Von Juan E. Alemann
Die Konjunktur hat sich im 1. Quartal 2021 spürbar gebessert. Das ist einmal auf die natürliche Erholung zurückzuführen, die nach einem übertriebenen Rückgang eintritt, dann auch auf die Lockerung der Quarantäne der letzte Monate, und auch auf die Gewöhnung an die neuen Arbeitsumstände, so dass eine neue Normalität eingetreten ist. Dann hat auch der Sprung bei den Preisen von Sojabohne und Mais auf dem Weltmarkt, und die Besserung der Preise von Getreide und Ölsaat im Allgemeinen, zur Erholung beigetragen. Das hat zu einer starken Zunahme der Exporteinnahmen in den ersten Monaten des Jahres 2021 geführt. Dabei wurde auch Sojabohne und Mais exportiert, die die Landwirte auf Lager hatten, in Erwartung besserer Preise. Die von Regierungskreisen und linken Gruppen stark kritisierte Haltung der Landwirte, Sojabohne und Mais nicht sofort zu verkaufen, hat sich schließlich für sie und auch für das Land, wegen der höheren Deviseneinnahmen, als positiv erwiesen.
Wirtschaftsminister Guzmán sprach von einer für 2021 erwarteten Zunahme des Bruttoinlandsproduktes von 7%, womit der Rückgang von 10% im Jahr 23020 weitgehend aufgeholt würde. Das war nicht zu optimistisch: die BIP-Zunahme hätte noch höher ausfallen können, wenn die Klimabedingungen günstig gewesen wären, und die Ernte von Getreide und Ölsaat dieses Jahr höher wäre, als sie effektiv sein wird. Auf alle Fälle ist es für eine Wirtschaft einfacher, einen vorangehenden BIP-Verlust aufzuholen, als von einer hohen Ausgangsbasis aus zu wachsen. Nach einer Zehnjahresperiode der Stagnation haben sich Wachstumsimpulse aufgestaut, die sich gelegentlich positiv auswirken sollten. In diesen Jahren haben nicht nur allerlei Investitionen stattgefunden, sondern die technologische Revolution hat sich stark ausgewirkt und die Wirtschaft in vielen Aspekten effizienter gestaltet, was gelegentlich auch in Wachstum zum Ausdruck kommt.
Doch plötzlich hat sich die Lage verändert. Einmal ist die Pandemie verschärft aufgetreten, und zwingt zu neuen Einschränkungen, die die Wirtschaftstätigkeit hemmen. Und dann hat sich die Stimmung spürbar verschlechtert. Die Aussicht auf einen neuen Default wirkt paralisierend, und führt die Unternehmen zu einer konservativen Haltung, mit Vertagung neuer Initiativen und eventueller Investitionen. Diese Stimmung ist zum Teil objektiv bedingt, weil das Land vor Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Internationalen Währungsfonds und Investmentfonds steht, die es nicht erfüllen kann. Doch grundsätzlich ist die Regierung Schuld, dass diese negative Aussicht besteht.
Dass die Umschuldung der Verpflichtungen gegenüber dem IWF nicht in Schwung kommt, und die Aussicht besteht, dass es erst nach den Wahlen ein neues Abkommen geben kann, wirkt verheerend. Eine Reihe von Investitionsvorhaben, die mit ausländischer Finanzierung zählen, warten auf den Abschluss des Abkommens mit dem Fonds. Auch kleinere Investitionsprojekte von Unternehmen und andere Initiativen werden vorerst aufs Eis gelegt.
Der IWF wird keinen Default fordern, wenn die verpflichteten Zahlungen, die unbezahlbar sind, nicht gezahlt und auch nicht umgeschuldet werden. Aber der faktische Default, der dabei entsteht, wird von der Wirtschaftswelt wahrgenommen, so dass Kredite und Investitionsvorhaben allgemein vertagt werden. Auch kann weder die Weltbank, noch die BID, noch die Andenkörperschaft unter diesen Umständen weitere Kredite an Argentinien erteilen, so dass dann auch die Amortisationen bestehender Kredite nicht gezahlt werden können. Das führt dann zu einem totalen Debakel.
Wirtschaftsminister Guzmán ist sich dieser Lage bewusst. Aber er stößt auf den Widerstand von Cristina, die vor den Wahlen keine Maßnahmen haben will, die das Einkommen der Bevölkerung schmälern. Und Präsident Alberto Fernández lässt geschehen, ohne zu entscheiden. Der Fonds wird als erstes eine Zunahme der Tarife öffentlicher Dienste fordern, an erster Stelle bei elektrischem Strom. Denn das Defizit, dass die hohen Subventionen verursachen, ist untragbar. Guzmán denkt an eine niedrige Zunahme bei Haushalten mit geringem Einkommen, und einer höheren bei Haushalten mit hohem Einkommen, wobei er dabei angeblich auf Daten des Steueramtes greifen will. Das wäre jedoch eine tiefgreifende Neuerung, die sich nicht kurzfristig durchführen lässt. Doch die Tariferhöhung kann nicht warten. Sie müsste mindestens 50% betragen.
Der Fonds wird bestimmt noch weitere Maßnahmen fordern, um die Staatsausgaben einzudämmen. Es gibt auf diesem Gebiet sehr viel zu tun. Vorläufig wurde nur das Realeinkommen der Staatsangestellten, der Pensionäre und der Hinterbliebenenrentner stark verringert. Das hat auch dazu beigetragen, dass das Schatzamt im ersten Quartal 2021 mit einem viel geringeren primären Defizit abschloss. Das lässt sich jedoch nicht auf das ganze Jahr übertragen.
