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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Eine ratlose Regierung und eine nervöse Gesellschaft

Von Juan E. Alemann

Die gute Konjunktur, mit der 2021 der Rückgang des Vorjahres aufgeholt wurde, dauerte in den ersten Monaten 2022 mit abnehmendem Schwung an, und weist jetzt immer mehr negative Zeichen auf, die auf einen Rückgang der wirtschaftlichen Tätigkeit hinweisen. Die unmittelbare Zukunft erscheint zunehmend problematisch, und die Regierung sorgt dafür, dass dies verstärkt empfunden wird. Dass ein akuter Mangel an Dieselöl eingesetzt hat, der dazu führt, dass Saat- und Erntearbeiten, sowie der Transport von Getreide und Ölsaat u.a. Produkte zum Hafen unterbrochen wird, zeugt von einer Schlampigkeit, die selbst für Argentinien anormal hoch erscheint. Denn der Konsum von Dieselöl im Laufe des Jahres ist bekannt, und die Produktion auch, so dass die Regierung lange vorher weiß, wie viel importiert werden muss. Auch wenn Dieselöl international sehr teuer geworden ist, lohnt sich der Import, weil der Verlust, den die Wirtschaft wegen Mangel an Dieselöl erleidet, unverhältnismäßig höher ist. Ebenfalls wurde die Möglichkeit nicht genutzt, das verfügbare Dieselöl durch eine höhere Beimischung von Biodieselöl (aus Sojaöl) zu strecken. Die Produktionskapazität für dies ist vorhanden.

Die Diskussion um den Bau der Gasleitung Néstor Kirchner ist ebenfalls surrealistisch. Die Ausschreibung des Baus der Gasleitung war schon unter der Macri-Regierung fertig, doch Alberto Fernández machte dies rückgängig und nahm sich zweieinhalb Jahre Zeit, um die Leitung erneut auszuschreiben. Inzwischen stieg die Gasproduktion in Vaca Muerta stark, was die Regierung durch einen höheren Gaspreis angespornt hatte, und musste eingeschränkt werden, weil das Gas nicht bis zu den Konsumzentren transportiert werden kann. Dieser Engpass war vor zwei und mehr Jahren schon voraussehbar.

Jetzt ist ein Konflikt innerhalb der Regierung eingetreten, der die Zuteilung des Baus der Gasleitung erneut verschiebt, was der Wirtschaft sehr teuer zu stehen kommt. Cristina übte Kritik an Produktionsminister Kulfas, und dieser antwortete, und wurde daraufhin sofort entlassen. Es wurde eine Klage vor Gericht wegen angeblicher Bevorzugung des Techint-Konzerns durch die Bedingungen der Ausschreibung eingereicht, und schließlich forderte Bundesrichter Rafecas die gesamten Akten der Ausschreibung. Hoffentlich gelingt es ihm, kurzfristig ein Urteil zu fällen. Eine andere Lösung wäre die, dass die Regierung neue Lastenhefte für die Ausschreibung ausarbeitet, die die Kritik berücksichtigen, und den Bau kurzfristig zuteilt. Die argentinische Wirtschaft kann sich eine längere Verzögerung einfach nicht leisten. Ist sich der Präsident dessen bewusst?

Die hohe und zunehmende Inflation macht der Regierung große Sorgen, umso mehr, als sie nicht die geringste Ahnung hat, was sie tun soll, um die Inflationsrate spürbar zu senken. Es wird stets darauf hingewiesen, dass die Inflation besonders die Armen schädigt, und gleichzeitig beteuern die Regierungssprecher, dass sie sich besonders um das Schicksal der Armen kümmern. Niemand, sowohl in der Regierung wie in der Opposition, weist darauf hin, dass die Inflation die Kalkulation erschwert und somit gegen Effizienzzunahmen wirkt, die die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum darstellen. Abgesehen davon macht sich die Regierung auch keine Gedanken darüber, wie man mit einer hohen Inflation die wirtschaftliche Tätigkeit normal erhalten kann. Z.B.: 1976, als die Militärregierung antrat und auch eine hohe Inflation bestand, wurde das ganze Steuersystem indexiert, so dass das steuerfreie Minimum u.a. Themen nicht mehr zur Diskussion standen. Das verblieb bis zur Konvertibilität. Bezüglich Indexierung besteht das Vorurteil, dass diese die Inflation antreibt. Doch die Indexierung begleitet die Inflation passiv, und in vielen Fällen verhindert sie, dass eine hohe Inflation einkalkuliert wird. Und dies wirkt inflationär. Als 1976 auch die laufenden Staatsschulden gegenüber den Lieferanten u.a. indexiert wurden, kam es sofort zu niedrigeren Preisen.

