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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Eine besonders schwierige Wirtschaftspolitik

Von Juan E. Alemann

Die argentinische Wirtschaft steht vor einer besonders komplexen Lage. Dessen sind sich Wirtschaftsminister Massa und sein Team (Gabriel Rubinstein, Leonardo Madcur u.a.) klar bewusst, ebenso wie die Wirtschaftswelt und ihre Wirtschaftsberater. Zu den lokalen Problemen kommt jetzt noch die harte Geldpolitik der Federal Reserve der Vereinigten Staaten hinzu. Die “Fed” hat den Referenzzinssatz schon stark erhöht, und für November wird die vierte Erhöhung in Folge von 0,75% erwartet, womit der gegenwärtige Zinssatz von 3% bis 3,25% auf 4,25 bis 4,75% steigt. Und wenn dann die Inflation, die in den USA bei 9,1% liegt, nicht zurückgeht, wird es weitere Erhöhungen geben. Das hat schon zur einer Aufwertung des Dollar gegenüber anderen Währungen von ca. 20% geführt. Abgesehen von der Wirkung auf die US-Konjunktur und die Weltwirtschaft, hat dies zu einem Ausstieg der Investmentfonds aus Wertpapieren von Schwellenländern geführt. Argentinien hat jetzt noch weniger Zugang zum internationalen Finanzmarkt als vorher. Und Kapitalinvestitionen werden auch behindert. Doch das Wichtigste ist der Druck auf die Preise von Getreide und Ölsaaten, die den größten Teil der argentinischen Exporte ausmachen, der dabei entsteht. Vorläufig wird dies durch den Ukraine-Krieg ausgeglichen, der den Export von Getreide und Ölstaat dieses Landes und auch von Russland hemmt.

Doch die argentinische Wirtschaft steht aus internen Gründen vor einer unvermeidlichen Rezession. Der Internationale Währungsfonds weist darauf hin, dass das Importvolumen überhöht ist, und stark verringert werden muss, um das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz herbeizuführen. Im Prinzip kann dies nur mit einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes erreicht werden, den der IWF auf 4% veranschlagt hat. Das will die Wirtschaftsführung vermeiden, indem eine selektive Importverringerung vollzogen wird, die keine große Wirkung auf die Konjunktur hat. Wenn keine Golfstöcke und Skibretter und dgl. mehr importiert werden, geschieht schließlich nicht viel. Und in mehreren Fällen, besonders Textilien, Bekleidung und Sportschuhen, kann der Importausfall weitgehend durch interne Produktion ersetzt werden, die schon gestiegen ist, wobei auch hohe Investitionen in neuen Produktionslagen erfolgten, von denen mehrere in nächster Zeit in Betrieb genommen werden sollen. Industriesekretär José Ignacio de Mendiguren, der selber Industrieunternehmer ist und auch Präsident des Spitzenverbandes der Industrie, die “Unión Industrial Argentina”, war, kümmert sich intensiv um das Thema, und setzt dabei seinen guten persönlichen Kontakt zu zahlreichen Industrieunternehmern ein. Doch die Arbeit ist nicht einfach. Schon jetzt mussten industrielle Fabrikationsprozesse wegen Fehlen von Teilen unterbrochen werden.

Die Wirtschaft hat sich im ersten Halbjahr gut entwickelt, mit einer kräftigen Zunahme des BIP. Danach traten zunehmend Schwächezeichen auf, und für das letzte Quartal 2022 wird mit einem Rückgang gerechnet. Kürzungen der Staatsausgaben und eine geringere Geldemission bedeuten weniger Nachfrage allgemein. Und wenn man noch die anderen Umstände hinzuzählt, auf die wir hingewiesen haben, wird die Nachfrage noch mehr verringert.

