„Science“ kürt Analysemethode zum Durchbruch des Jahres
Berlin (dpa) - Den menschlichen Körper kennen Forscher schon ziemlich genau: Wie Blutgefäße aussehen, warum Krebs entsteht, welche Zellen für das Sehen wichtig sind. Doch im ganz Kleinen ist das Bild noch nicht so klar. Denn nur von einem eher kleinen Teil unserer Proteine - das sind essenzielle Bestandteile des Körpers - wusste man bislang, wie sie aussehen und was sie genau machen. Doch das ändert sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) gerade rasant.
Grund dafür sind neue Computerprogramme, die dreidimensionale Strukturen von Proteinen mit hoher Genauigkeit errechnen, ohne dass zeitaufwendige und teure Messmethoden nötig wären. Kenne man die Gestalt und damit auch die Funktion der Proteine, ließen sich biologische Abläufe im Körper und Krankheiten besser verstehen, erklärt Andreas Bracher vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried.
Auch bei der Suche nach neuen Medikamenten helfe dieses Wissen, so Bracher. So wollen Forscher mit Hilfe des neuen Ansatzes Wirkstoff-Kandidaten entwickeln, die genau auf bestimmte Proteine abgestimmt sind. Andere Fachleute nutzen die Software bei der neuen Corona-Variante Omikron. Sie untersuchen Auswirkungen von Mutationen im Erbgut auf die Form des sogenannten Spike-Proteins. Eine geänderte Form könnte dazu führen, dass menschliche Antikörper nicht mehr so gut binden können und der Immunschutz nachlässt.
Das Fachmagazin „Science“ schätzt den neuen Ansatz für so bedeutsam ein, dass es ihn zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres gekürt hat. „Der Durchbruch bei der Proteinfaltung ist einer der größten aller Zeiten, sowohl in Bezug auf die wissenschaftliche Leistung, als auch mit Blick auf dadurch mögliche künftige Forschungen“, schreibt „Science“-Chefredakteur Holden Thorp. Er zieht einen Vergleich zur Genschere Crispr, die die Gentechnik revolutioniert hat.
Proteine sind winzig klein, man kann diese Eiweiße selbst unter dem Mikroskop nicht sehen. Bislang war es deshalb sehr aufwendig und teuer, mit Methoden wie Röntgenkristallographie und Kryoelektronenmikroskopie ihren Aufbau zu erforschen. „Science“ zufolge kann das Entschlüsseln einer einzelnen Proteinstruktur auf herkömmliche Weise Jahre dauern und Hunderttausende Dollar kosten.
„Bei vielen Proteinen des Menschen wusste man deshalb bisher nicht, wie sie aussehen“, sagt MPI-Forscher Bracher. Bislang sind nur für gut ein Drittel der Proteine des Menschen experimentell bestimmte Strukturen in einer Datenbank hinterlegt - in vielen Fällen davon sind auch nur Teilbereiche untersucht.
Mit den neuen Programmen - AlphaFold and RoseTTAFold - braucht es nun keinen großen Aufwand mehr. Ein Team um den AlphaFold-Entwickler John Jumper, der für die auf künstliche Intelligenz spezialisierte Google-Schwester Deepmind arbeitet, hat bereits Strukturen für fast alle menschlichen Proteine vorgelegt. Sein KI-gestütztes Programm trainiert sich praktisch selbst mit Hilfe von Datenbanken, in denen bereits erforschte Proteinstrukturen hinterlegt sind.
Proteine bestehen aus langen Ketten, die eine Art definiertes Knäuel bilden und dann bestimmte Aufgaben erfüllen. So können manche Proteine (Enzyme) Zuckermoleküle spalten, andere sind Strukturelemente unserer Muskeln. Die Ketten werden von hintereinander aufgereihten Bausteinen gebildet, den sogenannten Aminosäuren. Deren Abfolge ist durch unser Erbgut vorgegeben. Insgesamt gibt es dort rund 20.000 Gene, auf denen die Aminosäurenabfolge für verschiedene Proteine festgelegt ist. Bei der Faltung zum Knäuel spielen unter anderem Anziehungskräfte zwischen den Aminosäuren eine Rolle.
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