Valéry Giscard d'Estaing (94)
Paris - Der frühere französische Staatschef Valéry Giscard d'Estaing ist tot. Der Zentrumspolitiker, der von 1974 bis 1981 im Élyséepalast amtiert hatte, starb im Alter von 94 Jahren. Das Umfeld des Altpräsidenten bestätigte der Deutschen Presse-Agentur in Paris entsprechende Medieninformationen. Giscard d'Estaing war erst Mitte November nach einem fünftägigen Aufenthalt aus dem Krankenhaus im westfranzösischen Tours entlassen worden.
Der Altpräsident sei am Mittwoch in seinem Haus im zentralfranzösischen Département Loir-et-Cher an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung gestorben, hieß es in einer Erklärung, die der dpa vorliegt. Die Beisetzung solle im Familienkreis stattfinden. Ein Termin wurde nicht genannt.
Giscard d'Estaing war ein überzeugter Europäer und äußerte sich in der französischen Öffentlichkeit bis ins hohe Alter zu EU-Fragen. In den 1970er Jahren bildete er mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) ein vorbildhaftes deutsch-französisches Duo.
Der hochgewachsene Franzose mit einem aristokratischen Auftreten überlebte seine Nachfolger François Mitterrand (1916-1996) und Jacques Chirac (1932-2019). Bei der Trauerfeier für Chirac im September 2019 in Paris nahm er - gebückt gehend - noch teil.
Giscard d'Estaing hatte auch persönlich eine enge Beziehung zu Deutschland. Er wurde am 2. Februar 1926 in Koblenz im damals französisch besetzten Rheinland geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg absolvierte er die französische Elitehochschule ENA. Er stieg dann zum Wirtschafts- und Finanzminister auf. Nach dem Tod von Präsident Georges Pompidou wurde er dann im Alter von 48 Jahren in das höchste Staatsamt gewählt.
Giscard setzte im Élyséepalast gesellschaftliche Reformen wie die Liberalisierung des Ehe- und Abtreibungsrechts durch. Gegen Ende seiner Amtszeit litt jedoch seine Popularität - unter anderem wegen der Affäre um ein Diamantengeschenk des zentralafrikanischen Diktators Jean-Bédel Bokassa.
Von 2002 an führte Giscard den EU-Reformkonvent, der zur Erneuerung der Europäischen Union einen Verfassungsentwurf vorlegte. Mit dem Nein der Franzosen und der Niederländer bei Volksabstimmungen im Jahr 2005 scheiterte das Vorhaben jedoch spektakulär. Danach übernahm der EU-Vertrag von Lissabon wichtige Regelungen der abgelehnten Verfassung. 2003 erhielt der Europapolitiker Giscard d'Estaing den Karlspreis der Stadt Aachen.
Giscard d'Estaing nahm im Juni zu einem gegen ihn erhobenen Vorwurf der sexuellen Belästigung Stellung. „Das ist alles grotesk“, sagte er dem französischen Radiosender RTL. Eine Reporterin des WDR hatte ihm vorgeworfen, sie sexuell belästigt zu haben. Er habe ihr „nach einem Interview, das ich mit ihm im Dezember 2018 in Paris geführt habe, mehrfach an das Gesäß gefasst“, hatte Ann-Kathrin Stracke der Deutschen Presse-Agentur gesagt. Sie bestätigte, Strafanzeige wegen sexueller Belästigung gestellt zu haben. Die Pariser Staatsanwaltschaft nahm eine Untersuchung auf.
Irina Antonowa (98)
Moskau - Im Alter von 98 Jahren ist die russische Kunstwissenschaftlerin Irina Antonowa, Präsidentin des Puschkin-Museums in Moskau und „Hüterin der Beutekunst“, gestorben. „Irina Alexandrowna ist tot“, sagte Museumsdirektorin Marina Loschak der Staatsagentur Tass zufolge am Dienstag. In Deutschland war Antonowa als resolute Hüterin jener Kunstschätze bekannt, die Sowjetsoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg nach Moskau brachten. Die „Beute“ galt als Entschädigung für Kriegsverluste, die auf das Konto plündernder und brandschatzender Nazis gegangen waren.
Antonowa war im Alter von 91 Jahren 2013 als Museumsdirektorin zurückgetreten und hatte ihr Lebenswerk an die Kunstwissenschaftlerin Loschak übergeben. Sie blieb nach 52 Jahren an der Spitze des international bekannten Puschkin-Museums aber weiter dessen Präsidentin - und war bis zuletzt auch bei größeren Anlässen präsent. Antonowa hatte noch unter Sowjetdiktator Josef Stalin 1945 ihre Arbeit im Puschkin-Museum begonnen.
Es gehörte zu ihrem Vermächtnis, dass ein russisches Gesetz gegen den Protest Deutschlands die „verlagerten Kulturgüter“ als Wiedergutmachung festschreibt. Zu den Kostbarkeiten gehören auch die Troja-Funde von Heinrich Schliemann und der Eberswalder Goldschatz. „Eine Rückgabe wäre der Beginn einer Revolution in den Kunstsammlungen der ganzen Welt“, sagte Antonowa einmal. Sie verwies darauf, dass Museen weltweit voll seien mit Kunstschätzen von Eroberungszügen und Kriegen.
Die am 20. März 1922 in Moskau geborene Antonowa hatte in ihrer Kindheit einige Jahre in Deutschland gelebt und sprach Deutsch. Sie wehrte sich stets gegen Berichte, sie habe nach dem Krieg selbst Beutekunst ausgesucht. Noch zu ihrem 90.Geburtstag 2012 meinte die Frau, die oft wie ein Feldwebel in ihren strengen Kostümen auftrat, dass sie kein Ende ihrer Museumsarbeit absehe.
Russische Feuilletonisten lobten die Kunstwissenschaftlerin als Expertin von Weltrang, die mit großer Klugheit und unerschöpflicher Energie selbstbewusst und kompromisslos eines der wichtigsten russischen Museen führte. Zu Sowjetzeiten organisierte Antonowa die erste Schau mit Arbeiten des Surrealisten Salvador Dalí. Nach Ende des Kalten Krieges öffnete sie die Geheimdepots mit Beutekunst, nachdem Moskau bereits zu DDR-Zeiten große Mengen etwa an die Gemäldegalerie in Dresden zurückgegeben hatte.
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