Von Juan E. Alemann
„Argentinien ist nicht das Scheißland, als das man es kennzeichnet“, sagte Kabinettschef Santiago Cafiero wörtlich bei seinem letzten Bericht vor der Deputiertenkammer. Er hat gewiss recht, vergisst aber, dass an erster Stelle die Regierung für dieses negative Bild verantwortlich ist. Auch die vorangehenden Regierungen haben es nicht verstanden, ihre positiven Leistungen bekanntzugeben und zu einem besseren Bild des Landes beizutragen. Unser verstorbener Freund José Katzenstein schrieb vor drei Jahrzehnten ein Buch mit dem Titel „Das unterbewertete Argentinien“ (La Argentna subvaluada), das heute noch lesenswert ist.
Die Regierung verbreitet über das Statistische Amt Zahlen über die Armut, die jetzt über 40 Prozent der Bevölkerung liegt. Aber die Information fügt keine Erklärung hinzu, um dies zu entschärfen. Im Gegenteil: Der offizielle Kommentar lässt die Armut noch schlimmer erscheinen, als sie ist. Gewiss ist extreme Armut eine menschliche Tragödie. Aber die meisten Armen fallen nicht in diese Kategorie. Viele haben einen Gemüsegarten, und/oder züchten Hühner, oder halten sich sonst irgendwie über Wasser. Das INDEC stellt keine Rückfragen, wie es sein sollte, wenn z.B. ein Mensch, der gut ernährt aussieht, angibt, dass er hungert oder kein Einkommen hat. Wenn die Armutsstatistik genauer dargestellt würde, wäre das Bild nicht so schlimm.
Es gibt ständig gute Nachrichten, von denen die meisten von der Regierung nicht verbreitet werden. Vor etwa einem Monat ist das zweite von vier Kriegsschiffen, die in Frankreich bestellt wurden, eingetroffen. Sie werden für die Patrouille im Südatlantik eingesetzt, so dass der Fischbestand auf dem argentinischen Hoheitsgebiet effektiv geschützt wird und chinesische und andere Fischereischiffe behindert werden, dort einzudringen. Diese wichtige Meldung erschien nur in einer Zeitung mit geringer Auflage und im Argentinischen Tageblatt. Warum?
Dass die Opposition kritisch ist, ist selbstverständlich. Aber darüber hinaus besteht in Argentinien ein existenzieller Pessimismus, der im täglichen Gespräch und besonders in vielen Tangos zum Ausdruck kommt. Dass diejenigen, die ihre Arbeit verloren haben oder auch sonst mit ihrem Einkommen ihren Bedarf nicht decken können, pessimistisch sind, ist begreiflich. Aber bei denen, die eine gute Wohnung haben, oft auch mehr als nur gut, und anständig leben, sollte dies nicht sein.
Ebenso wie die Armutserscheinungen auffällig sind, gibt es auch viele sichtbare Wohlstandserscheinungen und vor allem solche, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Die vielen neuen und nicht alten Automobile, die die Straßen verstopfen, die es vor einigen Jahrzehnten nicht gab, bringen einen gewissen Wohlstand zum Ausdruck. Ebenso ist es mit dem Wohnviertel „Puerto Madero“, das erst vor drei Jahrzehnten in Angriff genommen wurde. Vorher gab es dort gar nichts. Auch die vielen geschlossenen Wohnviertel und Country Clubs, die in dieser Zeit um Buenos Aires entstanden sind, sind Ausdruck einer Wohlstandsgesellschaft. Und wir könnten noch unzählige solcher Wohlstandserscheinungen hinzufügen.
Das Bruttoinlandsprodukt, das das INDEC bekanntgibt, ist bei den kurzfristigen Veränderungen einigermaßen glaubhaft, nicht aber, was die absolute Zahl betrifft. Das BIP pro Einwohner liegt in Wirklichkeit mindestens 50 Prozent über dem angegebenen. Das ergibt sich bei einem Vergleich verschiedener Wohlstandsindikatoren mit anderen Ländern. Der phänomenale Aufschwung der Landwirtschaft, mit Gesamternten von Getreide und Ölsaaten, die drei Mal so hoch wie in den 90er Jahren sind, wird nur von uns und wenigen anderen hervorgehoben. Die positive Liste ist bestimmt länger als die negative, wird aber völlig ignoriert.
Comentarios