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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Eine Steuerreform ohne Grundkonzept ist eine Phantasie

Von Juan E. Alemann

Sowohl in der Regierung, wie in der Opposition und auch in Unternehmerkreisen wird ständig von der Notwendigkeit einer Steuerreform gesprochen. Doch niemand sagt, um was es dabei konkret gehen soll. Die meisten derjenigen, die sich über das Thema äußern, haben keine blasse Ahnung davon, und meistens bringen sie nur den Ärger über die hohe Steuerlast zum Ausdruck. Wirtschaftsminister Martin Guzmán scheint sich über die Komplexität des Themas bewusst zu sein, und erklärte unlängst, es stehe für 2021 auf der Tagesordnung. Er fügte beiläufig hinzu, das System solle progressiver werden. Das klingt politisch gut, geht jedoch an der wirklichen Problematik vorbei.

Zunächst sollten verzerrende Steuern abgeschafft werden, an allererster Stelle die provinzielle Steuer auf den Bruttoumsatz, die in jeder Etappe der Produktion und des Vertriebes von Waren erneut erhoben wird, so dass die Steuer gelegentlich, bezogen auf das Endprodukt, einen Satz erreicht, der zwei und dreimal so hoch ist, wie der Satz der Steuer, der allgemein um die 2% liegt. Diese Steuer verteuert den Preis der Exportprodukte und fördert eine vertikale Integration, auch wenn diese wirtschaftlich keinen Sinn hat. Diese Steuer, die früher “Steuer auf lukrative Tätigkeiten” hieß, wurden 1975 abgeschafft, als die Mehrwertsteuer eingeführt wurde. Man ging damals davon aus, dass der Erlös dieser Steuer höher als der der bisherigen Verkaufssteuer (die keine Dienstleistungen erfasste) plus die Steuer auf die lukrativen Tätigkeiten sein würde.

Das war jedoch nicht entfernt der Fall. Die Hinterziehung lag bei der MwSt. 1976 noch bei zwei Dritteln des theoretischen Erlöses, und damit hatte man offensichtlich nicht gerechnet. Somit wurde die Steuer 1976, nach der militärischen Regierungsübernahme, wieder eingeführt und in “Steuer auf die Bruttoeinnahmen” umgetauft, um den Streit mit den Genossenschaften abzuschaffen, die behaupteten, dass ihre Tätigkeit nicht “lukrativ” sei, weil kein Gewinnstreben bestünde. Später kam die Initiative auf, die Steuer durch eine Steuer auf den Endverkauf von Gütern an Konsumenten zu ersetzen. Dies wurde jedoch fallen gelassen, weil besonders beim kleinen Einzelhandel eine hohe Hinterziehung besteht, die mit dieser Steuer noch mehr zunehmen würde. Der Erlös würde auf alle Fälle weit unter dem der Bruttoumsatzsteuer liegen.

Eine weitere verzerrende Steuer ist die sogenannte Schecksteuer, die 2001 (zunächst als Notsteuer für ein Jahr) eingeführt wurde, die die Einzahlungen und Abhebungen bei Bankkonten mit je 0,6% belastet. Diese Steuer gibt es sonst nirgends auf der Welt. Sie wirkt auch gegen den Übergang von Zahlungen mit Bargeld auf solche, die über Bankkonten gehen, also mit Karten, Schecks oder direkten Überweisungen (meistens per Internet) vollzogen werden. Die Zahlungen über Banken erlauben dem Steueramt eine bessere Kontrolle. Die Schecksteuer wirkt jedoch gegen dieses vernünftige Anliegen. Allein, die Schecksteuer hat den Vorteil, dass sie von den Banken erhoben und beim Steueramt eingezahlt wird, und somit für das Steueramt keine Verwaltungsarbeit darstellt. Außerdem bringt sie viel ein und kann nicht hinterzogen werden. Somit wird sie nicht abgeschafft.

Die Regierung steht heute unter finanzieller Not. Das betrifft sowohl die Bundesregierung, wie die der Provinzen und der Gemeinden. Sie brauchen dringend mehr Geld, und das, und nicht eine integrale Steuerreform, steht für sie an erster Stelle. In diesem Sinn werden am laufenden Band neue Steuern geschaffen, deren Sinn zweifelhaft ist. Im Haushaltsgesetz für 2021 sind folgende zusätzliche Steuern vorgesehen: eine zusätzliche Steuer auf Kfz, eine Erhöhung von 2% auf 5% des Satzes der Steuer auf Online-Wetten, zwei Steuern, eine von 0,5% und die andere von 0,3%, auf die Kfz-Versicherungen. Die Provinz Chubut hat jetzt eine Steuer von 4,5% auf den Umsatz von Windkraftwerken geschaffen, die offen der Staatspolitik widerspricht, diese umweltfreundliche Energie zu fördern. Auch andere Provinzen haben neue Steuer erfunden oder den Satz der Bruttoumsatzsteuer erhöht.


