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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Eine paradoxe Lage

Von Juan E. Alemann

Argentinien befindet sich einer tiefen Rezession, die schon längst aufgehört hätte sollen. Der leichte Aufschwung, der im zweiten Quartal 2019 eingesetzt hatte, hätte weitergehen und jetzt schon besonders spürbar in Erscheinung treten sollen. Statt dessen hat sich die Rezession vertieft. Die Erholung wurde durch die Politik unterbrochen, und ganz besonders durch die Aussicht auf einen neuen Default, der unvermeidlich erscheint, wenn der Staat kein Geld mehr auf dem internationalen Finanzmarkt aufnehmen kann und dabei auch die Kapitalflucht zunimmt. Objektiv gesehen besteht kein Grund, dass es so kommt; aber die Finanzwelt misstraut Alberto Fernández, auch wenn er beteuert, dass er vernünftig wirtschaften und das Verhalten der Kirchners nicht wiederholen werde.

Die Lage ist wirklich paradox. Denn die wirtschaftliche Entwicklung ist in grundsätzlichen Aspekten sehr positiv. Argentinien erreicht dieses Jahr eine Rekordernte von (offiziell) 147 Mio. Tonnen Getreide und Ölsaat. Die Börse von Rosario senkt die Zahl auf 141 Mio. Tonnen, was auch einen Rekord darstellt. Eventuell beruht die Differenz auf dem Einschluss bestimmter Arten bei der offiziellen Schätzung, die die Börse nicht berücksichtigt. Oder es handelt sich um unterschiedliche Schätzungen. Man müsste das US-Landwirtschaftsdepartement befragen, das weltweit Ernteschätzungen auf Grund von Satellitenaufnahmen und deren Auswertung aufstellt, die meistens sehr genau sind. Die Vereinigten Staaten stellen diese Daten anderen Ländern gegen eine Gebühr zur Verfügung, die Argentinien vor einigen Jahren nicht bezahlt hatte. Ob das Problem inzwischen gelöst wurde, ist nicht bekannt.

Über zwei Drittel der argentinischen Exporte bestehen aus landwirtschaftlichen Produkten und Industrieprodukten auf der Grundlage landwirtschaftlicher Rohstoffe. Das sollte eine solide Grundlage für eine Leistungsbilanz mit Überschuss schaffen, umso mehr, als sich der Rinderbestand erholt hat und dieses Jahr auch ein hoher Export von Rindfleisch stattfindet. Hinzu kommt dann noch ein gestiegener Export von Schweinefleisch, bei dem die chinesische Schweinepest einen hohen Bedarf geschaffen hat, der einige Jahre andauern wird.

Hinzu kommt jetzt der Umstand, dass die Förderung von Gas und Erdöl im Gebiet von Vaca Muerta in Schwung gekommen ist, dank Investition von insgesamt u$s 18 Mrd. und dem technologischen Fortschritt, der eine Halbierung der Kosten erlaubt hat. Die Energiebilanz (Importe und Exporte von Erdöl und Erdölprodukten, Gas und Strom), die unter der Regierung von Cristina Kirchner ein Defizit von bis zu u$s 7 Mrd. ausgewiesen hatten, schließt dieses Jahr mit einem Defizit von etwa u$s 300 Mio. und nächstes Jahr mit Überschuss. Argentinien hat dank Vaca Muerta die Aussicht auf eine stark abnehmende Erdöl- und Gasförderung (wegen Erschöpfung der Lager und nur wenigen neuen konventionellen Lagern) überwunden, und verfügt jetzt über Reserven auf Jahrzehnte hinaus.

Auch auf dem Gebiet der Informatik-Technologie erlebt Argentinien einen phänomenalen Aufschwung. Der Bilanz des Softwarehandels war schon letztes Jahr mit etwa u$s 6 Mrd. positiv, und dieses Jahr dürfte es viel mehr sein. Es gab hohe Investitionen auf diesem Gebiet, und Argentinien setzt hier die hohe Verfügbarkeit über ausgebildetes und für diese Tätigkeit talentiertes Personal ein. Argentinische Unternehmen dieses Bereiches haben sich schon in den Vereinigten Staaten niedergelassen, und sind auch dort erfolgreich.

Schließlich gibt es noch viele Einzelbereiche mit zunehmender Produktion, wie die Forstwirtschaft und der Bergbau, mit Lithium als meistgefragtes Produkt. Argentinien gehört weltweit zu den Ländern mit den höchsten Reserven von Lithiumerz, und die Nachfrage ist schon sehr groß und wird weiter zunehmen. Denn Lithiumbatterien sind viel effizienter als die traditionellen, und sind für elektrisch angetrieben Automobile, Solaranlagen und Windkraftwerke notwendig, um die Energie speichern zu können.

Einer wirtschaftlichen Erholung stünde nichts im Wege, nachdem hohe brachliegende Kapazitäten bei der Industrie bestehen, so dass ohne neue Investitionen sofort mehr produziert werden kann. Das gilt auch für die Bauwirtschaft, für die Geflügelproduktion, und ebenfalls für die Bereiche der Landwirtschaft außerhalb der sogenannten Pampagegend. Es kann kurzfristig mehr Obst, mehr Zucker, mehr Baumwolle, mehr Tabak, mehr Yerba Mate und mehr Tee erzeugt werden.

Die Frage ist jetzt die, warum dieses produktive Potenzial nicht ausgenutzt werden kann. Das Hindernis liegt einmal beim Staat, der zu groß und ineffizient ist, und die Wirtschaft erdrückt. Und dann besteht auch eines bei den Finanzen, was sich nicht nur auf die Staatsverschuldung bezieht, die gegenwärtig als das Hauptproblem erscheint, sondern auf den Mangel an Arbeitskapital, sei es eigenes oder von Banken bereitgestelltes. Um die Wirtschaft in Gang zu bringen, bedarf es einer enormen Summe. Die Wirtschaftler u.a., die auf fehlende Investitionen hinweisen, irren sich: es geht um das fehlende Arbeitskapital, um eine stark erhöhte Produktion finanzieren zu können. Unsere Lösung besteht in der Dollarisierung, also der vollen Anerkennung des faktisch bestehenden bimonetären Systems, so dass lokal in Dollar gespart wird und lokale Kredite in Dollar vergeben werden. Da Dollardepositen im Ausland kaum noch verzinst werden, besteht die Aussicht, Sparer mit Zinsen von 4% anzuziehen, was auch Kredite zu vernünftigen Zinsen erlaubt. Gewiss: für den Schuldner kommt dann noch die Abwertungswirkung hinzu. Doch wenn ein Geschäft dies nicht verträgt, dann ist es von vornherein falsch aufgebaut. Die Unternehmen müssen sich daran gewöhnen, das ein Kredit keine Subvention beinhaltet, wie es bei Pesokrediten der Fall ist, bei denen die Zinsen unter der Inflation liegen. Doch wir stehen mit dieser These allein auf weiter Flur. Die paradoxe argentinische Wirtschaftslage erfordert eben innovatives Denken, und das fehlt sowohl bei der Macri-Regierung, wie bei einer eventuellen zukünftigen von Alberto Fernández. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Wirtschaftler, mit ganz wenigen Ausnahmen, nicht innovativ denken, und die Bürokraten, die Routinemenschen sind, überhaupt nicht.

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