Von Marion Kaufmann
Es war nicht leicht für die deutsche Journalistin Henriette Kaiser in München die Lebensgeschichten von Personen zu schreiben, die in Argentinien lebten. Doch Frau Kaiser hatte großes Interesse an einem Thema, das Gefahr läuft in Vergessenheit zu geraten, wenn man nicht immer wieder sucht, nachforscht und Erinnerungen auffrischt, denn die einstigen jüdischen Auswanderer, die man interviewen kann, sind sehr alt oder gestorben, und es sind jetzt meistens die Söhne und Töchter, die man heute fragen kann: „Wie war denn das, als ihr klein wart, Deutschland verlassen und in ein völlig unbekanntes Land fliehen musstet, um zu überleben.“
Zwischen 2011 und 2020 kam Henriette Kaiser mehrmals nach Buenos Aires, manchmal für ein paar Wochen, oftmals Monate, um die geeigneten Personen zu finden. Allerdings musste sie zweimal den Aufenthalt brüsk abbrechen: einmal wegen der Krankheit ihres Vater und das andere Mal, als wegen der Pandemie alle Flüge annulliert wurden. Sie erwischte gerade das letzte Flugzeug nach Deutschland. Aber Henriette gab nicht auf, sie hatte ja schon mit einigen Interviews begonnen.
Die Personen über deren Einwanderung in Argentinien sie schreiben – und in Buchform veröffentlichen würde - waren Liesel Bein, Gisela Brunnehild, Rodolfo Leeser, Marion Weiss, Elena Levin, Imo und Renate Moszkowicz und die Schreiberin dieser Zeilen. Einige dieser Personen sind inzwischen gestorben, da mussten dann die Kinder sich an jene Zeit erinnern.
Es geht aber auch um andere Dinge, die die Autorin erforscht hat. Sie nutzte ihre freie Zeit um das Land, die Gebräuche, die Landschaften kennen zu lernen. Sie reiste in die Provinzen, besuchte Milongas, war begeistert vom Tigre-Delta, sauste mit dem Fahrrad in Buenos Aires herum und mischte ihre Eindrücke mit den Berichten ihrer Interviewten und machte dadurch die Lektüre vielseitig und frisch, ernsthaft aber nicht bedrückend.
Überhaupt wollte sie mit ihrem Buch keine wissenschaftliche Analyse aufarbeiten, sondern ihre Personen sprechen lassen. Sie war der Meinung, dass nicht nur Wichtiges aufgezeichnet werden solle, sondern auch kleine, persönliche Erlebnisse des Tagesverlaufes.
Und eines Tages war das Buch fertig! Sie nannte es „Goethe in Buenos Aires“ und nun suchte sie einen Verlag.
Sie erzählte mir, dass es schwer gewesen war, einen zu finden und ich stelle mir vor, dass die Deutschen nicht mehr so viel in die Vergangenheit schauen wollen, sondern sich lieber mit der Zukunft befassen. Aber nun ist das Buch da, mit sehr vielen Fotos, und das war der Grund ihrer letzten Reise, im November, denn sie wollte jedem Befragten ein Exemplar überreichen. Henriette Kaiser organisierte ein Treffen, in einem Café in Belgrano, wir waren acht Menschen, die ihre Heimat verließen und in ein so ganz anderes Land kamen, mit einer anderen Sprache, einer anderen Kultur - die heute noch die deutschen Wälder vermissen -, die mit vielen Problemen kämpfen und sich ein neues Leben aufbauen mussten.
Goethe in Buenos Aires
Faber & Faber, 189 S.
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