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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Eine grundsätzliche Neuerung der Lohnpolitik

Von Juan E. Alemann

Die Gewerkschaft der Bankangestellten hat als erste ein Abkommen für die Gehälter im Jahr 2021 abgeschlossen. Das Eigenartige in diesem Fall war, dass Präsident Alberto Fernández direkt mit dem Generalsekretär der Gewerkschaft, Sergio Palazzo, verhandelt hat, so dass es sich eigentlich nicht um eine Verhandlung mit den Unternehmerverbänden handelte, sondern um eine mit der Regierung. Palazzo willigte ein, dass die Gehälter im ganzen Jahr um 29% erhöht werden, ebenso viel wie die im Budget vorgesehene Preiszunahme. Die Zunahme erfolgt in drei Etappen: je 11,5% im Januar und April und 6% ab August. Hinzu kommt noch eine Zulage von 2,1%, die sich aus der Differenz zwischen der Zunahme der Konsumentenpreise im Jahr 2020 und der gewährten Gehaltserhöhung ergibt. Das war im Gesamtarbeitsvertrag des Vorjahres vorgesehen und wird jetzt bezahlt.

Es ist eine Revision im September und November vorgesehen, wenn die Umstände es erfordern. Es handelt sich hier nicht um eine automatische Inflationsklausel, wie sie der Vertrag von 2020 enthielt, sondern um eine neue Verhandlung, falls die Inflation davonspringt oder sonst besondere Umstände eintreten. Die Gewerkschaften treten grundsätzlich dafür ein, dass die Löhne im Gleichschritt mit der Inflation, und noch etwas mehr, erhöht werden. Cristina hat unlängst auch diese These vertreten. Doch in Wirklichkeit bleiben die Gehälter der Bankangestellten auch 2021 hinter der Inflation zurück. Denn, wenn man die Gehaltserhöhungen, die im Laufe des Jahres gewährt werden, auf einen Jahresdurchschnitt umrechnet, so liegt dieser weit unter 29%, wobei dieser Prozentsatz sich auf die Zunahme von Dezember 2019 bis Dezember 2020 und nicht auf den Vergleich der Jahresdurchschnitte bezieht. Im Grunde ist es eben so, dass ein drastischer Rückgang der Inflation, von gegenwärtig über 50% jährlich auf 29%, nur möglich ist, wenn der Reallohn dabei sinkt. Denn Argentinien ist ärmer geworden, und das betrifft auch die Arbeiter.

Die Banken können Gehaltserhöhungen gegenwärtig verkraften, weil der Zahlungsverkehr, wegen Pandemie, Quarantäne und Beschränkung der persönlichen Anwesenheit bei Banken, weitgehend auf Internet-Überweisungen übergegangen ist, was kostensparend wirkt. An erster Stelle werden die Kassierer entlastet, so dass die Banken mit weniger auskommen und somit diejenigen, die in Pension treten, nicht ersetzen. Und dann entfällt die Buchung und das Clearing. Bei vielen anderen Branchen sind Lohnerhöhungen schwer zu verkraften, besonders jetzt, da die Unternehmen einen Umsatzrückgang verkraften müssen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass der Präsident die neue Lohnpolitik mit den Bankangestellten begonnen hat. Ohne seine direkte Intervention, hätten die Banken wohl eine höhere Forderung zugestanden, die dann von anderen Gewerkschaften als Argument für analoge Forderungen genommen würde, auch wenn die Unternehmen die Erhöhung nur mit Abwälzung auf Preise zahlen können.

Dieser Gesamtarbeitsvertrag stellt eine Revolution dar, an erster Stelle weil er direkt mit dem Präsidenten ausgehandelt wurde, und nicht mit den Unternehmern noch mit dem Arbeitsminister. Das bedeutet, dass der Präsident diesem Abkommen eine besondere Bedeutung erteilt hat und ihn als Richtlinie für alle anderen Verträge aufstellt. Es bedeutet aber auch, und das ist noch wichtiger, dass die Regierung direkt in die Lohnverhandlung eingreift, die somit nicht mehr “paritätisch” ist, sondern eine Dreierverhandlung geworden ist, bei der die Regierung schließlich das entscheidende Wort hat. Das haben wir an dieser Stelle stets befürwortet, weil das bestehende System so gestaltet ist, dass Unternehmer und Gewerkschaften sich auf eine Lohnerhöhung einigen, die dann der Konsument bezahlt. Wenn jetzt die Unternehmer sich bereit erklären, Lohnerhöhungen zu gewähren, die über den 29% liegen, die bei den Bankangestellten als Obergrenze festgesetzt wurden, dann wird die Regierung von ihnen fordern, dass sie die Lohnerhöhung nicht auf die Preise abwälzen. Und dann erhält die ganze Diskussion einen anderen Charakter.