Dass die Geldschöpfung stark verringert werden muss, ist nur ein Teil des Problems. Doch auch hier handelt die Regierung nicht, wie es notwendig ist. Die Staatsausgaben werden weiter aufgebläht, und das führt schließlich zu einem höheren Defizit, das zum größten Teil mit Geldschöpfung finanziert wird. Doch auch wenn es schließlich gelingt, die Staatsfinanzen einigermaßen in Ordnung zu bringen und die Geldschöpfung zu verringern, ist das Inflationsproblem nicht gelöst. Solange die Arbeitsgesetzgebung bleibt, wie sie ist, und die Gewerkschaften Lohnerhöhungen durchsetzen können, die auf die Preise abgewälzt werden, dauert die Inflation an, mit oder ohne Geldschöpfung. Erst wenn es zu einer tiefen Rezession kommt, hört dieser Reigen auf.

Wie verlautet, stand vor einigen Wochen die Alternative zur Diskussion, die paritätischen Lohnverhandlungen für eine bestimmte Zeit aufzuheben, und beschränkte Lohnerhöhungen per Dekret zu verfügen. Doch Arbeitsminister Claudio Moroni sprach sich gegen dies aus, das er als Einkommenspolitik bezeichnete und als solche negativ beurteilte, und setzte sich durch. Es wurden paritätische Verhandlungen einberufen und hohe Zulagen geduldet und von Präsident Fernández sogar begrüßt. Die Gewerkschafter halten sich dabei an ihre traditionelle Strategie: sie setzen bedeutende Lohnerhöhungen in bestimmten Branchen durch (Lastwagenfahrer, Bankangestellte, Arbeiter der Reifenindustrie u.a.), und dies hat dann einen Demonstrationseffekt auf die anderen Branchen. Vernünftige Gewerkschaftler werden dabei geschwächt und verdrängt, wie es schon beim Leiter der Metallarbeitergewerkschaft, Antonio Caló, der Fall war, der durch einen aggressiven Gewerkschafter ersetzt wurde. Mit der Lohnpolitik dieser Regierung kann man keine Verringerung der Inflationsrate erwarten.

Cristina meint, dass das Problem bei den Unternehmern, besonders den Leitern der Großunternehmen liegt, die zu viel verdienen und so geizig sind, dass sie nicht bereit sind, ihren Arbeitern höhere Löhne zu gönnen. Diese These verbreitet der Journalist Victor Hugo Morales (der von Cristina gut bezahlt wird) täglich im Fernsehen (Kanal C5N), und trägt damit dazu bei, dass die Gesellschaft vergiftet wird. Man braucht sich nur die Bilanzen von Großunternehmen anzusehen, die veröffentlicht werden, um zu erfahren, dass die Gewinne meistens nicht hoch sind, wobei das führende Milchunternehmen Mastellone (Marke La Serenísima) in den Jahren 2020, 2021 und im 1. Quartal 2022 phänomenale Verluste aufwies. Der Konkurrent SanCor ist schon vor Jahren pleite gegangen, und musste sich stark verkleinern.

Dass die Regierung jetzt ein Gesetzesprojekt über eine Sondersteuer auf “unerwartete Gewinne” vorgelegt hat, bringt dieses Vorurteil gegen Großunternehmen zum Ausdruck. Beiläufig sei bemerkt, dass die Gewinne, auch diese Zufallsgewinne, schon mit 35% besteuert werden, die bei Ausschüttung von Dividenden mit einer weiteren Steuer von 7% auf insgesamt 39,55% gelangt. Hinzu kommt noch, dass auch Buchgewinne besteuert werden, die durch die Inflation entstehen so dass die Rate der Gewinnsteuer in vielen Fällen auf über 50% des echten Gewinnes steigt, ohne die Dividendensteuer einzuschließen. Dieses Gesetzesprojekt wird in der Deputiertenkammer bestimmt nicht durchkommen, allein weil es technisch zu viele schwache Aspekte aufweist. Außerdem hat die Opposition, die in der Kammer einen entscheidenden Einfluss hat, prinzipiell Stellung gegen neue Steuern oder Erhöhung der Sätze der bestehenden bezogen. All das weiß die Regierung. Es geht hier nur um Politik, aber sie verschlechtert dabei die Stimmung in der Wirtschaftswelt, und das wirkt rezessiv.

