterengadin rund um Scuol ist da schon günstiger, was sich schon an den Preisen für den Golfplatz Vulpera zeigt. Der anspruchsvolle 9-Loch-Kurs ist mit seinem Auf und Ab im Wald ein kleines Juwel unter den alpinen Golfkursen.


Wanderfreuden und Steinböcke

Scuol ist eines der Tore zum Schweizerischen Nationalpark. 1914 gegründet, ist er der älteste der Alpen. Eine Fläche von der Größe des benachbarten Fürstentums Liechtenstein wird dort sich selbst überlassen. Tiere werden nicht bejagt, Totholz nicht weggeschafft. Die alpine Wildnis ist ein Forschungsobjekt für Wissenschaftler.

Nationalpark
Wanderführerin Andrea Millhäusler im Schweizerischen Nationalpark. (Foto: dpa)

Besucher können den Park auf rund 100 Kilometer langen Wegen individuell oder auf Führungen erforschen. Führerinnen wie Andrea Millhäusler vermitteln alles über die Geschichte und unzähligen Blumen und Tiere, vom Insekt bis zum scheuen Braunbären.

Neben Rothirschen und Gämsen zählen Steinböcke zu den imposantesten und häufig anzutreffenden Tieren. Dabei waren sie Ende des 19. Jahrhunderts in der Schweiz ausgestorben.

"Damals baten die Schweizer den italienischen König, ihnen einige Tiere aus seiner Jagd zur Züchtung zu überlassen", erzählt Millhäusler auf ihrer Führung. Der König lehnte ab. "Daraufhin bestachen die Schweizer dessen Wildhüter und ließen 100 Steinböcke in die Schweiz schmuggeln." Dank der von der Regierung finanzierten Geheimoperation kehrten die Steinböcke zurück. Rund 17.000 Exemplare leben wieder in der Schweiz, ein paar Hundert im Nationalpark.


Wo selbst Nietzsche seine Freude hatte

Nietzsche-Haus
Nietzsche-Haus in Sils-Maria. (Foto: dpa)

Eine Garantie, eines der Graubündner Wappentiere zu sehen, gibt es nicht. Der Park ist kein Disneyland. Nur auf die Murmeltiere ist fast immer Verlass. Die pfeifenden Nager tummeln sich auch auf den Almen oberhalb von Sils Maria im heute autofreien Val Fex, über das Friedrich Nietzsche einst schrieb: "Im Grunde gefällt mir's nirgendwo so gut." In den 1880er Jahren lebte der Philosoph zeitweise in Sils Maria, seine Unterkunft im Ort ist heute ein Nietzsche-Museum.

Nietzsche wanderte gern ins Val Fex. Restaurants und Almhütten tischen dort die auch von Starkoch Caminada so geliebten deftigen Spezialitäten wie Pizzoccheri, Maluns und Capuns auf. Wandert man dann gestärkt hinunter nach Isola, kann man auf Europas höchstgelegener Linienschiffroute über den Silsersee zurückfahren. Nur ab und zu kreuzen dort Segelschiffe den Weg.

Auf dem benachbarten Silvaplana-See ist mehr los. Dort tummeln sich bei schönem Wetter hunderte Kite- und Windsurfer, die der berühmte Malojawind lockt. "Das ist ein thermischer Wind - perfekt zum Surfen", erklärt Sarah Missiaen von Windsurfing Silvaplana. Ihr Surfcenter mit Kursen und Leihstation war schon vor Corona ein Mekka des Surfsports. Jetzt, wo andere Surf-Spots in der Welt unerreichbar sind, ist Silvaplana attraktiver denn je.

Frühmorgens schimmert der Bergsee in denselben Grün- und Blautönen wie der wilde Alpenrhein. Dreht der Malojawind mittags auf, glitzert er im magischen Licht der Alpensüdseite wie Quecksilber.


INFO: Graubünden

Klima und Reisezeit: Außerhalb der Wintersaison von Mai bis Oktober. Die Temperaturen variieren je nach Höhenlage. Sie bewegen sich in diesen Monaten im Durchschnitt zwischen Tiefsttemperaturen von 3 bis 11 und Höchsttemperaturen von 14 bis 23 Grad. (dpa/tmn)

Informationen: Graubünden Ferien, Alexanderstraße 24, 7001 Chur, Schweiz (Tel.: 0041 81 2542424, E-Mail: contact@graubuenden.ch, www.graubuenden.ch).



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