Von Juan E. Alemann
Am Donnerstag der Vorwoche berief Handelssekretär Roberto Feletti die Leiter der Verbände ein, die die Pharmaindustrie und die Apotheken vertreten, und forderte sie auf, die Preise bis zum 7. Januar nicht zu erhöhen, ausgehend vom Stand des 1. Novembers 2021. Ebenfalls wies er darauf hin, dass die Regierung auf der Verschreibung von Medikamenten gemäß dem generischen Wirkstoff bestehe. Die Pharmaunternehmen müssen jetzt die Preise ihrer Produkte vom 1.11.21 dem Amt Anmat mitteilen, das die einzelnen Medikamente genehmigt, aber nicht für die Preise zuständig ist. Dann wurde angekündigt, dass eine gemischte Arbeitsgruppe gebildet werden soll, um das Thema weiter zu besprechen. Feletti ist sich offensichtlich über die Komplexität des Falles bewusst, äußerte aber die Meinung, dass der Staat bei der Preisbildung mitwirken müsse. Das ist allgemein sein Konzept.
Am Montag kam es schließlich zu einer Einigung. Die drei Verbände, die die Pharmaunternehmen vertreten (CAEME vertritt die ausländischen, CILFA die rein lokalen Firmen und COOPERALA die Genossenschaften und Kleinunternehmen), erklärten sich einverstanden, die am 1. November 2021 geltenden Preise bis zum 7. Januar nicht zu ändern, aber nur bei solchen, die ärztlich verschrieben werden. Das bedeutet, dass die Preise der Medikamente, die ohne ärztliches Rezept verkauft werden können, frei sind. Dabei gibt es auch eine graue Zone, von Medikamenten wie Antibiotika, die theoretisch nur mit Rezept verkauft werden dürften, aber in der Praxis von den meisten Apotheken frei verkauft werden.
Es ist begreiflich, dass sich die Regierung Sorgen um die Medikamentenpreise macht, nachdem besonders ältere Personen einen hohen Konsum von allerlei Pillen und Tropfen aufweisen, und normalerweise ein geringeres Einkommen haben, weil es sich weitgehend um Pensionäre und Hinterbliebenenrentner handelt. Um diesem Problem entgegenzukommen, wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, auf Initiative des damaligen Wohlstandministers Francisco Manrique, das Institut PAMI (Programa de asistencia médica integral) geschaffen). Doch das Problem der Medikamentenpreise geht weit über dies hinaus.
Im Jahr 1998 beauftragte der damalige Staatssekretär für Industrie und Handel, Alieto Guadagni, den Sanitätsarzt Ginés González García, der die Stiftung I-Salud leitete, mit einer Studie über Medikamentenpreise. Das Grundproblem bestand darin, die Preise, bezogen auf die aktiven Prinzipien, die im Medikament enthalten sind, zu bestimmen. Denn die Medikamente werden in Pillen von verschiedener Größe und unterschiedlichem Inhalt des wichtigsten aktiven Prinzips geboten, wobei auch die Schachtel eine unterschiedliche Pillenmenge enthalten. Außerdem ist oft die Droge, um die es grundsätzlich geht, mit anderen verbunden, und diese anderen sind nicht immer die gleichen. Das Ergebnis der Studie war verblüffend: die Preise, bezogen auf die Menge des essenziellen aktiven Prinzips, waren sehr unterschiedlich, bei bestimmten Marken doppelt so hoch wie bei anderen.
Die Studie von González García, die in einem Buch veröffentlicht wurde, war hervorragend und ist auch heute noch interessant. Als Ginés González García dann unter Präsident Duhalde zum Gesundheitsminister ernannt wurde, gab er seiner Studie Gesetzesform, indem bestimmt wurde, dass die Ärzte ein Medikament nicht nur nach dem Phantasienamen eines Labors verschreiben mussten, sondern gleichzeitig nach dem generischen Begriff, so dass die Apotheker ein billigeres Produkt liefern konnten. Allein, dieses sogenannte Generika-Gesetz, das sich immer noch in Kraft befindet, wird faktisch kaum angewendet. Die Ärzte haben es außer Kraft gesetzt, indem sie Medikamente nur gemäß den kommerziellen Bezeichnungen verschreiben. Und Ginés González García, hat mit dem Gesetz nicht insistiert, als er unter Alberto Fernández erneut zum Gesundheitsminister ernannt wurde. Die Apotheken müssten dem Kunden bei seinem Kauf die Liste der Medikamente zeigen, die das gleiche aktive Prinzip enthalten. Doch das tun sie nicht.