In letzter Zeit hat sich der Präsident auch der These der Vizepräsidentin angeschlossen, und das hat schlimme Folgen. Denn zunächst verschließt es ihm den Weg zum Verständnis der argentinischen Wirtschaft und ihrer Probleme. Der Präsident betont dabei, dass eine gleichmäßigere Einkommensverteilung notwendig sei, und setzt dies mit einer Verringerung der Unternehmensgewinne in Verbindung. Doch die Wirtschaft funktioniert nicht so. Wenn die Unternehmen unter Druck gestellt werden, expandieren sie nicht, schaffen auch keine zusätzlichen Arbeitsplätze und leiten den Druck weiter auf ihre Belegschaft. Bessere Reallöhne sind nur auf der Grundlage einer höheren Effizienz der Unternehmen möglich. Und das erfordert u.a. Investitionen, die wiederum auf Gewinnen und guten Aussichten beruhen.

Der Internationale Währungsfonds hat bei der Begutachtung der Erfüllung der vereinbarten Haushaltsziele im 1. Quartal ein Auge (oder beide) zugedrückt, und das wenig befriedigende Ergebnis nicht beanstandet. Im zweiten Quartal wird Argentinien die Ziele nicht entfernt erfüllen können. Um dies zu erreichen, müssen strukturelle Maßnahmen getroffen werden, die politisch konfliktiv sind. Wir haben sie an dieser Stelle schon aufgezählt. Man kommt nicht umhin, zumindest einige dieser Maßnahmen zu ergreifen, um dem Fonds zu zeigen, dass man den richtigen Weg beschreitet. Wir würden mit der Schließung des Kohlenbergwerkes Río Turbio beginnen. Doch der Fonds würde sich auch wohl mit weniger zufrieden geben, so einer Einfrierung freiwerdender Stellen im staatlichen Bereich, Begrenzung der Lohn- und Gehaltserhöhungen, Abschaffung unnötiger Ämter, die unter den Kirchner-Regierungen und auch unter Alberto Fernández geschaffen wurden, und dgl. mehr. Doch wenn nichts getan wird, wie es die Regierung mit ihrem Verhalten zeigt, dann kommt es unvermeidlich zu einer harten Diskussion mit den Fondsbeamten. Der Fonds kann bis zu einem gewissen Punkt nachgiebig sein, aber schließlich muss er sich durchsetzten, weil er sich sonst selbst aufgibt.

Auch das Zahlungsbilanzproblem ist sehr schwierig. Trotz Rekordexporten von landwirtschaftlichen Produkten lag der Überschuss in diesem Jahr bisher weit unter dem Vorjahr, weil die Importe trotz Devisenbewirtschaftung explosiv gestiegen sind. Das mit dem Fonds vereinbarte Ziel der verfügbaren Reserven wird nicht entfernt erreicht. Diese Lage einzurenken ist gewiss nicht einfach. Doch wenn weiter kein Überschuss erzielt wird, dann wird der Druck schließlich unhaltbar, und dann muss abgewertet werden, was die Inflation noch mehr anheizt. Wenn die ZB dabei die Kontrolle verliert, und die Abwertung ausufert, dann wird die ganze Wirtschaft über den Haufen geworfen, mit oder ohne Abkommen mit dem IWF, was schließlich zu einer tiefen Rezession führt. Die Wirtschaftswelt ist sich dessen bewusst, und handelt entsprechend, was schon jetzt störend wirkt.

Bei all dem, was wir hier aufgeführt haben, ist es begreiflich, dass die Gesellschaft nervös ist. Denn wenn man erst auf den Regierungswechsel warten muss, um die verfahrene Lage einzurenken, dann kommt es vorher schon zu einer Megakrise, mit oder ohne Hyperinflation.



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