Wenn mehr exportiert würde, wäre der Fall einfacher. Aber die Aussichten sind nicht gut, einmal wegen der Dürre, und dann wegen niedriger Preise von Getreide und Ölsaaten. Bei Bergbauprodukten wird mit einer Zunahme gerechnet, wobei jetzt nach und nach auch Lithium hinzukommt. Massa betreibt eine gezielte Exportpolitik, bei der jede Branche und jedes Produkt einzeln behandelt wird. Nach der Sojabohne hat er jetzt ein Förderungssystem für Exporte von Informatik-Software eingeführt, bei denen zusätzliche Exporte von mindestens u$s 2 Mrd. erwartet werden. Aber es gibt noch zahlreiche Fälle, bei denen mit Förderungsmaßnahmen ein Exportsprung erreicht werden kann, so bei Obst, Olivenöl, Wein, Holz und Holzprodukten und vielen anderen Produkten, von denen jedes nur einen geringen Betrag darstellt. Diese Exportpolitik von Fall zu Fall ist mühsam, belastet die Staatsfinanzen (wie es beim Export von Sojabohne zum Sonderkurs schon der Fall war) und führt gesamthaft zu einem recht chaotischen Exportsystem. Aber unmittelbar kann dies dazu beitragen, dass das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz erhalten bleibt.

Allein, die Zahlungsbilanz ist nur das kleinere Problem. Die Staatsausgaben müssen weiter drastisch gesenkt werden, umso mehr als die Staatseinnahmen in Zukunft wegen der schwachen Konjunktur weniger steigen dürften. Massa hat von Anfang an einen Sparkurs eingeleitet, und damit ein klares Signal gegeben, das auch vom IWF gutgeheißen wurde. Aber jetzt stößt er zunehmend auf Schwierigkeiten, und er wagt es nicht, die heißen Eisen anzufassen. Er hat schon Druck auf die Staatsunternehmen ausgeübt und die einzelnen Verwalter angewiesen, zu sparen. Aber es gab dabei nichts Grundsätzliches. Er kommt nicht umhin, das Kohlenbergwerk von Río Turbio, in Santa Cruz, zu schließen, auch wenn Cristina protestiert. Auch beim staatlichen Eisenbahnunternehmen, bei Aerolíneas Argentinas, der Post u.a. Unternehmen lässt sich kurzfristig viel machen. Auch wenn der Erfolg erst etwas später sichtbar wird, hat der IWF Verständnis dafür, so dass Entscheidungen in die richtige Richtung sofort wirken.

Cristina, Máximo und die Mannschaft der Cámpora und des Patrias-Institutes, machen sich Sorgen um die soziale Lage und fordern zusätzliche Staatsausgaben, sei es für mehr soziale Subventionen oder über einen gesetzlichen Mindestlohn, der auch die Staatsfinanzen belastet. Wie weit es Massa gelingt, diesem Druck zu widerstehen, sei vorerst dahingestellt. Er vermeidet es, einen offenen Konflikt zu schaffen, und das ist geschickt so. Aber er bemüht sich darum, dass die sozialen Ausgaben nicht ausufern. Wichtig ist, dass in der Regierung alle wissen, wie Massa denkt, und daher die gleiche Richtung einschlagen.


Das komplexe Inflationsproblem

Hinzu kommt noch das Inflationsproblem, bei dem der Regierung ein Gesamtkonzept fehlt. Wenn die Inflation so weitergeht wie bisher, mit Jahresraten, die Ende Jahr schon bei 100% liegen und danach noch zunehmen dürften, dann verstärkt dies die Rezession, und schafft auch mehr sozialen Missmut, weil die Menschen sich betrogen fühlen, wenn sie bei ihren Käufen im Supermarkt oder sonst wo jedes Mal mehr zahlen müssen. Doch darüber hinaus wirft die hohe Inflation die ganze Wirtschaft über den Haufen, und macht aus der Rezession eine tiefe Krise.

Bei der Inflationsbekämpfung ist die Geldpolitik nur die eine Seite des Problems. Die andere ist die Lohnpolitik. Die Preis-Lohnspirale muss unterbrochen werden. Sonst gibt es keine Stabilisierung. Dass dürfte auch Massa wissen.