Die Pharmaindustrie besteht aus 350 Unternehmen, mit 229 Fabriken. Es werden 7.300 verschiedene Produkte angeboten, und es gibt landesweit 14.000 Apotheken. Die großen internationalen Konzerne haben in Argentinien Tochtergesellschaften, die nicht nur Medikamente importieren, sondern sie auch lokal herstellen, allerdings meistens mit importierten Drogen. Aber auch die Unternehmen, die lokale Besitzer haben, verwenden weitgehend importierte Drogen. Gemäß Angaben des Verbandes CILFA werden 690 Einheiten von Medikamenten jährlich erzeugt, von denen 68,4% auf lokale Unternehmen entfallen. Die multinationalen Pharmaunternehmen gelangen somit nicht einmal auf ein Drittel, gemessen an Einheiten. Aber gemessen am Umsatz, also in Werten, steigt der Anteil auf etwa die Hälfte, weil die rein lokalen Unternehmen sich auf billigere Generika konzentrieren.
Da es in Argentinien bis in die 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts keinen Patentschutz für Pharmaprodukte gab, konnten sich lokale Unternehmer gut entwickeln, indem sie auch neue Medikamente erzeugten, ohne Patentgebühren zu zahlen. Der Patentschutz wurde erst unter der Menem-Regierung eingeführt, als er jedoch an Bedeutung verloren hatte. Denn es gibt seit Jahren nur ausnahmsweise neue Pharmaprodukte, die patentiert werden können (was eine neue Moleküle oder eine völlig neue Wirkung voraussetzt) und sich auf Produkte beziehen, die allgemein verwendet werden.
Bei dieser Struktur der Pharmawirtschaft muss davon ausgegangen werden, dass eine intensive Konkurrenz besteht. Hinzu kommt noch, dass in der Bundeshauptstadt im Jahr 1991 die Apotheken dereguliert wurden, also neue Apotheken auch nahe bestehender errichtet werden können. Das hat den Ketten Aufschwung gegeben (an erster Stelle Farmacity, aber auch Dr. Ahorro, die nur die billigsten Generika verkauft, und mehreren anderen ) und noch mehr Konkurrenz geschaffen. Da die Deregulierung nicht in der Provinz Buenos Aires gilt, wo die bestehenden Apotheken Schutz genießen und Ketten verboten sind (z.B. wurde Farmacity nicht zugelassen), führt dies dazu, dass Medikamente in der Bundeshauptstadt oft billiger als in der Provinz sind.
Das Preisproblem wird auch dadurch kompliziert, dass die Pharmaunternehmen das gleiche Produkt zu unterschiedlichen Preisen verkaufen. Das PAMI, das einen hohen Anteil am gesamten Medikamentenumsatz hat, erhält sie zu niedrigeren Preisen von den Pharmaunternehmen, wobei in diesem Falle ein Mengenrabatt logisch ist. Das PAMI liefert die Medikamente dann unter dem Marktpreis, in bestimmten Fällen unentgeltlich und mit staatlicher Subvention. Gegenwärtig erhalten die Rentner die meisten Medikamente unentgeltlich.
Die Pharmaunternehmen liefern auch an die privaten Gesundheitsunternehmen (die sogenannten “prepagas”) Medikamente zu niedrigeren Preisen. Das erlaubt u.a. der Apotheke des Deutschen Hospitals, die von den Ärzten verschriebenen Medikamente viel billiger zu verkaufen. Dabei verschreiben die Ärzte nur Medikamente bestimmter Marken, die das Hospital billiger bezieht.
Bei dieser Vielfalt von Preisen für ein gleiches Medikament stößt eine staatliche Festsetzung der Preise auf Probleme. Ebenfalls führt die kontinuierliche Abwertung zu einer Kostenerhöhung, und wenn mit Wiederbeschaffungskosten kalkuliert wird, mit der Aussicht auf einen Abwertungssprung, wird der Fall noch komplexer. Wenn die Abwälzung der höheren Pesokosten, die dabei entstehen, nicht zugelassen wird, dann werden keine Medikamente und auch keine Drogen für Medikamente importiert, und dann werden viele Produkte fehlen. Eventuell tragen die Unternehmen den Verlust kurzfristig, um einen Konflikt mit der Regierung zu vermeiden. Aber auf die Dauer können die Unternehmen nicht zu Verlustpreisen verkaufen.
Comentários