Minister Guzmán weiß sehr gut, dass er die Geldschöpfung einschränken muss, die letztes Jahr wegen der Sozialprogramme ein unhaltbares Ausmaß angenommen hat. Doch zu diesem Zweck muss das primäre Defizit, das 2020, richtig berechnet, um die 10% des Bruttoinlandsproduktes erreicht hat, um mindestens 7 Prozentpunkte abnehmen. Und dazu genügt es nicht, wenn die Programme ATP (Lohnsubvention) und IFE (Sozialhilfe von $ 10.000 pro arme Familie) nicht erneuert werden. Ohnehin soll dies teilweise durch eine Erhöhung der RIPTE-Subventionen für Arbeiter, die zeitweilig nicht beschäftigt sind, u.a. Sozialprogramme ausgeglichen werden.
Guzmán hat sich jetzt nach Europa begeben, einmal, um in Paris über eine Hinausschiebung der Zahlung von u$s 2,4 Mrd. mit den Staaten des Pariser Klubs zu reden, und dann, um sie zu bewegen, ihn bei den Verhandlungen mit dem IWF über ihre Direktoren zu unterstützen. Bei der erwähnten Zahlung handelt es sich um eine, die auf Schulden beruht, die seinerzeit nicht gezahlt und schließlich umgeschuldet wurden. Eine zweite Umschuldung kommt bestimmt schlecht an. Das hat außerdem in diesem Fall eine gefährliche Nebenwirkung, nämlich die, dass die Staaten, die Kapitalgüter an Argentinien mit einem von staatlichen Instituten versicherten Bankkredit geliefert haben, in Zukunft die Sicherung nicht mehr, oder nur ganz ausnahmsweise, erteilen werden. Diese Kreditquelle sollte nicht versiegen, da sich dies direkt auf Investitionsprojekte auswirkt.
Wenn die Regierung den Abschluss mit dem IWF weiter hinausschiebt, wird sie die Wirtschaft erneut in die Rezession führen, auch wenn dies, objektiv gesehen, nicht sein sollte. Und dann sind die Aussichten bei den Oktoberwahlen für die Regierungspartei noch schlechter.
Hinzu kommt noch das Inflationsproblem. Die Gefahr, dass die Inflationsrate sprunghaft steigt, wirkt lähmend auf die Wirtschaft. Die Inflationsbekämpfung will der Regierung nicht gelingen, auch wenn die Geldschöpfung im 1. Quartal 2021 spürbar abgenommen hat. Die Preiskontrollen, die Handelssekretärin Paula Español durchführt, haben eine minimale Wirkung. Einmal beziehen sie sich auf eine beschränkte Zahl von Produkten, wobei die Unternehmen, die sie herstellen, sie dann kontingentieren. Und dann haben die Supermärkte, für die diese Einfrierung gilt, einen Anteil von unter einem Drittel am Haushaltskonsum. Der Rest entfällt auf Selbstbedienungsläden, von denen viele, besonders größere, von Koreanern und Chinesen betrieben werden, und auch auf den Einzelhandel, der Obst und Gemüse, Fleisch, Brot u.a. Waren verkauft. Das Handelssekretariat hat auch verfügt, dass die Unternehmen mit voller Kapazitätsauslastung tätig sein müssen. Das ist jedoch nicht immer möglich, wobei die Unternehmen ohnehin eine hohe Kapazitätsauslastung anstreben. Frau Español hat eine eigenartige Auffassung über das Verhalten der Unternehmen und die Preisbildung. Sie hat auch mit einem Verbot des Exportes von Rindfleisch gedroht, um auf diese Weise ein höheres Angebot auf dem Binnenmarkt herbeizuführen, das auf die Preise drückt. Ihr Vorgänger Guillermo Moreno hat seinerzeit den Rindfleischexport kontingentiert, was zu einem Abbau des Rinderbestandes und geringerem Fleischangebot geführt hat. Dieses Mal haben die Landwirte sofort geharnischten Protest erhoben, und die Regierung wird es in einem Wahljahr bestimmt nicht auf einen neuen Konflikt mit der Landwirtschaft ankommen lassen. Außerdem kann es sich Argentinien nicht leisten, auf Exporte zu verzichten. Dessen ist sich auch Präsident Fernández bewusst.
Wenn jetzt die Tarife öffentlicher Dienste erhöht werden, um die Subventionen zu verringern, dann wirkt sich das auch auf das Preisniveau aus, direkt und über die Kostenerhöhungen, die dabei entstehen, die auf die Preise abgewälzt werden. Das macht die Senkung der Inflationsrate noch schwieriger. Die Lohnerhöhungen sind in letzter Zeit hinter der Inflation zurückgeblieben, was als Teilausgleich wirkt. Doch die Gewerkschaften betrachten dies nur als eine Ausnahmesituation, und bestehen auf der These der Erhaltung des Reallohnes, der die Regierung nicht widerspricht. Ohne Senkung des Reallohnes ist eine Eindämmung der Inflation nicht möglich.
Die Inflation soll auch durch den verwalteten offiziellen Wechselkurs gebremst werden, mit einer Abwertung, die weit hinter der Zunahme der internen Preise (gemessen am Index der Konsumentenpreise) steht. Diese Politik kann gewiss eine Weile weitergeführt werden, und sie wirkt sich auch inflationshemmend aus. Aber wenn die Finanzwelt einen neuen Default befürchtet, weil es nicht zu einem Abkommen mit dem IWF kommt, dann kann als Nebenwirkung ein Druck auf den Devisenmarkt entstehen, dem die ZB nicht widerstehen kann, weil sie keine verfügbaren Reserven hat. Das käme zunächst in einem Sprung auf dem Schwarzmarkt um den Markt über Staatstitel in Dollar zum Ausdruck. Auch dieses nicht unbedeutende Problem spricht für einen baldigen Abschluss der Verhandlungen.
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