Dass Arbeitsminister Claudio Moroni, der engste persönliche Freund des Präsidenten im Kabinett, zurückgetreten ist, angeblich aus Gesundheitsgründen, aber wohl auch wegen seiner passiven Haltung bei den genannten Konflikten, ändert zunächst nichts, zumal an seiner Stelle die völlig unbekannte siebzigjährige Raquel Cecilia Kismer, benannt Kelly Olmos (der Nachnahme ihres Gatten) ernannt wurde, die sich bisher nie mit der Arbeitsproblematik befasst hatte. Sie ist Wirtschaftlerin und war bisher Vizepräsidentin der staatlichen BICE-Bank, wo sie mit Mendiguren zusammen gearbeitet hat. Zur Zeit der Menem-Regierung war sie im Innenministerium mit Carlos Corach tätig. Man hat den Eindruck, dass es sich um eine provisorische Ernennung handelt, weil zunächst kein Kandidat für dieses Amt vorhanden war, der dem Profil entspricht, das jetzt notwendig ist. Präsident Fernández hat angeblich auch Massa nicht gefragt, obwohl dieser, als er zum Wirtschaftsminister ernannte wurde, zunächst auch das Arbeitsministerium als Sekretariat in seinem Ministerium haben wollte, aber der Präsident damals seinen Freund Moroni nicht opfern wollte. Es ist auch möglich, dass Frau Olmos von vornherein verpflichtet wurde, sich an die Anweisungen von Massa zu halten. Auf alle Fälle ist es positiv, dass kein Vertreter der CGT und auch nicht der ehemalige Arbeitsminister Carlos Tomada, von dem auch die Rede war, ernannt wurden. Gelegentlich werden wir erfahren, was hinter der Ernennung von Kelly Olmos steckt.

Zurück zur Arbeitspolitik. Unlängst ist schon eine Initiative aufgekommen, Preise der wichtigsten Konsumgüter und auch Löhne für drei Monate einzufrieren. Aber Cristina und ihre Leute meinen, dies soll sich nur auf Preise beziehen, und damit ist das Problem nicht gelöst, Etwas ähnliches, aber für eine längere Dauer, wurde schon 1952 und 1967 eingeführt, und war damals erfolgreich. Auch als 1991 die Konvertibilität eingeführt wurde, wurden die Lohnerhöhungen gebremst, und die harte Arbeitspolitik wurde dann weiter eingehalten, aber mit der Menem-Methode, es nicht an die große Glocke zu hängen.

Man kommt so oder so nicht darüber hinweg, an die paritätischen Lohnverhandlungen herangehen und sie in ihrer Struktur zu ändern, nämlich mit einem Vertreter des Staates, mit Vetorecht, der sich der Abwälzung von Lohnerhöhungen auf die Preise oder Finanzierung mit Subventionen widersetzt. Andere Reformen der Arbeitsgesetzgebung kommen später. In einer ersten Etappe geht es nur darum, die inflationäre Wirkung der paritätischen Lohnverhandlungen einzudämmen. Was auch bedeutet, dass die These der Erhaltung des Reallohnes, die der Präsident ständig äußert, der sich auch die neue Arbeitsministerin sofort angeschlossen hat, beiseitegelassen werden muss. Dass der Reallohn langfristig steigt ist in Ordnung. Aber kurzfristig muss die Lohnpolitik der Stabilisierung untergeordnet werden.

Wenn die Inflationsbekämpfung nur mit monetärer Restriktion in Angriff genommen wird, dann wird die Rezession viel tiefer und der Erfolg geringer sein, als wenn man das Problem auch von der realen Seite in Angriff nimmt. Die Lohnpolitik ist der entscheidende Aspekt für einen Erfolg von Massa. Hat er das begriffen? Und wenn dem so ist, fragt man sich, ob er sich durchsetzen kann.


Das Leliq-Problem

Zu all diesen Problemen kommt noch das der Leliq hinzu. Der Bestand an Leliq und passiven Swaps der Zentralbank beläuft sich auf $ 8,6 Bio. Dies kostet der ZB an Zinsen $ 577 Mio. monatlich. Der Zinssatz macht mit Zinseszinsen 107% jährlich aus. Wenn die ZB somit die Zinsen jeweils mit Ausgabe neuer Leliq zahlt, dann steigt der Bestand in einem Jahr auf mehr als das Doppelte. Wenn die Inflation bei 100% liegt, dann ändert sich in konstanter Währung wenig. Wenn jedoch die Inflation drastisch abnimmt, wie es sein sollte und durchaus möglich ist, dann müssen die Leliq-Zinsen entsprechend gesenkt werden, und das ist nicht einfach, weil die Banken dann eventuell auf andere Anlagen übergehen.

