Kulturabteilung der Deutschen Botschaft arbeitet an neuen Angeboten
Buenos Aires (AT/cld) - Der Stillstand der Kulturwelt zwingt nicht nur Kunstschaffende zu einer Überdosis an Kreativität, Erfindungsgabe und besonderer Spontanität – was ist mit denen, die für die Organisation und Betreuung von kulturellen Veranstaltungen zuständig sind? Veranstaltungen, die schlichtweg nicht stattfinden können. Veranstaltungen, deren Künstler*innen und Zuschauer*innen zuhause bleiben müssen.
Wir haben Maja Dimitroff gefragt, Leiterin des Kulturreferates an der Deutschen Botschaft Buenos Aires, welche Vor- und Nachteile sie während der obligatorischen Quarantäne in der Organisation von Events, ebenso wie im allgemeinen kulturellen Leben sieht. Mit welchen Herausforderungen sieht sie sich in ihrer Position momentan konfrontiert und wofür lässt sich andererseits die neue, „freie“ Zeit gut nutzen?
Maja Dimitroff:
„Die strengen Quarantäneregeln in Argentinien lassen auch das Kulturleben nicht unberührt: In der Kulturmetropole Buenos Aires sind die Lichter in den Theatern, Kinos und Konzertsälen seit einigen Wochen aus. Veranstaltungen sind derzeit weder absehbar noch planbar. Dies führt zu einem hohen Druck bei den Veranstaltern und bei der Mehrheit der argentinischen Kulturschaffenden sogar zu einem regelrechten Überlebenskampf – in einem Land, das sich in einer ohnehin herausfordernden Wirtschaftslage befindet. Lateinamerikanische Spontanität und Kreativität sind daher gefragt, um diese Durststrecke zu überwinden. Für Kulturinteressierte sollte es fast ein persönliches Anliegen sein, kulturelle Institutionen in dieser Notlage zu unterstützen. Wer einen persönlichen Beitrag leisten möchte, könnte beispielsweise auf die Rückerstattung eines bereits vor der „Corona-Krise“ erworbenen Tickets verzichten.
Das Potential der Krise liegt für Kulturschaffende nun eindeutig darin, die verordnete „Schaffenspause“ sprichwörtlich für die Entwicklung neuer Projekte zu nutzen. Begleitend dazu bietet die Digitalisierung ein unheimliches Potential, Kunst und Kultur weiterhin für die Öffentlichkeit bereit zu stellen. Eine Vielzahl von Angeboten bietet die Stadt Buenos Aires bereits unter dem Hashtag #BACulturaEnCasa an: Hier werden regelmäßig Theateraufführungen, Konzerte oder Vorträge gestreamt, welche die isolierte Bevölkerung in ihren jeweiligen Heimen bei Laune halten. Einige Museen und Ausstellungen bieten digitale Rundgänge an. Auch in Deutschland, wo seit vielen Jahren von der Notwendigkeit einer zunehmenden Digitalisierung gesprochen wird, hat sich das Angebot an virtuellen und digitalen Angeboten im kulturellen Bereich vervielfacht. Neue Streaming-Plattformen wie die von den bekannten Berliner Clubs („United We Stream“) und unzählige weitere Streaming-Angebote von den Kulturinstitutionen selbst sind entstanden, z. B. von den Berliner Philharmonikern oder von der Semperoper in Dresden. Den Mittlerorganisationen wie dem Goethe Institut ist es gelungen, ihr ohnehin anvisiertes Ziel, ihr Angebot stärker zu digitalisieren, auf schnellen Wegen in die Tat umzusetzen und neue virtuelle Angebote zu schaffen, von denen sie auch im Kontext der weiter zunehmenden Internationalisierung zukünftig stark profitieren werden. Dabei geht es nicht nur um eine Digitalisierung der Deutschlernangebote wie das reguläre Sprachkursangebot in Kursform oder Lernreihen für die Freizeit wie dem „#Stubenhocker“, sondern ebenfalls um virtuelle Ausstellungsprojekte.
Die Corona-Pandemie hat offenbar dazu geführt, den Prozess der Digitalisierung in den Institutionen wie auch in der Gesellschaft selbst zu beflügeln. Auch die Deutsche Botschaft ist bestrebt, anvisierte Kulturprojekte in Einzelfällen digital umzusetzen - z. B. den graphic novel-Wettbewerb zum Beethoven-Jubiläum an den Deutschen Schulen. Großevents wie das geplante Beethoven-Festival mit internationalen Künstlern aus Deutschland müssten jedoch aufgrund der Reisebeschränkungen auf Ende des Jahres verschoben werden.
Die Digitalisierung des Kulturangebotes unterstützt die Eindämmung des Virus und erweitert das kulturelle Angebot, das allen zur Verfügung steht. Zudem zwingt es Kulturinteressierte förmlich dazu, sich den neuen Formaten der Zukunft gegenüber zu öffnen und die Vorteile der Digitalisierung kennenzulernen. Diejenigen, die Kultur lieber von zu Hause aus konsumieren, werden diese Entwicklung mit Sicherheit lieben, und insbesondere für Ältere kann dies eine ganz neue Erfahrung sein. In anderen Sektoren gedeiht der Konsum von zu Hause aus seit Jahren, die Quarantäne verdeutlicht gleichzeitig aber auch, dass ein Kino-, Theater- oder Konzertbesuch längst anders zelebriert wird als das Streamen vom Sofa aus. Aus meiner Sicht stellen digitale Formate daher in Zukunft eine wundervolle zusätzliche Erweiterung des kulturellen Angebots dar, langfristig dürften die digitalen Angebote Kulturveranstaltungen dennoch nicht zu ersetzen vermögen: Wir Menschen brauchen soziale Interaktion – und insbesondere Kulturschaffende leben von der Interaktion mit dem Publikum und der damit verbundenen Wertschätzung.“
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