Auch nach 40 Jahren bewegt das WM-Halbfinale gegen Frankreich noch die Gemüter
Sevilla/Dortmund (dpa) - So richtig hat Toni Schumacher die legendäre Nacht von Sevilla nie losgelassen. Französische Medien bezichtigten ihn "eines Attentats" und nannten ihn martialisch "einen Panzer", in einer Umfrage erklärten ihn die Franzosen 37 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zum meistgehassten Deutschen. Doch die Anfeindungen kamen nicht nur aus dem Ausland. Der ehemalige deutsche Torhüter Bert Trautmann sagte: "Er tat es mit Vorsatz, und es widerte mich an. Schumacher ist kein guter Mann. Ich würde ihn nicht mal meine Schuhe zubinden lassen."
Was war 1982 in jener lauen Sommernacht in Andalusien passiert, dass ein WM-Halbfinale mit sechs Toren, 120 Minuten und zehn Elfmetern wegen einer Szene so in den Hintergrund gerät? Schumacher selbst beschreibt es so: "Platini spielt den Pass, Battiston sprintet los, er will den Ball. Ich ebenso, ich stürze aus meinem Tor. Der Ball springt noch einmal auf und ich erkenne, dass er ihn über mich hinweg lupfen will. Also springe ich hoch, um ihn abzuwehren. Aber Patrick trifft den Ball nicht richtig. Wenn man einmal in der Luft ist, kann man den eigenen Schwung nicht mehr abbremsen."
Schumacher dreht sich, um eine frontale Kollision zu verhindern und erwischt ihn mit der Hüfte. Der schwer angezählte Patrick Battiston (angebrochene Halswirbel und Gehirnerschütterung) muss ausgewechselt worden, Schumachers Aktion wird nicht einmal mit einem Foulpfiff geahndet. Nach dem wilden Hin und Her beim 3:3 mit folgendem 5:4-Sieg der Deutschen im Elfmeterschießen sagte Schumacher: "Unter Profis gibt es kein Mitgefühl. Sagt ihm, dass ich ihm die Jacketkronen zahle." Eine Aussage, die er später als "dumm" bezeichnete und damit begründete, dass er noch schlimmere Schäden befürchtet habe.
Das Spiel in Sevilla bewegt, analog zum Wembley-Tor 1966 oder dem Jahrhundertspiel 1970, den deutschen Fußball noch immer. Es gibt ein ganzes Buch ("Die Nacht von Sevilla") und einen Wikipedia-Eintrag. Am Mittwochabend kam das Team von damals in Dortmund zusammen, um noch einmal über das denkwürdige WM-Halbfinale von damals zu sprechen - und das ganz ohne Titel.
"Die Gefühle eines ganzen Lebens habe ich in diesem einen gewaltigen Fußballspiel erlebt. Auch wenn wir verloren haben, so war ich doch Darsteller in einem großen Drama", sagte Frankreichs damaliger Mittelfeldstar Michel Platini, später UEFA-Präsident und zuletzt wegen einer umstrittenen Millionenzahlung in der Schweiz vor Gericht.
Pierre Littbarski erging es im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán, wo knapp 40 Jahre später Eintracht Frankfurt die Europa League gewann, ähnlich wie Platini. "Ich würde sagen, das war schon das legendärste Spiel, das ich gespielt habe. Das kam dem nahe, wie ich ein Fußballspiel sehen möchte.
Schumachers Glück war damals, dass ihn - anders als 2022 - noch keine Videobilder überführen könnten. Auf die Frage der "Bild-Zeitung", wie seine Aktion heute geahndet würde, antwortete der inzwischen 68 Jahre alte Schumacher: "Foul! Und dazu Gelb oder Rot. Was ich immer gesagt habe und das ist mir sehr wichtig: Es war keine Absicht, wie später oft unterstellt wurde. Kein Vorsatz!"
So sieht es auch Littbarski, der den folgenden Furor der Franzosen salopp "nur zu menschlich" nennt. "Die Franzosen haben gedacht, sie haben das Finale erreicht. Diese riesige Enttäuschung nimmt man natürlich dann persönlich." Zwischen Schumacher und Battiston kam es eine Woche nach dem Vorfall zu einer Aussprache. Für den deutschen Keeper steht aber fest: "Wenn heute dieser Ball wieder so gespielt würde, und ich im Tor stünde, wäre ich wieder unterwegs. Das hat immer noch Gültigkeit." Battiston nahm die Entschuldigung an und bezeichnete die Sache als "erledigt".
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