SPD, Grüne und FDP loten Regierungsbildung aus
Berlin (dpa) - SPD, Grüne und FDP gehen den nächsten Schritt zur möglichen Bildung der ersten Ampelkoalition auf Bundesebene. Nach einer ersten gemeinsamen Runde kündigten die Generalsekretäre der drei Parteien gestern vertiefte Gespräche für die kommende Woche an. Bereits am Montagmorgen soll es losgehen, zwei weitere Treffen folgen.
"Wir haben gespürt, dass wir was Gemeinsames schaffen können", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach von einer "Vertrauensbasis". Sein FDP-Kollege Volker Wissing berichtete, das FDP-Präsidium habe einstimmig vorgeschlagen, "jetzt in eine förmliche vertiefte Sondierungsphase einzutreten". Dabei werde es auch bereits um konkrete Themen gehen. Man treffe sich am Montag nicht, um erstmal locker zu plaudern, betonte Wissing.
Während die Generalsekretäre eher ernste Töne anschlugen, gab es vor der Tür einer nüchternen Messehalle in Berlin im strahlenden Sonnenschein auch strahlende Gesichter. Das Schweigegelübde brach hier niemand - mit Aussagen zu Inhalten halten sich die Verhandler bewusst zurück. SPD-Chefin Saskia Esken nannte das Gespräch nur "sehr sehr schön". Grünen-Chef Robert Habeck meinte, er sei "kaputt" nach dem Tag. Grünen-Urgestein Claudia Roth dagegen verließ die Halle mit einem Lachen auf den Lippen und dem Fazit "sehr angenehm".
Den Verhandlern der FDP war dagegen kaum ein Lächeln zu entlocken. Parallel zu den Ampel-Gesprächen hatte CDU-Chef Armin Laschet in einer internen Sitzung einen personellen Neuanfang in seiner Partei angedeutet - was die Frage aufwirft, ob er oder wer sonst dann über eine noch immer nicht ganz ausgeschlossene Jamaika-Koalition verhandeln sollte.
Die Möglichkeit eines solchen Bündnisses mit der Union hatten sich FDP, aber auch Grüne zuvor ausdrücklich offen gelassen - auch wenn beide Parteien entschieden, prioritär Dreiergespräche mit dem Wahlsieger SPD zu führen. Auch gestern hielt sich die FDP die Jamaika-Option aber grundsätzlich offen. Messlatte für die Bildung einer Regierung seien nicht Personen, sondern Inhalte, sagte Wissing.
Die erste rot-grün-gelbe Ampel-Runde war laut Klingbeil gekennzeichnet von einer ernsthaften Atmosphäre. Wichtig sei, dass der politische Stil nicht von Gewinnern und Verlierern geprägt sei, sondern dass jede der drei Parteien ihre Schwerpunkte setzen könne. Kellner betonte: "Man kann vertraulich und vertrauensvoll miteinander reden über alle Themen." Obwohl man sich nicht überall einig sei, gebe es die Bereitschaft, größere Hürden gemeinsam zu nehmen, berichteten FDP und Grüne nach dem Treffen.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht davon aus, dass die Regierungsbildung zumindest schneller laufen wird als nach der vergangenen Bundestagswahl. Damals waren sich Union und SPD erst nach Monaten im Frühjahr nach der Wahl einig geworden. Bei einem Besuch in Rom versprach sie gestern dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi eine weiterhin erfolgreiche Zusammenarbeit, "bis ich dann ersetzt werde von dem neuen deutschen Bundeskanzler". "Und das wird diesmal sicherlich schneller gehen als bei der letzten Regierungsbildung", sagte Merkel.
In der kommenden Woche wollen sich SPD, Grüne und FDP am Montag, Dienstag und Freitag treffen. Mittwoch und Donnerstag ist Verhandlungspause - auch, weil SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz zum Treffen der G20-Finanzminister nach Washington reist. Die Generalsekretäre wollten diese Tage aber nicht ungenutzt lassen und in Kontakt bleiben, versicherte Klingbeil.
Zum Ende der Woche wollen die Parteien bereits eine Zwischenbilanz der Sondierungen ziehen und entscheiden, ob weitere Treffen nötig sind. Der nächste Schritt wäre danach ein Einstieg in offizielle Koalitionsverhandlungen. Vorher muss aber zumindest bei den Grünen noch ein kleiner Parteitag gefragt werden.
Laschet will Neuanfang
Berlin (dpa) - CDU-Chef Armin Laschet will den Spitzengremien der Partei nach der historischen Wahlniederlage einen Parteitag zur personellen Neuaufstellung der CDU vorschlagen. Das sagte Laschet gestern in Berlin. Laschet sagte, er wolle den Gremien in der kommenden Woche diesen Vorschlag machen. Die personelle Neuaufstellung der CDU - "vom Vorsitzenden über das Präsidium bis hinein in den Bundesvorstand" solle nun zügig angepackt werden. Sein Ziel sei immer gewesen, Gegensätze zu versöhnen.
Laschet sagte, in der Bundespartei solle versucht werden, einen Konsens aller, die im Moment in Betracht kämen, zu erzielen. Diesen Prozess werde er moderieren und wolle darüber in den kommenden Wochen mit den Landesvorsitzenden beraten.
Er selbst deutete die Bereitschaft an, eigene Ambitionen für mögliche Jamaika-Verhandlungen mit Grünen und FDP zurückzustellen. "Wenn es mit anderen Personen besser geht, dann gerne", sagte Laschet.
ÖSTERREICH
Druck auf Kurz wächst
Wien (dpa) - Nach Korruptionsvorwürfen gegen Österreichs Kanzler Sebastian Kurz erhöhen die mitregierenden Grünen und die Opposition den Druck auf den konservativen Regierungschef massiv. "Wir können nicht zur Tagesordnung übergehen, die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund in Frage gestellt", sagte der grüne Vizekanzler Werner Kogler gesetern in einer Mitteilung. Angesichts der Regierungskrise bat Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Chefs aller Parteien zu Gesprächen in die Präsidentschaftskanzlei. Am Mittwoch hatten Staatsanwälte unter anderem das Bundeskanzleramt und die Parteizentrale der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) durchsucht.
Laut der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) stehen enge Mitstreiter von Kurz im Verdacht, sich wohlmeinende Berichterstattung in einem Medienunternehmen erkauft zu haben, um Kurz ab 2016 den Weg an die Parteispitze und in das Bundeskanzleramt zu ebnen. Dafür soll Geld aus dem Finanzministerium zweckentfremdet worden sein. Die Ermittler sehen in Kurz einen Beteiligten an den Verbrechen der Untreue und Bestechlichkeit. Der 35-Jährige hat alle Anschuldigungen zurückgewiesen.
Die Oppositionsparteien kündigten ein Misstrauensvotum im Parlament in den kommenden Tagen an, sollte Kurz nicht zurücktreten. "Er kann diese Funktion und dieses Amt jetzt nicht mehr ausführen, ohne dass es Schaden nimmt, ohne dass Österreich Schaden nimmt", sagte die Chefin der sozialdemokratischen SPÖ, Pamela Rendi-Wagner. Ähnlich äußerten sich die Chefs der liberalen Neos und der rechten FPÖ. Die Oppositionsparteien forderten jedoch keine Neuwahl.
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