Die Lohndiskussion steht dieses Jahr ohnehin einer neuen Realität gegenüber. Viele Unternehmen, und auch ganze Branchen, befinden sich in einer tiefen Krise, und können eigentlich nicht einmal die bestehenden Löhne verkraften. Die Gewerkschaften werden sich in vielen Fällen gezwungen sehen, einen Verzicht auf Lohnerhöhungen oder die Zustimmung zu einer geringen Zulage, gegen Erhaltung der Arbeitsplätze oder Beschränkung der Entlassungen auszuhandeln. Die Unternehmerfront wird sich verhärten, und zwar nicht, weil die Unternehmer es so wollen, sondern weil sie sich dazu gezwungen sehen. Die Unternehmer brauchen dabei auch die Unterstützung der Regierung, wie es jetzt bei den Banken der Fall war.

Abgesehen davon haben Fernarbeit und das Vordringen von Internet und Informatik strukturelle Änderungen geschaffen, die die bestehenden Gesamtarbeitsverträge nicht berücksichtigen. Sie waren eben für eine andere Welt gedacht. Die neue Technologie lässt sich nicht bei Seite schieben; sie muss auch den Gesamtarbeitsverträgen einverleibt werden. Dabei gerät die gesamte Lohnstruktur ins Wanken. Bestimmte Arbeitsvorgänge werden durch dies total verändert: es wird mehr vom Arbeiter oder Angestellten gefordert, und er wird dabei auch besser entlöhnt. Und bestimmte Arbeitsplätze, die von ungelernten oder unzureichend ausgebildeten Arbeitern besetzt waren, fallen weg.

Die neue Arbeitspolitik, die Präsident Fernández jetzt eingeleitet hat, wird bestimmt auf Widerstand stoßen. Die Beziehung zum Lastwagengewerkschafter Hugo Moyano dürfte wohl gespannt werden, und auch andere Gewerkschafter dürften meutern. Alberto Fernández müsste von Perón lernen, der die Gewerkschaften lobte, und als Grundsäule des Peronismus hinstellte, aber gleichzeitig hart gegen Gewerkschafter vorging, die seinen Weisungen nicht gehorchten. Man solle nicht vergessen, dass Perón die Löhne 1952 für zwei Jahre einfror, und dies mit harter Hand durchhielt. Die jährliche Inflation sank dabei von etwa 40% auf unter 2% im Jahr 1952.

Wie weit Alberto Fernández den tiefen Wandel begriffen hat, den er in der Vorwoche eingeleitet hat, sei vorerst dahingestellt. Und Cristina? Wenn sie begreift, dass diese neue Arbeitspolitik wesentlich ist, um die Inflation zu bändigen, und dies sich positiv auf die Oktoberwahlen auswirkt, kann man erwarten, dass sie den Präsidenten voll unterstützt. Beim bedeutenden Geldüberhang, der schon besteht und weiter zunehmen wird, muss sich die Inflationsbekämpfung auf die Kostenseite konzentrieren, was besonders Löhne betrifft. Dann könnte der Geldüberschuss sogar die Konjunktur antreiben, weil mit dem vielen Geld mehr Güter gekauft werden können. Doch bei Cristina weiß man nicht, wer sie auf wirtschaftlichem Gebiet berät und beeinflusst. Früher war es Axel Kicillof, der jedoch jetzt voll mit der Provinz Buenos Aires beschäftigt ist. Angeblich unterhält sie gute Beziehungen zu Wirtschaftsminister Martín Guzmán, der vernünftig denkt und begriffen haben dürfte, das eine politische Grundentscheidung von Cristina bezüglich Lohnpolitik unerlässlich ist. Als Universitätsdozent, der er in Columbia, New York, war, dürfte er es auch verstehen, diese Dinge zu erklären. Sind wir zu optimistisch? Hoffentlich nicht.


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