Von Juan E. Alemann
Die wirtschaftliche, soziale und auch gesellschaftliche Krise in der sich Argentinien befindet, wird von der Regierung nur halbwegs in ihrer wahren Dimension erkannt. Mit kleinen Entscheidungen, die unmittelbare Probleme lösen oder hinausschieben, ist es nicht getan. Es müssen auch schwierige Themen in Angriff genommen werden, und vor allem muss es ein Gesamtkonzept der Wirtschaftspolitik und eine klare Richtung geben, die grundsätzlich einer, und nur einer, der Präsident, zum Ausdruck bringt. Dann wissen alle, die wirtschaftliche Entscheidungen treffen, an was sie sich halten müssen, und handeln in diesem Sinn.
In der Tat entscheidet sowohl der Präsident wie auch die Vizepräsidentin, die sogar so weit geht, dass sie Entscheidungen des Präsidenten ändert. Was sie in ihrem offenen Brief erklärt hatte, dass der Präsident und nur er die Regierungsentscheidungen trifft, hat sie inzwischen gelöscht, und hat klar gezeigt, dass im Grunde sie regiert und Alberto Fernández nur eine Art Geschäftsführer ist, der ihre Befehle ausführt. Doch das Problem hört hier nicht auf. Denn Cristina weiß nur, dass sie ihre zahlreichen bösen Prozesse los werden will, was ihr nicht gelingt und sie zunehmend nervös macht, und hat sonst verworrene Konzepte. Sie steht auch unter dem Einfluss ihrer Leute, vor allem der Gruppe “La Cámpora”, deren Leiter sich auch nicht im Klaren sind, was sie wollen. Bei vielen kommt die Montonero-Ideologie zum Vorschein, mit einer starken Präsenz des Staates, mit Verstaatlichung von Unternehmen (wie es die Regierung schon bei Vicentín versucht hat) und Begrenzung der Entscheidungsmöglichkeiten der Privatunternehmen, die stark vom Staat abhängen sollen. Ebenfalls gehört ein extremer staatlicher Interventionismus zu diesem Schema, Doch auch unter sich denken die Camporisten unterschiedlich. Sie haben keinen intellektuellen Leiter. Hinzu kommt noch, dass es ihnen auch darum geht, gute staatliche Arbeitsplätze für ihre arbeitslosen Mitglieder zu schaffen. Doch der Staat muss Personal abbauen und nicht erhöhen.
Wir hatten gehofft, dass Alberto Fernández den Brief von Cristina ernst nehmen und wichtige Entscheidungen treffen würde, um die verfahrene Lage einzurenken. Es geht um eine Verringerung der Staatsausgaben, um einen Ausgleich der Zahlungsbilanz mit Erhaltung und Zunahme der ZB-Reserven, um eine klare Haltung in der Außenpolitik, ohne Venezuela und Kuba direkt oder unterschwellig zu unterstützen, um persönliche Sicherheit, um Bejahung des Privateigentums, und vor allem, um Vernunft und gesunden Menschenverstand.
Doch viele Entscheidungen, die in diesem Sinn getroffen werden müssen, z.B eine starke Erhöhung der Tarife öffentlicher Dienste, kommen bei weiten Kreisen der Bevölkerung schlecht an und führen dazu, dass die Regierungspartei die Wahlen von nächsten Jahr mit einem noch schlechteren Ergebnis verliert, als es ohnehin schon vorweggenommen wird. Das bedeutet, dass die Regierung eine geringere Vertretung in der Deputiertenkammer haben wird, so dass sie ihre Gesetzesprojekte nur mit Zustimmung der Opposition verabschieden kann. Und auch im Senat dürfte sich ihre Vertretung verringern. In den Provinzen dürfte es auch Änderungen geben. Doch wenn die Politik die Regierungsentscheidungen überschattet, dann werden diese noch schwieriger. Für Cristina sind die Wahlen vor allem deshalb besonders wichtig, weil ein schlechtes Ergebnis auch ihren Vorstoß bei der Justiz schwächt, und ihre Prozesse dann unbehindert weitergehen und in Verurteilungen enden würden. Und das könnte für sie politisch das Ende sein, auch wenn sie als Vizepräsidentin nicht ins Gefängnis kommt. Eine verurteilte Vizepräsidentin wäre etwas weltweit Einzigartiges.
Präsident Fernández hat letzte Woche erneut seine Idee vorgebracht, einen Wirtschaftsrat zu bilden, an dem Vertreter der Regierung, der Unternehmer, der Gewerkschaften u.a. beteiligt sind. Irgendwie kommt hier die Idee zum Ausdruck, ein Abkommen wie das von La Moncloa in Spanien zu erreichen, wo die anarchischen Bestrebungen, die nach dem Tode des Diktators Francisco Franco auftraten, eingedämmt wurden. Doch dabei sollte man nicht vergessen, dass die Redaktion dieses sogenannten Moncloa-Paktes von einem von der Regierung ernannten Mann vollzogen wurde, der sich dabei besonders darum kümmerte, die Macht der Gewerkschaften einzudämmen. Fernández müsste sich somit überlegen, wem er diese Rolle überträgt. Denn wenn es keinen Grundvorschlag der Regierung gibt, dann reden alle Beteiligten um den heißen Brei herum, und es kommt nur zu Gemeinplätzen über gute Absichten.
In der Wirtschaftswelt besteht der allgemeine Eindruck, dass der Präsident überfordert ist, nicht die geringste Ahnung hat, wie er die extrem kritische Lage anpacken soll, und auch keinen Berater von Format hat, der für ihn denkt. Er sollte sich überlegen, wer für diese Aufgabe geeignet ist. Es ist nicht einfach, jemand zu finden, der dann auch bereit ist, das Angebot anzunehmen. Denn wenn der Präsident ihn dann nicht voll unterstützt, bleibt der Erfolg aus, und der Berater wird schließlich zum Sündenbock gemacht, und diese Rolle will niemand übernehmen.
Im Grunde erwartet man ein Wunder. Diese gibt es gelegentlich, sie sind aber nicht häufig. Und vor allem muss sie der Präsident nicht behindern. Als Menem den Ökonomen Domingo Cavallo zum Wirtschaftsminister machte, hat dieser das Wunder vollbracht, die Inflation einzudämmen, mit gleichzeitigem starken Wachstum der Wirtschaftsleistung, was man allgemein für unmöglich hielt. Normalerweise kommt eines nach dem anderen. Die Inflation wurde sofort einstellig und abnehmend, und das Bruttoinlandsprodukt nahm 1991 um 9% und 1992 noch einmal um 9% zu. Das wurde durch die Konvertibilität, massive Privatisierungen, Deregulierung und andere Maßnahmen erreicht, die Cavallo eine nach der anderen im Eiltempo traf. Es war ein Wunder, das man von Menem nicht erwartet hatte, weil man ihn im Grunde nicht kannte. Doch bei Alberto Fernández liegt der Fall anders: man kennt ihn, und weiß, dass er weder die Weitsicht noch den Mut und die politische Machtstellung von Menem hat.
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