Ohnehin ist die gegenwärtige Lage nicht normal, bei der die Banken vornehmlich den Staat als Kunde haben, und daher das Kreditvolumen für die Privatwirtschaft sehr beschränkt ist. Die gesamten Bankkredite an die Privatwirtschaft lagen im Juni 2022 bei $ 607,4 Mrd., was zu konstanten Werten 11,8% unter Juni des Vorjahres liegt. Normal wäre ein Betrag von mindestens zehn Mal so viel. Das Leliq-Prblem sollte normalisiert werden, um auf einigermaßen normale Zustände überzugehen. Zu einer normalen Wirtschaftstätigkeit, mit Wachstum des BIP, gehört auch ein Banksystem, dass die Wirtschaft mit einer Finanzierung eines Teils ihres Arbeitskapitals versorgt. Dass die Kleinunternehmen sich weitgehend über finanzielle Kredite außerhalb des Bankensystems finanzieren und dabei Wucherzinsen zahlen, ist ein Störungsfaktor der Wirtschaft.

Die einfachste Lösung für das Leliq-Problem wäre ein Bonex-Plan, wie der von 1990, so dass die Leliq zwangsweise gegen langfristige Dollartitel mit niedrigen Zinsen getauscht, und dann nach und nach amortisiert werden. Das würde zwar die Staatsfinanzen belasten, sollte jedoch verkraftbar sein. Aber es hat nur Sinn im Rahmen eines Gesamtprogrammes, das auch die Lohnpolitik einschließt und die Inflation auf ein zivilisiertes Ausmaß beschränkt.

Die Geldmenge, technisch benannt “monetäre Basis” (Geldscheine im Umlauf plus Depositen der Banken bei der ZB) liegt in der Nähe der $ 3 Bio., also nur etwa ein Drittel der Leliq und pasiven Swaps. Das Abkommen mit dem IWF enthält auch eine Begrenzung der Geldschöpfung, und Minister Massa bemüht sich, dies einzuhalten. Doch wenn die ZB die Geldschöpfung durch eine höhere Ausgabe von Leliq ersetzt, dann wird das Problem nur unter den Teppich gefegt, aber nicht gelöst. Grundsätzlich muss eben das Schatzamt weniger Mittel von der ZB fordern, und dabei gelangen wir wieder zum Grundproblem, nämlich die Senkung der Staatsausgaben.


Schlussbemerkung

Wir wiederholen, dass das ganze Problem der Zahlungsbilanz und auch das monetäre Problem einfacher wäre, wenn die ZB direkt auf einen gespalteten Kurs übergehen würde, also einen verwalteten Markt, bei dem die ZB täglich den Kurs festsetzt, wie es jetzt der Fall ist, der grundsätzlich für den Außenhandel mit materiellen Waren dient, und einen völlig freien Kurs für den Rest. Das würde die Zahlungsbilanz entlasten und von der ZB weniger Geldschöpfung fordern.

Vizeminister Gabriel Rubinstein hat sich vor einiger Zeit, bevor er zum Staatssekretär ernannt wurde, für diesen doppelten Devisenmarkt ausgesprochen. Massa hätte angeblich nichts dagegen, aber ZB-Präsident Pesce ist nicht einverstanden. Der IWF bestand in früheren Zeiten auf einem einheitlichen Devisenmarkt, mit einem einzigen Kurs, ist aber jetzt flexibler und pragmatischer geworden, und lässt auch einen gespaltenen Devisenmarkt als Übergangslösung zu. Wir sind überzeugt, dass es nicht lange dauern wird, bis dieses System eingeführt wird.

Schließlich noch eine Bemerkung über ein Thema, das prinzipiell missverstanden wird. Es muss auch zu periodischen Weißwaschungen gegriffen werden, um Dollarangebot zu schaffen und der freien Kurs zu kontrollieren. In einer Wirtschaft mit einem so hohen Anteil der Schwarzwirtschaft, wie er in Argentinien, mit über einem Drittel der gesamten Wirtschaftsleistung besteht, gehören periodische Weißwaschungen zum System. Sonst kann das Kapital, um das es dabei geht, das Unternehmen und natürlichen Personen gehört, die in Argentinien wohnhaft sind, nicht (oder nur auf schwierigen Umwegen) im Land angelegt werden. Dass die Weißwaschungen von denen, die ihre Steuern normal bezahlen, als ungerecht empfunden werden, muss man eben hinnehmen. Denn das wirtschaftliche Interesse des Landes steht an erster Stelle.



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