Auf nationaler Ebene besteht das Hauptproblem bei der Einkommenssteuer, die in Argentinien Gewinnsteuer benannt wird, was sprachlich falsch ist, weil der Gewinn eine Kategorie des Einkommens ist, aber kein Synonym. Mauricio Macri hatte als Präsident auf dies hingewiesen, es doch nachher versäumt, die Steuer in Einkommenssteuer (“impuesto a los ingresos netos”) umzutaufen. Bei dieser Steuer besteht das Hauptproblem in der hohen Hinterziehung. Wenn man den Erlös der Steuer, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, mit dem der USA u.a. Länder vergleicht, gelangt man auf eine Hinterziehung von über 50% des theoretischen Betrages, den diese Steuer ergeben sollte. Doch der Fall ist noch viel schlimmer: den Großunternehmen, die einer vielfachen Kontrolle unterstellt sind, für die im Steueramt auch eine Sonderabteilung besteht, und besonders ausländische Unternehmen hinterziehen kaum. Auch andere Unternehmen haben nur sehr beschränkte Hinterziehungsmöglichkeiten, sei es, weil sie bei der Verkettung der MwSt. erfasst werden oder aus anderen Gründen, wie die Furcht, vom Steueramt entdeckt zu werden. Somit muss es eine große Gruppe von Kleinunternehmen und natürlichen Personen geben, bei denen die Hinterziehung weit über 50% liegt, in vielen Fällen bestimmt bei 100%.

Das Problem bei vielen Kleinunternehmen besteht darin (besonders jetzt), dass sie bei Zahlung des vollen Betrages der Steuern, die sie belasten, nicht überleben können. Sie müssten schließen, und dabei gäbe es noch mehr Arbeitslose. Bei der enorm hohen Arbeitslosigkeit, die gegenwärtig besteht, muss die Regierung eine wohlwollende Haltung gegenüber der Schwarzwirtschaft aufweisen, die wegen der Krise zugenommen hat und weiter steigen wird. Denn durch informelle Tätigkeiten erhalten viele formell Arbeitslose ein bescheidenes Einkommen, das ihnen über die Runden hilft. Über dieses Thema scheint sich niemand in der Regierung Gedanken zu machen.

Linke Politiker und Wirtschafter reden stets von einer Erhöhung der Progressivität der Einkommenssteuer auf natürliche Personen. Hierzu sei bemerkt, dass diese Steuer infolge der hohen Inflation schon viel progressiver geworden ist, was besonders den Mittelstand betrifft und gegen die aufstrebende sozialer Mobilität wirkt, die einen wesentlichen Bestandsteil einer modernen kapitalistischen Gesellschaft darstellt. Die Steuersätze für natürliche Personen sind in Argentinien viel höher als in den USA und den meisten Ländern der Welt. Wo sie höher sind, wie in Schweden, bietet der Staat gute Dienste auf dem Gebiet der Sicherheit, der Erziehung und der Gesundheit, so dass nicht private Dienste verpflichtet werden, wie es in Argentinien weitgehend der Fall ist. Die progressive Skala war 1976 indexiert worden, so dass sie inflationsneutral war, aber das wurde später abgeschafft, so dass die Progressivität wegen der Inflation stark zunahm. Ob das gewollt war, oder nur als Tatsache hingenommen wird, wurde nie geklärt.

Auch bei Unternehmen ist die Steuerbelastung effektiv viel höher als in den USA u.a. Ländern, besonders weil es keine Inflationsberichtigung gibt. 1978 wurde eine Berichtigung der Bilanzen für steuerliche Zwecke eingeführt, die die Inflationswirkung weitgehend ausschaltete. Das wurde jedoch 1991 im Rahmen der Konvertibilität aufgehoben, wobei das Gesetz jedoch weiter besteht und durch Dekret sofort wieder in Kraft treten könnte. Doch als die chronische Inflation 2002 wieder auftrat, wurde die Inflationsberichtigung nicht wieder eingeführt, weil sich die jeweils Regierenden bewusst waren, dass sie dabei Einnahmen verlieren würden.

Das Steuersystem müsste in Argentinien weniger progressiv und unternehmensfreundlicher gestaltet werden. Steuerreformen, die das ganze System umkrempeln, sollten zunächst ad acta gelegt werden. Statt dessen sollte man sich Gedanken darüber machen, wie man die übertrieben hohe Hinterziehung bei der Gewinnsteuer wirksam bekämpfen kann. Dabei muss das Steuerproblem ganz anders angegangen werden. Ein Beispiel: 2014, unter der Regierung von Cristina Kirchner und mit Ricardo Etchegaray als AFIP-Direktor, wurde ein Kontrollsystem für Schlachthöfe eingeführt, bei dem die geschlachteten Rinder, die Lieferanten, das erzeugte Rindfleisch, die Grossisten (“Matarifes”) und der Einzelhandel erfasst werden. Eine private Firma hatte schon in den 90er Jahren ein Kontrollsystem dieser Art vorgeschlagen (genannt “guardaganado electrónico”), doch dies versandete, weil die Lobby der Hinterzieher der Rindfleischwirtschaft zu groß und zu mächtig war. Die private Kontrolle wäre gewiss besser gewesen, als die staatliche, die jetzt besteht, aber große Mängel aufweist. Die AFIP sollte sich überlegen, wie man mit Kontrollen dieser Art fortschreiten kann. Bei Verringerung der Hinterziehung kann man eventuell dann auch verzerrende Steuern abschaffen und das System als solches vernünftiger gestalten.


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